Hergershausen (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Babenhausen (Hessen)Datei:Babenhausen in DA.svg  Hergershausen ist heute ein Ortsteil von Babenhausen im äußersten Nordosten des Landkreises Darmstadt-Dieburg - knapp 15 Kilometer westlich von Aschaffenburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Hergershausen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Darmstadt-Dieburg', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im kleinen Dorfe Hergershausen gehörte um 1830 jeder 4. Bewohner dem jüdischen Galuben an.

Bereits zu Beginn des 17.Jahrhunderts siedelten sich nachweislich die ersten Juden in Hergershausen an. Die Herren von Groschlag erlaubten einer kleinen Zahl jüdischer Familien den Zuzug.

Das Synagogengebäude war ein einstöckiger Fachwerkbau in der Bachgasse (Tränkgasse) in der Ortsmitte und bot knapp 40 Männern und 20 Frauen Platz; er wurde Ende der 1860er Jahre errichtet und im September 1869 eingeweiht; eine Spende einer nach Nordamerika ausgewanderten Familie trug zur Ausstattung des Innenraumes bei.

      

                                                        Zeitungsannonce von 1869                         Hergershausener Synagoge, um 1925 (Abb. aus: wikipedia,org, CCO)

Für die Besorgung gemeindlicher religiöser Aufgaben war ein Religionslehrer angestellt; die Besetzung der Stelle war im allgemeinen einem häufigen Wechsel; mehr als ein Vierteljahrhundert (von 1873 bis 1909) übte Bernhard Ehrmann das Amt des Kantors und Religionslehrers aus. Letzter Lehrer in Hergershausen war seit 1922 der in Minsk geborene Ascher (Anschel) Schmulowitz.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20111/Hergershausen%20Israelit%2002101872.jpgKleinanzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2.10.1872

Ihre Verstorbenen begrub die jüdische Gemeinschaft auf dem Friedhof in Sickenhofen.

Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Bezirksrabbinat Darmstadt.

Juden in Hergershausen:

         --- 1819 .............................  11 jüdische Familien,

--- um 1830 .......................... 122 Juden (ca. 22% d. Bevölk.),

    --- 1867 .............................  97   “  ,

    --- 1880 .............................  86   “   (ca. 13% d. Bevölk.),

    --- 1900/05 ..........................  77   “  ,

    --- 1910 .............................  69   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1925 .............................  70   “  ,

    --- 1930/33 ...................... ca.  35   “  ,

    --- 1939 (Febr.) .....................  eine jüdische Familie.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 354

und                 K.Lötzsch/G.Wittenberger, Die Juden von Babenhausen, S. 112

 

Um 1830 wohnten etwa 120 Juden in Hergershausen, dies entsprach in etwa einem Viertel der gesamten Dorfbevölkerung. In der 2. Hälfte des 19.Jahrhunderts war die Zahl der christlichen und jüdischen Dorfbewohner rückläufig, da zahlreiche Familien in die "Neue Welt" auswanderten.

Die Juden des Ortes lebten vom Pferde- und Viehhandel und waren als Metzger und in der Geflügelzucht tätig.

                                                       aus: „CV-Zeitung“ vom März 1924

Um die Jahrhundertwende waren Hergershäuser Juden aktiv am dörflichen Leben beteiligt; von Ausnahmen abgesehen soll zwischen christlichen und jüdischen Bewohnern ein gutes Verhältnis bestanden haben. Aus den Erinnerungen von Herta Stern: „... Das Gemeindeleben in Hergershausen war harmonisch, ebenso das Verhältnis zu den Christen am Ort. Wir waren fromm, aber nicht orthodox, waren bewußte Juden und lebten unter uns. Zum Neuen Jahr wünschten auch die Christen alles Gute, zu Pessach liebten sie es, Mazze zu kaufen, zu Hochzeiten und Beerdigungen gratulierte oder kondolierte man sich gegenseitig. ...” Obwohl die Zahl der Gemeindemitglieder in den 1930er Jahren sehr gering war, fanden in der Synagoge offenbar bis 1938 regelmäßige Gottesdienste statt.

Während der „Kristallnacht“ zerstörten SA-Angehörige aus Starkenburg die Synagoge und verbrannten das Mobiliar und die Ritualien; das stark beschädigte Gebäude wurde danach von der lokalen Feuerwehr niedergelegt. Aus einem Schreiben des Ortsbürgermeisters vom 30.9.1939: ... Die hier niedergelegte Synagoge ist ordnungsgemäß geräumt. Die Räumungskosten wurden von den noch hier wohnhaft gewesenen Juden bezahlt. Das Grundstück erwirbt die Gemeinde. Verhandlungen sind bereits aufgenommen.”  Bis Kriegsbeginn hatten alle Juden Hergershausen verlassen; die letzte hier lebende jüdische Familie war die des Pferdehändler Daniel Siegel (Eckstraße) gewesen. Während ein Teil in die Emigration gegangen war, verzog der andere Teil zumeist nach Frankfurt/Main.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20387/Hergershausen%20KK%20MZ%20Siegel%20Benjamin.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20387/Hergershausen%20KK%20MZ%20Strauss%20Rosalie.jpg zwei J-Kennkarten

Abb. von weiteren J-Kennkarten siehe: alemannia-judaica.de/hergershausen_synagoge.htm

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 21 gebürtige bzw. länger in Hergershausen ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa (vgl. namentliche Nennung der Opfer in: alemannia-judaica.de/hergershausen_synagoge.htm).

 

Zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Stadtgebiet von Babenhausen - in Hergershausen, Langstadt und Sickenhofen - wurde am 50.Jahrestag des Novemberpogroms an der Amtsgasse ein Gedenkstein enthüllt.

Seit 2006 erinnert eine schlichte Gedenktafel an das einstige jüdische Gotteshaus:

Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,

aber meine Gnade soll nicht von Dir weichen.

Jesaja 54,10

Hier stand die Synagoge von Hergershausen

Eingeweiht am 25.September 1869 – zerstört am 9.u. 10.November 1938

Zur Erinnerung an das Leiden unserer jüdischen Mitbürger

            https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20196/Hergershausen%20Synagoge%20902.jpg Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2009, aus: alemannia-judaica.de)

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 354

Klaus Lötzsch/Georg Wittenberger, Die Juden von Babenhausen, Hrg. Heimat- und Geschichtsverein Babenhausen e.V., Babenhausen 1988, S. 50 f. und S. 112 - 122

Georg Wittenberger, Die Familie Siegel von Hergershausen. Babenhausen einst und jetzt, hrg. vom Heimat- und Geschichtsverein Babenhausen e.V., Band 22, Babenhausen 1993, S. 1- 48

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 31/32

Thomas Lange, “L’chajim” - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, Hrg. Landkreis Darmstadt-Dieburg, 1997, S. 88

Hergershausen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)