Glatz (Schlesien)

Schlesien Kr Glatz - Neurode.pngPL Klodzko map.svg Das niederschlesische Glatz - im Schutze der Burg – lag an einer wichtigen Handelsstraße zwischen Böhmen und Polen. Glatz ist das heutige polnische Kłodzko mit derzeit ca. 28.000 Einwohnern in der Woiwodschaft Wroclaw (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Kłodzko rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia. org CC BY-SA 3.0).

 

Juden in Glatz wurden erstmals um die Mitte des 14.Jahrhunderts im ältesten Glatzer Stadtbuch erwähnt; sie übten damals hier vor allem den Geldverleih und Pfandhandel aus. Sie wohnten in der 1434 erstmals genannten „Judengasse“, der späteren Nonnengasse; hier befand sich auch die Synagoge. Die Existenz einer „Judenschule“ und eines eigenen Friedhofs vor dem Böhmischen Tor lassen auf das Vorhandensein einer frühen, organisierten Judengemeinde schließen. Im Gegensatz zu anderen schlesischen Städten war die Glatzer Judenschaft bis gegen Ende des 15.Jahrhunderts keinen Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Spannungen zwischen der Glatzer Bürgerschaft und den hier ansässigen Juden ergaben sich dadurch, weil der Landesherr letztere - in den Augen der Bürgerschaft - begünstigt und die Rechte der Stadt außer Acht gelassen hatte. Konsequenz dieses Streites, bei dem sich der Glatzer Stadtrat durchsetzte, war schließlich 1492 die Abwanderung bzw. Vertreibung der jüdischen Familien aus der Stadt .

In der „Glätzischen Chronika“ wurden die Vertreibungen wie folgt begründet:... Anno 1492 sind die Juden aus Glatz vertrieben worden wegen Entehrung des Sacraments, und ward zur ewigen Gedächniß eine Säule auf die Böhmische Gasse gesetzt ...”

Stadtansicht um 1650

Glatz - Colorierter Kupferstich von M. Merian, um 1660 (Repro Chr. Drescher, aus: grafschaft-glatz.de)

Bis in die Mitte des 18.Jahrhunderts waren dauerhaft keine Juden in Glatz ansässig, ausgenommen wenige „Münzjuden“, die als Silberlieferanten tätig waren, und solche, die die Glatzer Jahrmärkte aufsuchten. Seit 1814 vergrößerte sich allmählich die Zahl der Juden in Glatz; die meisten kamen aus der Stadt Zülz. Eine jüdische Kultusgemeinde gründete sich um 1825.

Diese erwarb damals einen eigenen Begräbnisplatz; Gottesdienste wurden zunächst in angemieteten Beträumen abgehalten, ehe im September 1885 ein in rotem Backstein gefertigter Synagogenneubau - entworfen vom Architekten Albert Grau - an der Grünen Straße eingeweiht werden konnte.

                           Synagoga w Kłodzku 2.JPG

Grüne Straße in Glaz mit Synagoge links - hist. Postkarte (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)  -  Synagoge (hist. Aufn., um 1930)

Juden in Glatz:

         --- 1800 ............................   2 jüdische Familien,

    --- 1816 ............................   5     “       “    ,

    --- 1824 ............................  12     “       “    ,

    --- 1840 ........................ ca.  60 Juden,

    --- 1843 ............................ 102   “  ,

    --- 1871 ........................ ca. 220   “  ,

    --- 1880 ............................ 251   “  ,

    --- 1895 ............................ 208   “  ,

    --- 1900 ............................ 183   “  ,

    --- 1910 ............................ 157   “  ,

    --- um 1930/33 .................. ca. 120   “  (in ca. 30 Familien),

    --- 1938 ............................  58   “  .              

Angaben aus: Henkel, Geschichte der Juden zu Glatz, (unveröffentlichtes) Maschinenmanuskript, Glatz 1936

und                 Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, S. 86/87

http://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/uploads/RTEmagicC_a96b4672ef.JPG.JPG Ring mit Rathaus in Glatz (hist. Postkarte)

 

Zu Beginn der 1930er Jahre bestritten die Glatzer Juden ihren Lebensunterhalt als Geschäfts- und Fabrikbesitzer, aber auch als Ärzte und Rechtsanwälte. Wirtschaftlich waren die Glatzer Juden in die städtische Gesellschaft im allgemeinen integriert, doch blieben sie gesellschaftlich meist unter sich.

Nach der NS-Machtübernahme verließen die ersten Familien die Stadt; ab 1936 verstärkte sich deren Abwanderung noch. Sie verzogen entweder ins nahe Breslau oder emigrierten in außereuropäische Länder.

Am 9.November 1938 führte auch in Glatz der „spontane Volkszorn“ zur Niederbrennung der Synagoge.

 Synagoga w Kłodzku 3.jpgausgebrannte Synagoge, Nov. 1938 (Aufn. aus: commons.wikimedia.org, CCO)

Das letzte im Dezember 1938 noch bestehende jüdische Geschäft wurde 1941 „arisiert“. Die wenigen in Glatz verbliebenen waren sog. „Mischlinge“ und „in Mischehe“ verheiratete Juden; alle anderen waren rechtzeitig emigriert oder waren bereits deportiert worden.

 

In den Nachkriegsjahren hielten sich mehr als 2.000 jüdische Personen in der Stadt auf und bildeten eine neue Gemeinde. In den Folgejahrzehnten verließen aber die allermeisten wieder ihre vorläufigen Wohnsitze; um 1960 hielten sich nur noch knapp 200 Juden hier auf. Zehn Jahre später hatte die gesamte jüdische Bevölkerung Klodzko verlassen.

Im heutigen Kłodzko erinnert heute so gut wie nichts mehr an die einstige jüdische Gemeinde der Stadt. Ein im Jahre 1995 aufgerichteter Gedenkstein mit einer Bronzetafel - mehrsprachig beschriftet - erinnert wie folgt:

Hier stand die Glatzer Synagoge,

entweiht und verbrannt durch die Nationalsozialisten in der Pogromnacht des 9.November 1938.

Ehemalige deutsche und heutige polnische Bürger - 50 Jahre nach Kriegsende

2014 Kłodzko, pomnik w miejscu synagogi 03.jpg Gedenkstein mit -tafel (Aufn. Jacek Halicki, 2014, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

"Dekalog in Flammen" - ein Werk des Darmstädter Bildhauers Gerhard Roese - wurde 2018 von ihm als Schenkung der Stadt Kłodzko übereignet; diese historische Skulptur will der schlesischen Stadt ihre zerstörte Synagoge wenigstens symbolisch zurückgeben.

Der jüdische Friedhof machte über Jahrzehnte hinweg einen verwahrlosten Eindruck. Auf Grund der Initiative der "Stiftung zur Erhaltung des jüdischen Erbes" und dem Einsatz von Freiwilligen wurde ab 2005 mit der Instandsetzung begonnen; zahlreiche Grabsteine wurden wieder aufgerichtet und die den Friedhof umgebende Mauer wiederhergestellt.

Relikte des Glatzer jüdischen Friedhofs vor der Instandsetzung (Aufn. vor 2005)

Cmentarz Żydowski zdjęcie nr IV.jpgnach der Wiederherrichtung (Aufn. Wozniak, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 pl)

 

 

 

Im niederschlesischen (Bad) Landeck (poln. Lądek-Zdrój, ca. 15 Kilometer südöstlich von Glatz/Kłodzko) hat es seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinschaft gegeben, die 1906 ca. 35 Angehörige zählte. Der dortige Friedhof – nahe der früheren evangelischen Kirche angelegt - wurde während der Kriegsjahre schwer beschädigt; heute erinnern auf dem ca. 300 m² großen ehemaligen Begräbnisgelände keinerlei Grabrelikte mehr an dessen einstige Bestimmung; denn die letzten Reste wurden auf behördliche Weisung in den 1960er Jahren beseitigt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind sieben aus Landeck stammende Juden Opfer der Shoa geworden.

 Jewish Cemetery, Śnieżna Ehem. Friedhofsgelände Lądek-Zdrój, Śnieżna (Aufn. aus: sztetl.org.pl)

 

 

 

Weitere Informationen:

Ludwig Franz, Die Grafschaft Glatz in Wort und Bild, Glatz 1896 (Synagoge S. 13)

Henkel, Geschichte der Juden zu Glatz, (unveröffentlichtes) Maschinenmanuskript, Glatz 1936

Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, in: "Studia Delitzschiana", Band 14, Verlag Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1972, S. 80 – 88

Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 437 - 440

Peretz May, Die Jüdische Gemeinde in Glatz, in: "Grafschafter Bote", Januar 1989

Thomas Lutz (Red.), Die Festung Glatz und die Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus – Twierdza Klodzka i przesladowania w okresie narodowego socjalizmu, Hrg. Stiftung Topographie des Terrors, Berlin 1995

R. Gladkiewicza (Hrg.), Glatz - die Geschichte der Stadt, Klodzko 1998

Arno Herzig, Konfession und Heilsgewissheit - Schlesien und die Grafschaft Glatz in der Frühen Neuzeit, in: "Religion in der Geschichte: Kirche, Kultur und Gesellschaft", Band 9, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2002, S. 140 - 149

Simone Laqua, The Process of Entjudung in Silesia with Special Reference to Glatz, 1933 – 1945, Dissertation Universität Cambridge, 2002 (in deutscher Übersetzung in: Arno Herzig (Hrg.), Glaciographie Nova - Festschrift für Dieter Pohl, Dobu-Verlag Hamburg 2004)

Arno Herzig, Geschichte des Glatzer Landes vom Mittelalter bis zum Untergang des Alten Reiches 1806, in: Arno Herzig (Hrg.), Glaciographie Nova - Festschrift für Dieter Pohl, Dobu-Verlag Hamburg 2004

Kłodzko, in: sztetl.org.pl

Lądek-Zdrój - The Cemetery, in: sztetl.org.pl

Thomas Jamroda/u.a., Kłodzko (jüdischer Friedhof), in: kirkuty.xip.pl (Anm. längerer Beitrag)

Gerhard Roese, Dekalog on Fire, Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 2017 (online abrufbar unter: gerhardroese.de/files/gerhardroese.de/Werkshistorie/DER DEKALOG IN FLAMMEN – Publikation/2017-01_DECALOGUE_ON_FIRE_Gesamt_web.pdf (Anm. mit zahlreichen Dokumentaraufnahmen)

Johannes Breckner (Red.), Darmstädter Bildhauer Gerhard Roese verschenkt Kunstwerk an die Stadt Kłodzko, in: "Wiesbadener Kurier" vom 24.5.2018

Simon Cleven (Red.), Novemberpogrom 1938 - „Die Synagoge wurde sachgemäß in Brand gesteckt“, in: „Die WELT“ vom 6.11.2018 (enthält u.a. ein kurzes Video über die Synagogenzerstörung in Glatz)