Grötzingen (Baden-Württemberg)

Strecke der KraichgaubahnLage von Grötzingen in Karlsruhe Grötzingen ist seit seiner Eingemeindung (1974) der östlichste Stadtteil von Karlsruhe mit derzeit ca. 9.000 Einwohnern - gelegen zwischen Kraichgauer Hügelland und Rheinebene (Kartenskizzen aus: wikipedia.org/wiki/Kraichgaubahn#/media/Datei:KraichgaubahnLandkarte.png  und  Lage von Grötzingen innerhalb Karlsruhes, S. 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Ende des 15.Jahrhunderts sollen erstmals jüdische Familien vorübergehend in Grötzingen gelebt haben; als ihnen aber die Errichtung eines Betraums untersagt wurde, verließen sie das Dorf wieder in Richtung Durlach. Während des 16.Jahrhunderts siedelten sich erneut Juden in Grötzingen an, ab ca. 1680 lebten wenige jüdische Familien dann dauerhaft im Dorf. Wenige Jahre später führten Kriegsereignisse zur Zerstörung des Dorfes (1689/1690). Unter dem Schutz des badischen Markgrafen Friedrich Magnus ließen sich in der Folgezeit weitere Juden hier nieder.

Im Jahre 1799 weihte die jüdische Landgemeinde ihre Synagoge in der Oberen Gasse (Krumme Straße, später Synagogengasse) ein; zuvor hatte man sich zu Gottesdiensten in privaten Räumen getroffen. Als der Betsaal für die wachsende Zahl der Familien nicht mehr ausreichte und ein geeignetes Baugrundstück angekauft worden war, gelang es den Gemeindeangehörigen in einem finanziellen Kraftakt, eine neue Synagoge zu bauen. Mit einem Fest, an dem auch der Enkel des Markgrafen Karl Friedrich teilnahm, wurde die Einweihung begangen. Über dem Eingangsportal war die Inschrift „Siehe, wie schön und lieblich es ist, wenn Brüder zusammenwohnen. (Psalm 133,1)“ angebracht.

Synagoge Grötzingen (Karlsruhe) Plan 03.jpg Bauskizzen der Synagoge (aus: wikipedia.org, CCO).

           Synagoge Grötzingen (hinten Bildmitte, Zeichnung Werner Hahn)

Bis zu ihrer Zerstörung 1938 wurde die Grötzinger Synagoge auch von den Juden aus Durlach - sie gehörten seit 1894 zur Gemeinde - aufgesucht. Die jüdischen Kinder besuchten im 19.Jahrhundert die christliche Ortsschule; nur Religionsunterricht wurde im Schulraum der Synagoge erteilt.

Zunächst wurden die Verstorbenen der Gemeinde auf dem alten jüdischen Friedhof in Durlach beerdigt, später dann auf dem Verbandsfriedhof in Obergrombach. Einen eigenen kleinflächigen Friedhof am Ort - im Gewann „Junghälden“ an der Werrabronner Straße - legte man erst um 1905 an.

Die Gemeinde gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Karlsruhe, seit 1885 zum Rabbinatsbezirk Bretten.

Seit 1884 gehörten auch die in Durlach lebenden jüdischen Familien der Grötzinger Gemeinde an.

Juden in Grötzingen:

         --- um 1680 ........................ eine jüdische Familie,

    --- um 1700 ........................   3     “           n,

    --- um 1740 ........................   6     “       “    ,*    * mit Durlach

    --- um 1770 ........................  12     “       “    ,

    --- 1798 ...........................  15     “       “    ,

    --- 1816 ...........................  85 Juden,

    --- 1825 ...........................  99   “  (knapp 6% d. Bevölk.),

    --- 1852 ........................... 152   “  (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1867 ........................... 121   “  ,

    --- 1875 ...........................  97   "  (knapp 5% d. Bevölk.),

    --- 1880 ...........................  93   “  ,

    --- 1900 ...........................  72   “  (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1910 ...........................  64   “  ,

    --- 1925 ...........................  31   “  ,

    --- 1933 ...........................  20   “  ,

    --- 1940 (Sommer) ..................  12   “  ,

             (Nov.) ....................   keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, ..., S. 113

und                 Susanne Asche, Vom Traditionalismus auf dem Land zur Anpassung in der Stadt ..., S. 190

 

Im 18./19. Jahrhundert lebten die in Grötzingen ansässigen Juden zumeist vom Handel; als Kramhändler versorgten sie die Landbevölkerung mit Manufakturwaren, die sie teils als Hausierer, teils in kleinen Läden anboten. 

                                Anzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 7.12.1893

Im Jahre 1848 kam es in Grötzingen vor allem aus ökonomischen Gründen zu gewaltsamen Ausschreitungen gegenüber den hier lebenden Juden. Sie wurden gezwungen, auf ihr Bürgerrecht zu verzichten. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wanderten viele Grötzinger Bewohner nach Nordamerika aus, darunter auch zahlreiche jüdische Familien. Die noch im Ort verbliebenen wenigen Juden bestritten ihren Lebensunterhalt mit kleinen Manufakturwarengeschäften, zwei industriellen Fertigungsstätten (Tabak- u. Mazzenfabrik) und einer Viehhandlung. Zu Beginn der 1930er Jahre setzte sich die jüdische Ortsbevölkerung nur noch aus 20 Personen zusammen.

Während der „Reichskristallnacht“ fiel die Synagoge NS-Tätern zum Opfer; nachdem zunächst die Inneneinrichtung mit Äxten zerschlagen und aus dem Gebäude herausgeworfen worden war, sollte das Haus anschließend angezündet werden; Nachbarn konnten dies mit dem Hinweis auf die Gefährdung ihrer Anwesen noch verhindern. Anfang 1939 wurde das Synagogengebäude schließlich abgerissen. Wem nicht die Flucht ins Ausland gelang, der wurde Ende Oktober 1940 ins südfranzösische Gurs deportiert: Zwölf Grötzinger Juden traf dieses Schicksal.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 19 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Grötzinger Juden Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/groetzingen_synagoge.htm).

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2028/Groetzingen%20Synagoge%20151.jpg In der Krummen Strae erinnert seit 1983 eine Gedenk-Stele an die ehemalige Synagoge und deren Zerstörung 1938 (Aufn. J. Hahn, 2003); die Stele trägt die folgende Inschrift:

Hier stand die 1799 erbaute und 1899 umgebaute Synagoge der Jüdischen Gemeinde Grötzingen.

Sie wurde am 10.November 1938 unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zerstört.

   Gedenkstein in Grötzingen Ein Mahnmal für die deportierten Juden und Jüdinnen Grötzingens wurde 2007 eingeweiht - ein Entwurf von Schüler/innen des Ludwig-Marum-Gymnasiums Pfinztal. Ein fast identischer Memorialstein steht als Teil des zentralen Deportations-Mahnmals in Neckarzimmern (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de). Zeitgleich enthüllte man im Rathaus von Grötzingen eine Gedenktafel, auf der namentlich alle Deportationsopfer verzeichnet sind.

An fünf verschiedenen Standorten in Grötzingen erinnern sog. „Stolpersteine“ an Angehörige jüdischer Familien, die während der NS-Zeit einer Verfolgung ausgesetzt waren.

File:Stolperstein Thekla Weil Karlsruhe Grötzingen.jpg File:Stolperstein Emil Elias Weil Karlsruhe Grötzingen.jpg Stolperstein Ludwig Lazarus Traub Karlsruhe Grötzingen.jpg Stolperstein Jenny Traub Karlsruhe Grötzingen.jpg Stolperstein Mina Traub Karlsruhe Grötzingen.jpg

verlegt am Niddaplatz und in der Bruchwaldstraße (Aufn. B., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem um 1905 angelegten israelitischen Friedhof - dieser liegt heute innerhalb eines Neubaugebietes – findet man noch 13 Grabsteine.

jüdische Begräbnisstätte, Grötzingen (Aufn. I., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY 2.0)

 

[vgl.  Durlach (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Sigmund Metzger, Festschrift zum Hundertjährigen Jubiläum der Erbauung der Synagoge in Grötzingen (1899)

Reprint: Evangelische Kirchengemeinde Karlsruhe-Grötzingen (Hrg. Ulrich Schadt), Karlsruhe-Grötzingen, 2002

Johann Anton Zehnter, Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Durlach, in: "Zeitschrift zur Geschichte des Oberrheins", (260) 54, NF 15

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Stuttgart 1968, S. 112/113

Susanne Asche, Vom Traditionalismus auf dem Land zur Anpassung in der Stadt. Geschichte der Juden in Grötzingen und Durlach 1715 - 1933, in: Heinz Schmitt/u.a. (Hrg.), Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung, Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Bd. 8, Badenia-Verlag, Karlsruhe 1988, S. 189 f.

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 271

Susanne Asche, Geschichte der jüdischen Gemeinde in Grötzingen, in: Eintausend Jahre Grötzingen - Die Geschichte eines Dorfes, in: "Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs", Band 13/1991

Barbara Döpp (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Grötzingen, unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1992

Der jüdische Friedhof in Grötzingen, Hrg. Stadt Hemsbach in Zusammenarbeit mit dem Verein “Ehemalige Synagoge in Hembach”, Hemsbach 1993

Grötzingen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 232 – 235

Stadtarchiv Grötzingen (Hrg.), Gedenkbuch für die Grötzinger Juden, Grötzingen 2008

Auflistung der Stolpersteine in Karlsruhe-Grötzingen, onöine abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Karlsruhe