Haren/Ems (Niedersachsen)

Datei:LD Osnabrück.jpg Haren (Ems) – Wikipedia   Haren (Ems) – eine Kleinstadt mit derzeit ca. 23.000 Einwohnern - liegt im zentralen Teil des Emslandes nur wenige Kilometer nördlich von Meppen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Emsland', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Als erster am Ort ansässiger Schutzjude ist der Kaufmann Joseph Salomon Fiebelmann urkundlich belegt. Er hatte sich 1766 mit seiner Familie in Haren niedergelassen. In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts wuchs die kleine jüdische Gemeinschaft von zwei auf fünf Familien. Seit dieser Zeit gab es auch einen Betraum in einem Privathaus, der offensichtlich im Laufe der Jahre mehrfach gewechselt wurde. Da die kleine Gemeinschaft oft Schwierigkeiten hatte, einen Minjan zusammenzubringen, wurden gegen Entlohnung auswärtige Glaubensgenossen zu Gottesdiensten hinzugezogen. Die winzige Gemeinde unterhielt dann später ein kleines Synagogengebäude am Pascheberg, das 1909 unter Beteiligung der Honoratioren des Ortes feierlich eingeweiht wurde; es war ein Backsteinbau mit einem seitlich angebauten Glockenturm.

                          Synagoge Haren (Ausschnitt aus hist. Postkarte, um 1920)

Kurzzeitig unterhielt die Harener Judenschaft auch einen Lehrer; seit 1843 besuchten die jüdischen Kinder die Ortsschule. Die um 1885 behördlich genehmigte Religionsschule war bis Anfang der 1930er Jahre in Betrieb.

Südlich von Haren, in Wesuwer Brook, gab es einen alten Friedhof, der nach der Jahrhundertwende durch einen neuen „An der Tenge“ ersetzt wurde; dieser lag nördlich des Ortes. 

Die Gemeinde Haren, zu der auch die wenigen Juden in Rütenbrock zählten, gehörte zum Landrabbinat Emden.

Juden in Haren:

    --- um 1770 ..................... eine jüdische Familie,

    --- 1828 ........................   5     “        "  n,

    --- 1848 ........................  29 Juden,

    --- 1871 ........................  17   “  ,

    --- 1885 ........................  37   “  ,

    --- 1905 ........................  20   “  ,

    --- 1925 ........................  32   “  ,

    --- 1933 ........................  28   “  ,

    --- 1939 ........................  19   “  ,

    --- 1942 ........................  keine.

Angaben aus:  Daniel Fraenkel (Bearb.), Haren, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen..., Bd. 1, S. 797

EmsstrasseNordstrasseAbb. aus: senioren-haren.de

 

Die Mehrzahl der jüdischen Familien Harens verdiente ihren Lebensunterhalt im Viehhandel, oft verbunden mit dem Metzgergewerbe. Die Beziehungen zwischen katholischer Bevölkerungsmehrheit und den jüdischen Familien waren seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts relativ problemlos; gegenseitige Akzeptanz und Toleranz war noch bis in die NS-Zeit spürbar.

Die NSDAP konnte in Haren zunächst kaum Fuß fassen; noch bei den Reichstagswahlen im März 1933 stimmten mehr als 75% der Wähler für das Zentrum, nur knapp 20% für die Nationalsozialisten.

Die erste gewalttätige antijüdische ‚Aktion’ in Haren fand am 10.November 1938 statt; Meppener SA-Angehörige setzten das Synagogengebäude in Brand. Wenige Stunden später erreichte ein weiteres SA-Kommando - es waren Wachmänner aus einem der Emslandlager - das Dorf, zog grölend durch die Straßen, um danach in von Juden bewohnte Häuser einzudringen und diese zu durchsuchen; Hausrat und Mobiliar wurden demoliert. Fünf jüdische Männer wurden zunächst zu ‚Aufräumungsarbeiten’ bei der niedergebrannten Synagoge gezwungen und anschließend nach Lingen verbracht; von hier wurden sie ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Die letzten in Haren lebenden Juden wurden 1941/1942 deportiert; ihre Schicksale sind zumeist ungeklärt. Einige Harener Juden verbrachten ihre letzten Monate vor ihrer Deportation im „Judenhaus“ in der Lingener Marienstraße.

Gedenktafel der verschollenen und getöteten jüdischen Harener Gemeindeangehöriger:

Auf dem ehem. Synagogengelände an der Werftstraße, auf dem seit 1960 die lutherische Kirche steht, erinnert seit 1981 ein Gedenkstein an die einstige kleine jüdische Gemeinde Harens; er trägt die Inschrift:

                                           Zum Gedenken an die jüdischen Mitbürger unserer Stadt und an die im Jahre 1938 zerstörte Synagoge.

                                                                                     Den Lebenden zur Mahnung

         Denn der Herr der Heerscharen wird einen Gerichtstag halten gegen alles Hohe und Stolze, gegen alles Erhabene, um es zu erniedrigen.

 

Im Jahre 2012 wurden in Haren an drei Standorten (in der Langen Straße und Wesuwer Str.) zwölf sog. „Stolpersteine“ verlegt; sie erinnern an Angehörige dreier jüdischer Familien (Sternberg, de Vries u. Frank), die deportiert und ermordet wurden.

          Gegen das Vergessen – SPD-Ortsverein Haren reinigt Stolpersteine › SPD HarenStolpersteine für Familie Sternberg (Aufn. aus: harener-spd.de)

Haren - Landegger Straße + An der Tange - Jüdischer Friedhof 02 ies.jpg Auf dem Friedhofsgelände „An der Tenge“ / Landeggerstraße findet man noch etwa 20 Grabsteine, davon stammen sechs Steine vom aufgelassenen alten Friedhof. 1988 wurde auf dem Gelände ein Gedenkstein aufgestellt.

Friedhof in Haren (Aufn. F. Vincentz, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

Anmerkungen zur unmittelbaren Nachkriegsgeschichte von Haren:

Im Frühjahr 1945 suchten nach dem Ende der Kampfhandlungen ca. 30.000 polnische Zivilisten Zuflucht bei der 1.polnischen Panzerdivision (war Teil der britischen Armee). Zusammen mit den mehr als 16.000 polnischen Soldaten bildete sich im Emsland eine Art polnische Enklave; denn die britische Militärregierung musste nun Unterkünfte für diese große Personenzahl schaffen. Neben wieder genutzten Barackenlagern requirierte man weitere Quartiere: Einige emsländische Gemeinden mussten von ihren Bewohnern komplett geräumt werden; dies traf auch im Mai 1945 die Gemeinde Haren. Innerhalb einer Woche - zwischen dem 21. und 28. Mai 1945 - mussten mehr als 500 Häuser geräumt werden, und so wurden ca. 1.000 Familien obdachlos. Die betroffenen Bewohner mussten ihre Möbel, Öfen, Küchengeräte und Geschirr in den Wohnungen zurücklassen. Als Aufnahmegebiet wurden den Harensern die umliegenden Bauernschaften zugewiesen. In den Ort Haren zogen nun etwa 4.000 ehemals arbeitsverpflichtete Polen ein. Der damalige polnische Oberkommandierende gab Haren einen neuen Namen: Maczków. Hier entwickelte sich nun eine neue Stadt mit einem polnischen Bürgermeister, Stadtrat, einer polnischen Pfarrei und einem Krankenhaus. Am 10. September 1948 verließen die letzten polnischen Familien Haren.

Maczków - polska enklawa w okupowanych Niemczech.png Polish troops in Germany.jpg

Das "polnische Haren" (hist. Aufn. von 1945, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

 

 

Weitere Informationen:

Daniel Fraenkel (Bearb.), Haren, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 797 – 801

N.N. (Red.), Steine gegen das Vergessen, in: „Lingener Tagespost“ vom 16.7.2009

Oberschule Haren (Bearb.), Auf Spurensuche: Harener Juden im Nationalsozialismus - Orte des Gedenkens in Haren, online abrufbar unter: projekt-obsharen.de/Main/VerfolgungDerJudenInHaren

Auflistung der in Haren verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Haren_(Ems)

Die Schifferstadt Haren (Ems), online abrufbar unter: maritimemeile-haren.de (mit diversen historischen Aufnahmen der Stadt)

Oberschule Haren (Hrg.), Auf Spurensuche: Harener Juden im Nationalsozialismus, online abrufbar unter: projekt-obsharen.de  (von 2013)

Emsländische Landschaft e.V. (Hrg.),  Auf den Spuren jüdischen Lebens im Emsland, 2014, S. 13 – 15

Tim Gallandi (Red.), Als Haren eine polnische Stadt war, in: „Osnabrücker Zeitung“ vom 9.12.2014

Maczków - Eine Episode polnischer Geschichte, online abrufbar unter: haren.de

Tobias Böckermann (Red.), Maczków und Jüdischer Friedhof: Haren will Erinnerungskultur stärken, in: „Lingener Tagespost“ vom 18.7.2021