Edelfingen (Baden-Württemberg)

Königreich Württemberg (1806 – 1918)Datei:Bad Mergentheim im Main-Tauber-Kreis.png Edelfingen ist heute ein Stadtteil von Bad Mergentheim mit derzeit ca. 1.500 Einwohnern - im Nordosten Baden-Württembergs gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte mit Eintrag von Mergentheim, aus: deutsche-schutzgebiete.de  und  Kartenskizze 'Main-Tauber-Kreis', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im Jahre 1538 gestattete der Deutsche Orden die Niederlassung von Juden in Edelfingen. Ein Teil des Dorfes unterstand damals der Herrschaft des Deutschen Ordens; daneben besaßen zwei Adelsfamilien Anteile am Dorf. Im Laufe des 18.Jahrhunderts nahmen dann auch die beiden Adelsfamilien Juden "in ihren Schutz" und machten sie in Edelfingen ansässig. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde in Edelfingen ihren zahlenmäßigen Höchststand mit knapp 200 Angehörigen. Das Wohngebiet der jüdischen Bevölkerung konzentrierte sich bis ins 19.Jahrhundert hinein auf die ‚Judenstraße’, die heutige Alte Frankenstraße. Der Edelfinger Gemeinderat äußerte sich 1855 in eine seltenen positiven Stellungnahme zu den im Dorf ansässigen Juden. Er berichtete: „ ... , daß der Viehhandel, wie er in unserer Gegend von Israeliten betrieben wird, für unsere Landwirthe sehr nützlich ist. Namentlich kaufen mehrere Israeliten der Gegend fette Ochsen im Königreich auf, und verkaufen solche wieder in größere Städte des Auslands. Dergleichen Ochsen werden jede Woche auf der Staatsstraße längs des hiesigen Orts wenigstens sechzig bis siebenzig Stück nach Frankfurt getrieben. Hiedurch kommen natürlicherweise bedeutende Summen Geldes vom Ausland in die Gegend, was zum Wohlstande ... sehr viel beiträgt.”

Ihren ersten Betsaal richtete die kleine jüdische Gemeinschaft vermutlich schon um 1680 ein; dieser wurde um 1790/1791 von einer Art Gemeindezentrum ersetzt, das Synagoge, Schule, Lehrerwohnung und Mikwe beherbergte. Bis 1938 wurden diese Räumlichkeiten genutzt.

  Gemeindezentrum (hist. Aufn. um 1935)*

* Synagoge im rückwärtigen Gebäude, im Vorderhaus jüdische Schule und Lehrerwohnung

                                 aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 4.9.1902

In der „Zeitung für die israelitischen Gemeinden in Württemberg” vom 1.Nov. 1929 hieß es u.a. in einem Bericht von S.Schachnowitz über das religiöse Leben der Landgemeinde: „ ... am Sabbat leitete er (Anm.: Lehrer Sally Ottensooser) den Gottesdienst in Edelfingen. Ich werde diesen einfachen, schlichten Gottesdienst in der kleinen Landgemeinde mit ihrer Scheunensynagoge ... nie vergessen. Der von alten, biederen Dorfjuden gefüllte Raum, die alten Gesänge unter lebhafter Mitwirkung der ganzen Gemeinde, ... Der Sabbat war im Orte, das konnte man sogar dem vollbeladenen Heuwagen und dem geruhig darauf schlafenden brauen Bauernjungen ansehen. Wie da die alten Leute, alte Frauen tief bedeckt, auf den Stühlen und Bänken vor den Häusern saßen, in Erwartung der Bohnensuppe und Sabbatkugel, die alle aus dem gemeinsamen Bäckerofen Glockenschlag elf kamen. ...”

Ihre Verstorbenen begrub die Edelfinger Judenschaft auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Unterbalbach. Er diente jahrhundertelang auch zahlreichen Gemeinden der Umgebung als zentraler Begräbnisplatz.

undefinedFriedhof in Unterbalbach (Aufn. Sarang, 2017, aus: wikipedia.org, CCO)

Die Gemeinde gehörte seit 1832 zum Rabbinatsbezirk Mergentheim.

Juden in Edelfingen:

         --- 1812 .......................... 108 Juden,

    --- 1824 .......................... 116   “  (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1854 .......................... 172   “  ,

    --- 1858 .......................... 198   “  ,

    --- 1886 .......................... 154   “  (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1900 .......................... 156   “  ,

    --- 1910 ..........................  98   “  ,

    --- 1925 ...................... ca.  75   “  ,

    --- 1933 ..........................  86   “  ,

    --- 1941 ..........................  12   “  .

Angaben aus: Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, S. 327

und                 Die Juden in Tauberfranken 1933 - 1945 - Quellen und didaktische Hinweise für die Hand des Lehrers, S. 19

 

Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Edelfingen noch knapp 90 jüdische Bewohner, die in ihrer Mehrzahl vom Viehhandel ihren Lebensunterhalt bestritten.

Das jüdische Gemeindezentrum entging während des Novemberpogroms zwar seiner Zerstörung, doch wurde der Betsaal geschändet. Gegen Ende des Krieges wurde das Gebäude dermaßen schwer beschädigt, dass es später abgebrochen und das freigewordene Gelände neu überbaut wurde.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 47 aus Edelfingen stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/edelfingen_synagoge.htm).

 

Einzig ein an der Außenmauer der einstigen Synagoge angebrachter Chuppa-Stein erinnert an die jüdische Vergangenheit des Ortes; dieser befindet sich heute im Rathaus.

            Hochzeitsstein (Aufn. J. Hahn, 1985)  https://www.alemannia-judaica.de/images/Images12/Edelfingen%20Synagoge%20101.jpg

Seit 2021 sind mehrere sog. „Stolpersteine“ in Edelfingen zu finden, so z.B. in der Ratsstraße für Angehörige der Familie Adler und in der Alten Frankenstraße für die Familien Frank und Schorsch.

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verlegt für Angehörige der Familie Frank in der Alten Frankenstraße (Aufn. RSH 2021, aus: wikipedia.org CC BY-SA 4.0)

 

 Aus Edelfingen stammte Immanuel Ehrlich (geb. 1873), eines von sechs Kindern des Handelsmannes Löw Ehrlich. Nach seiner Lehrerausbildung in einer Jüdischen Lehrerbildungsanstalt begann Immanuel Ehrlich gegen Mitte der 1890er Jahre seine Tätigkeit als Lehrer und Schochet in Schwelm, wo er mehr als vier (!) Jahrzehnte tätig war. 1938 war er kurzzeitig im KZ Sachsenhausen inhaftiert. 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er kurze Zeit später umkam. 2020 wurde auf Ratsbeschluss in Schwelm ein Straßenabschnitt in „Immanuel-Ehrlich-Platz“ benannt. 

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag Stuttgart 1966, S. 70/71

Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation (Universität Tübingen), Nagold 1969

Die Juden in Tauberfranken 1933 - 1945. Quellen und didaktische Hinweise für die Hand des Lehrers, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1984

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 110

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 333/334

Wolfgang Goez, Einwohner- und Familienbuch Edelfingen bis 1876, Plaidt 2006 (Anm. mit Kurz-Genealogien jüdischer Familien S. 397 - 432)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 24/25

Edelfingen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, meist personenbezogenen Angaben zur jüdischen Ortshistorie)

Auflistung der in Edelfingen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Mergentheim (2021)