Altengronau (Hessen)

Main-Kinzig-Kreis Karte Datei:Sinntal in MKK.svg Altengronau mit derzeit ca. 1.200 Einwohnern ist heute einer von zwölf Ortsteilen von Sinntal im Main-Kinzig-Kreis - nahe der hessisch-bayrischen Landesgrenze gelegen (Kartenskizzen 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis  und  'Main-Kinzig-Kreis' mit Sinntal rot markiert, Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Bereits im hohen Mittelalter sollen sich in Altengronau jüdische Familien aufgehalten haben bzw. hier ansässig gewesen sein. Im Verlauf der Verfolgungen während des Pestpogroms von 1348/1349 vergrößerte sich die Altengronauer Gemeinde, da die Gebietsherrschaft „ihren“ Juden gegenüber „duldsam“ war. Die hier bis in die 1930er Jahre existierende Gemeinschaft setzte sich aus einer überschaubaren Anzahl von Familien zusammen.

Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden in dem Betraum eines Privathauses statt. Die aus dem Jahre 1717 stammende, bescheidene Landsynagoge blieb in der Pogromnacht von 1938 verschont, da das Gebäude bereits 1936 in „arische“ Hände übergegangen war. Für religiös-rituelle Aufgaben der Gesamtgemeinde war zeitweilig ein Lehrer angestellt, der zugleich auch als Vorbeter fungierte.

Stellenangebot für einen Religionslehrer (1891) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20107/Altengronau%20Israelit%2031081891.jpg

Anlässlich des Todes des in Altengronau lange Zeit tätigen bekannten Thorarollenschreibers (Sofer) und Friedhofsverwalters Raphael Levi erschien der folgende Beitrag in der Zeitschrift „Der Israelit“ am 10.Juni 1926:

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Hinweis; Die Biografie seiner Tochter Johanna verh. Sämann kann nachgelesen werden in: „Hervorgegangen aus einer berühmten Gelehrtenfamilie. .." Jüdische Pflegegeschichte und Familienforschung am Beispiel der Krankenschwester Johanna Sämann (online abrufbar unter: juedische-pflegegeschichte.de)

Von überregionaler Bedeutung war der jüdische Friedhof in Altengronau, der in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts am Berghang eines Spessartausläufers angelegt worden war und der auch zahlreichen weiteren jüdischen Gemeinden als zentraler Begräbnisplatz diente, so etwa aus dem Bereich des nördlichen Spessarts sowie der südlichen Rhön mit den Orten Burgsinn, Brückenau, Dittlofsroda, Gemünden, Geroda, Heubach, Lohrhaupten, Mittelsinn, Oberzeil, Schondra, Sterbfritz, Unterriedenberg, Uttrichshausen, Völkersleier und Züntersbach; insgesamt fanden etwa 1.500 Beisetzungen hier statt. Auf dem großflächigen Areal befand sich auch ein Taharahaus.

                       

Tahara-Haus in Altengronau (Aufn. J. Hahn, 2007) und Totenwaschstein (Aufn. Emmaus, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 de)

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Hanau.

Juden in Altengronau:

         --- 1835 .......................... 32 Juden,

    --- 1861 .......................... 36   “  ,

    --- 1885 .......................... 42   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1895 .......................... 40   "  ,

    --- 1905 .......................... 51   “  ,

    --- 1924 .......................... 48   "  ,                   

    --- 1933 .......................... 39   “  ,

    --- 1939 .......................... keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 35

 

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Zwei gewerbliche Anzeigen des Manufakturwaren-Geschäftes Samuel Münz von 1922 bzw. 1933

Die jüdische Gemeinde in Altengronau löste sich in den 1930er Jahren auf. Während einigen die Emigration in die USA bzw. nach Großbritannien gelang, verzogen andere in deutsche Städte; von hier aus sollen ca. 15 Altengronauer Juden im Laufe des Jahres 1942 deportiert worden sein.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 22 aus Altengronau stammende bzw. länger am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/altengronau_synagoge.htm).

 

Das in einem Waldgelände liegende ca. 9.000 m² große jüdische Friedhofsareal am Grauberg - mit nahezu 1.500 Grabsteinen zweitgrößter jüdischer Landfriedhof in Hessen - weist dabei zahlreiche kunstvoll gearbeitete Steine auf; auch der vom Dorf zum Friedhof führende Weg, das sog. „Judenpflaster“, ist in seiner historischen Form bis heute erhalten geblieben. Eine große Gedenktafel der Gemeinde Sinntal erinnert seit 2003 daran, dass auf dem Gebiet der heutigen Kommune vier jüdische Gemeinden bestanden haben, nämlich in Altengronau, Oberzell, Sterbfritz und Züntersbach. Der Text auf der Tafel lautet:

DEN TOTEN ZUM GEDENKEN

DEN LEBENDEN ZUR MAHNUNG

Im Gebiet der heutigen Gemeinde Sinntal gab es vier jüdische Gemeinden: in Züntersbach, Altengronau, Oberzell und Sterbfritz.

Alle Gemeinden begruben ihre Toten hier auf dem jüdischen Friedhof, der Ende des 17.Jahrhunderts angelegt worden war.

Die “Jüdische Gemeinde Züntersbach” bestand von etwa 1700 bis zum Jahre 1900.

Die “Jüdische Gemeinde in Altengronau” gründete sich um 1700. Im Jahre 1932 hatte der Ort 46 jüdische Einwohner von 1060 insgesamt. Benjamin Münz war der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Viele Jahre war er Gemeindevertreter der politischen Gemeinde und zeitweise auch stellvertretender Bürgermeister.

Die “Jüdische Gemeinde Oberzell” bestand seit dem Beginn des 18.Jahrhunderts. Im 1.Weltkrieg erhielt Israel Rosenbaum das Eiserne Kreuz 1.Klasse. In den dreißiger Jahren lebten die jüdischen Familien Goldschmidt, Rosenbaum, Aronsohn und Simon in Oberzell.

Die Anfänge der großen “Jüdischen Gemeinde Sterbfritz” reichen mindestens in das Jahr 1665 zurück. Im Jahre 1885 waren von 1077 Einwohnern 169 jüdischen Glaubens. Im Ersten Weltkrieg starben fünf jüdische Sterbfritzer für ihr Vaterland. Mit seinen Dorfgeschichten ‘aus unbeschwerter Zeit’ setzte der Sterbfritzer Max Dessauer dem harmonischen Zusammenleben von Christen und Juden ein literarisches Denkmal.

Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden die jüdischen Gemeinden in Altengronau, Oberzell und Sterbfritz allmählich zerstört und die einst als Bürger geachteten jüdischen Familien verfolgt. Ihrer Existenzgrundlage beraubt, sahen sie sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Nicht alle konnten ihr Leben durch Flucht ins Ausland retten. Sie wurden gewaltsam verschleppt. In den Vernichtungslagern wurden 32 Sterbfritzer, 16 Altengronauer und 13 Oberzeller ermordet.

WIR TRAUERN UM DAS LEID DER VERFOLGTEN UND UM DIE ERMORDETEN

Die Gemeinde Sinntal im Jahre 2003

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Älterer u. neuerer Teil des Friedhofsgeländes (Aufn. J. Hahn, 2007  und  Aufn. Joachim Weichert, aus: alemannia-judaica.de)

 Kunstvolle Grabstein-Ornamentik (Aufn. aus: zeitspuren.info)

Das im Jahr 1856 errichtete Taharahaus beherbergt einen Stein für die rituelle Leichenwaschung sowie den Raum der Beerdigungsbruderschaft (siehe oben).

Eine Informationstafel in der Dorfmitte - in unmittelbarer Nachbarschaft zur ehemaligen Synagoge - informiert seit 2010 über die einst hier beheimatete kleine jüdische Gemeinde; sie soll damit ein „Ersatz“ für sog. „Stolpersteine“ sein, deren Verlegung im Ort auf Ablehnung gestoßen war.

 

[vgl. Sterbfritz (Hessen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 35

Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Königstein i.T. 1988, S. 146

Die Synagogengemeinde Altengronau, in: "Bergwinkel-Bote", 1989

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 33/34

Altengronau, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Jüdischer Friedhof in Altengronau, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen vom Begräbnisgelände)

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II, Königstein i.Ts. 1994, S.134 (Neubearbeitung beider Bände, 2007)

M.Brumlik/R.Heuberger/C.Kugelmann (Hrg.), Reisen durch das jüdische Deutschland, DuMont Literatur- u. Kunstverlag, Köln 2006, S. 186

Ernst Müller-Marschhausen/Thomas Müller, Der Judenfriedhof in Altengronau, veröffentlicht im "Bergwinkel-Bote - Heimatkalender 2006", hrg. vom Kreisausschuss des Main-Kinzig-Kreises

N.N. (Red.), „Kulturweg Sinntal“: Diskussion über Tafel-Entwurf, in: "Kinzigtal-Nachrichten“ vom 19.9.2010

Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Jüdische Friedhöfe in der Rhön, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2018

Archäologisches Spessart-Projekt (Red.), Altengronauer Synagoge – Juden und Christen in friedlicher Nachbarschaft (Flyer), in: spessartprojekt.de (2019)

ah (Red.), Vandalismus auf Altem Jüdischen Friedhof: Unbekannte beschädigen 14 Grabsteine, in: „Fuldaer Zeitung“ vom 26.9.2023

N.N. (Red.), Der jüdische Friedhof in Altengronau, in: vorsprung-online.de vom 17.3.2024