Gleidingen (Niedersachsen)

Datei:Laatzen in H.svg     Gleidingen ist heute ein Ortsteil von Laatzen (Hannover); es ist dessen ältester Teil (Kartenskizzen 'Region Hannover', TUBS 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Stadtgliederung von Laatzen', 2007, aus: wikipedia.org, CCO).

 

Die ersten beiden in Gleidingen aufgenommenen Juden hatten 1719 ihre Schutzbriefe vom ‚Churfürstlichen Amt’ in Hildesheim erhalten; ihren Lebenserwerb bestritten sie im Handel mit Wolle und Leinwand, außerdem mit der Metzgerei. Im Laufe der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts zogen weitere Familien nach, die allerdings die Wirtschaftsgrundlage der schon hier lebenden Juden schmälerten. Ein von der Gemeinde angemieteter Betraum diente bis in die 1830er Jahre als gottesdienstlicher Versammlungsort, ehe dann auf einem Gartengrundstück an der Thorstraße um 1835 eine kleine Synagoge - mit angeschlossener Schulstube - gebaut wurde. Bei der Vergabe der Plätze im Betraum gab es innergemeindliche Streitigkeiten, die auch dann noch ausgetragen wurden, als 1847 eine neue Synagogenordnung eingeführt worden war. 

Auch Juden aus dem benachbarten Sarstedt suchten zeitweilig den Betraum in Gleidingen auf.

                   ehem. Bethaus in der Thorstraße (hist. Aufn., ?)

Seit den 1850er Jahren unterhielt die Gleidinger Gemeinde eine Elementar- und Religionsschule, die von einem festangestellten Lehrer geführt wurde; allerdings kam es oft zu Lehrerwechseln. Trotz rückläufiger Schülerzahl konnte die Elementarschule bis 1903 betrieben werden („Der israelitische Schulverband Gleidingen und die israelitische Volksschule daselbst werden vom 01. Oktober ab aufgehoben“). Danach nahmen die Grundschulkinder am Unterricht der evangelischen Schule in Gleidingen teil

Ein kleiner Friedhof bestand vermutlich seit ca. 1750 am Dammacker; der älteste noch vorhandene Grabstein stammt allerdings erst aus dem Jahre 1840.

Die Synagogengemeinde, der die Orte Heisede und seit 1859 auch Hotteln angeschlossen waren, unterstand dem Landrabbinat Hildesheim.

Juden in Gleidingen:

    --- um 1730 .........................  2 jüdische Familien,

    --- 1762 ............................  6     “       “    ,

    --- 1776 ............................  9     “       “    ,

    --- 1814 ............................  8     “       “    ,

    --- 1836 ............................ 76 Juden (ca. 12 Familien),

    --- 1848 ............................ 95   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1864 ............................ 75   “  ,

    --- 1885 ............................ 65   “  ,

    --- 1895 ............................ 44   "  ,

    --- 1905 ............................ 31   “  ,

    --- 1925 ............................ 22   “  ,

    --- 1933 ............................ 18   “  ,

    --- um 1935/36 .................. ca. 30   “  ,

    --- 1939 ............................  8   “  .

Angaben aus: Rüdiger Kröger (Bearb.), Gleidingen, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen .., Bd. 1, S. 612

 

Ab Mitte des 19.Jahrhunderts setzte allmählich eine Abwanderung von Juden aus der überwiegend jungen Generation in die größeren Städte ein. Angehörige der alteingesessenen „Stammfamilien“ blieben, vorwiegend mit dem Handel beschäftigt, im Dorf zurück.

Haupterwerbsquelle der Gleidinger Juden war bis ins 20.Jahrhundert hinein der Viehhandel; die Bedingungen dafür waren relativ gut, da die Nähe zu einer Haupteisenbahnlinie Viehtransporte aus der weiteren regionbegünstigte. Daneben betrieben Gleidinger Juden auch Handelsgeschäfte, wobei der Kauf und Verkauf von Landesprodukten erstrangig war. Insgesamt sollen die Gleidinger Juden in das innerörtliche Gemeindeleben integriert gewesen sein - bis in die NS-Zeit hinein. Doch wurden bald nach der Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe auch antisemitische Tendenzen in Gleidingen bemerkbar, die sich u.a. bei einer Grabschändung zeigten.

Die noch wenigen hier lebenden jüdischen Familien mussten dann miterleben, wie im November 1938 das Synagogengebäude von einheimischen SA-Angehörigen demoliert wurde. Fenster von Geschäften und Wohnhäusern jüdischer Besitzer wurden eingeworfen.

Das Synagogengebäude war bereits 1938 verkauft worden; zwei Jahre später erfolgte dessen Abriss.

Während einigen noch ihre Emigration ins rettende Ausland (meist nach Übersee) gelang, wurden die übrigen Juden Gleidingens deportiert. Noch Ende Januar 1945 (!) mussten zwei „in Mischehe“ lebende Juden sich einem Transport nach Theresienstadt anschließen.

Acht jüdische Bewohner Gleidingens sollen Opfer der Shoa geworden sein.

 

 Ein großer Findling mit angebrachter Inschriftentafel (Aufn. U. Mäurer, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) erinnert heute an die ehemalige Gleidinger Synagoge.

Zur Erinnerung

an die jüdische Gemeinde Gleidingens und an die Synagoge,

die in der Thorstraße ihren Standort hatte.

laatzengedenkstein geschändeter Gedenkstein (Aufn. Stadt Laatzen, 2009)

Seit Ende der 1990er Jahre werden auf dem jüdischen Friedhof am Dammackerweg wieder Bestattungen vorgenommen, so vor allem verstorbene jüdische Personen (sog. Kontingentflüchtlinge) aus der nahen Landeshauptstadt.

Jüdischer Friedhof Gleidingen 05.jpg

Eingang zum jüdischen Friedhof und jüngere Grabstätten (Aufn. U. Mäurer, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

An mehreren Stellen an der Hildesheimer Straße erinnern seit 2008 sog. „Stolpersteine“ an die ehemaligen Wohnorte jüdischer Familien, die Opfer der NS-Herrschaft geworden sind.

Datei:Stolpersteine in Gleidingen, Hildesheimer Straße 522.jpg Bildergebnis für hildesheim stolpersteine

 verlegt für Angehörige der Familien Schönfeld und Cohnheim, Hildesheimer Str. (Aufn. C. Franz, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

In Gleidingen wurde 1829 Meyer (Meir) Kayserling als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach Schulbesuch in Hannover machte er anschließend seine theologische Ausbildung in Halberstadt, Nikolsburg, Prag, Würzburg und Berlin, um daran anschließend ein Geschichts- und Philosophie-Studium zu absolvieren. Im Jahre 1861 wurde Kayerling von der Kantonsregierung des Aargau (Schweiz) zum Rabbiner von Endingen und Lengnau berufen. Nach etwa zehnjähriger Tätigkeit, die wegen seines Eintretens für die Emanzipation der Juden stark opponiert wurde, ging er nach Pest (Österreich-Ungarn), wo er als Rabbiner wirkte. Zu seinen Hinterlassenschaften zählten diverse Abhandlungen besonders zur Geschichte der sephardischen Juden. 1905 verstarb er.

 

 

 

Weitere Informationen:

Hans Lauenstein, Die Entwicklung eines niedersächsischen Bauerndorfes in den letzten 100 Jahren, in: "Forschungen zur Geschichte Niedersachsens" 6/1, Hildesheim/Leipzig 1921

Friedrich John, Gleidingen 983 - 1983, Laatzen 1983

Angela Langner, Der jüdische Friedhof in Gleidingen, Hrg. Stadt Laatzen (1997 - Neuauflage 2014)

Rüdiger Kröger (Bearb.), Gleidingen (heute Laatzen-Gleidingen), in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 612 - 617

Rüdiger Dzienziol (Bearb.), Gleidingen - Die Zuwanderung der Juden, online abrufbar unter: gleidingen.de/juden

Kim Hüsing, Steine als Spuren ? – Juden in Gleidingen, online abrufbar unter: laatzen.de

Johannes Dorndorf (Red.), Demnig verlegt Stolpersteine, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine“ vom 26.3.2010

Auflistung der Stolpersteine in Laatzen, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Laatzen

Angela Langner, Der jüdische Friedhof in Gleidingen, Hrg. Stadt Laatzen 2012

Marlo Moritz (Bearb.), Geschichte der Gleidinger Juden – Facharbeit eines Schülers der St. Ursula-Schule Hannover, 2013

Daniel Junker (Red.), Ausstellung über die jüdische Gemeinde, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine“ vom 2.11.2018

Johannes Dorndorf (Red.), Laatzen: Kulturring zeigt Ausstellung über jüdische Gemeinde in Gleidingen, in: „HAZ – Hannoversche Allgemeine“ vom 23.11.2023