Heßdorf (Unterfranken/Bayern)

Jüdische Gemeinde - Gemünden/Main (Unterfranken/Bayern) Datei:Karsbach in MSP.svg  Heßdorf ist heute ein Ortsteil von Karsbach im unterfränkischen Landkreis Main-Spessart wenige Kilometer östlich von Gemünden/Main bzw. ca. 30 Kilometer westlich von Schweinfurt gelegen (topografische Karte ohne Eintrag von Heßdorf/Karsbach, Lencer 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Landkreis Main-Spessart', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Das damalige Pfarrdorf Heßdorf verfügte um 1810/1830 über einen ca. 40% hohen jüdischen Bevölkerungsanteil.

Ab der Mitte des 17.Jahrhunderts ist eine Ansiedlung weniger jüdischer Familien nachweisbar; sie hatten als ‚Schutzjuden’ des adligen Geschlechts der Freiherren von Thüngen ein Wohn- und Bleiberecht erhalten. Seit Mitte des 18.Jahrhunderts vergrößerte sich ihre Anzahl auf ca. 20 Familien; eine erste namentliche Nennung der „jüdischen Hausväter“ ist aus dem Jahre 1711 belegt. In den 1820er Jahren waren nahezu 40% der Dorfbevölkerung jüdischen Glaubens; die Heßdorfer Gemeinde war damit die größte im Raume Gemünden. Trotz Auswanderung vor allem jüngerer Männer (1840/1850) blieb die Zahl der jüdischen Dorfbewohner in den nächsten Jahrzehnten noch relativ hoch.

1819/1820 ließ die Judenschaft eine neue Synagoge (in der heutigen Fußgasse) einrichten, die einen älteren Betraum ablöste. Anfang der 1840er Jahre angestellte Überlegungen, eine neue Synagoge zu bauen, wurden aber schnell aufgegeben.

                                        Synagoge in Heßdorf Bildmitte (Aufn. Kreisarchiv)

Zu den Gemeindeeinrichtungen zählten ein rituelles Bad und eine Elementarschule; das Schulgebäude war 1827 errichtet worden und bis in die 1920er Jahre in Betrieb; danach gab es nur noch die Religionsschule.

                                     aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 19.6.1878

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20181/Hessdorf%20BayrGZ%2022061927.jpgaus: "Bayerische Isr. Gemeindezeitung" vom 22.6.1927

Über ein eigenes Friedhofsgelände verfügten die Heßdorfer Juden aber nicht; sie beerdigten ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof in Pfaffenhausen oder in Laudenbach.

Die streng-religiöse Gemeinde Heßdorf unterstand zuletzt dem Bezirksrabbinat Kissingen.

Juden in Heßdorf:

         --- 1655 ............................   4 jüdische Familien,

    --- um 1710 .........................   7 jüdische Haushaltungen,

--- um 1740 .........................  20 jüdische Familien,*     *andere Angabe: 10 Haushalte

--- 1788 ............................  11     "       "    ,

--- um 1800 ..................... ca.  35     „       „    ,     

    --- 1813 ............................ 167 Juden (ca. 35% d. Dorfbev.),

    --- um 1830 ..................... ca. 200   “   (ca. 40% d. Dorfbev.),

    --- 1848 ............................ 148   "  ,

    --- 1867 ............................ 131   “   (ca. 30% d. Bevölk.),

    --- 1890 ............................ 113   “  ,

    --- um 1900 ..................... ca. 100   “  ,

    --- 1910 ............................  88   “   (ca. 26% d. Bevölk.),

    --- 1925 ............................  56   “  ,

    --- 1933 ............................  48   “  ,

    --- 1935 (Mai) ......................  35   “  ,

    --- 1939 ............................   5   “  ,

    --- 1942 (Sept.) ....................   keine.

Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 316                                                  

und                 Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren, S. 29

 

Bis Mitte der 1930er Jahre stellten die jüdischen Händler aus Heßdorf die Grundversorgung in der Region sicher; alles, was zum Leben und Wirtschaften notwendig war, boten sie der bäuerlichen Bevölkerung an. Zugleich übernahmen sie die Vermarktung des im nahen Umland gezüchteten Nutzviehs. Eine in Heßdorf ansässige Mazzenbäckerei versorgte bis in die 1930er Jahre die jüdischen Gemeinden in der Umgebung. Die Zahl der Gemeindemitglieder nahm in der Folgezeit stark ab; ab 1937 konnten Gottesdienste nur noch gemeinsam mit den Juden aus Adelsberg abgehalten werden; Sabbat-Gottesdienste fanden nun an beiden Orten im wöchentlichen Wechsel statt. Während der „Kristallnacht“ wurde die Inneneinrichtung der Synagoge vernichtet; die Ritualien, die im Hause des jüdischen Lehrers versteckt waren, wurden ebenfalls zerstört. Die Täter waren vor allem SA-Leute aus Adelsberg, denen sich auch einige Ortsbewohner angeschlossen hatten. Der SA-Trupp drang in jene Häuser ein, in denen die letzten am Ort verbliebenen sechs jüdischen Familien lebten; das Inventar wurde vollständig demoliert. Am Morgen danach wurden die Juden Heßdorfs zu Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Bereits Ende Nov. 1938 ging das Synagogengebäude in den Besitz der politischen Gemeinde über. Gegen Kriegsende wurde es durch Artilleriebeschuss erheblich beschädigt und nach 1960 endgültig abgerissen; das jüdische Schulhaus blieb dagegen erhalten und dient heute Wohnzwecken.

Nach dem Novemberpogrom löste sich die Heßdorfer Gemeinde völlig auf. 1942 wurden die letzten vier jüdischen Bewohner Heßdorfs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 30 gebürtige bzw. längere Zeit in Heßdorf ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hessdorf_synagoge.htm).

 

Eine Gedenktafel am Feuerwehrhaus (Ecke Höllricher Straße/Brunngasse) erinnert heute an die einstige jüdische Gemeinde des Dorfes.

Gedenktafel (Aufn. Werner Fella) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20219/Hessdorf%20Synagoge%20190.jpg 

An Stelle von in die Gehwege verlegte sog. Stolpersteine“ präferierte der Gemeinderat die Anbringung von einer oder mehrerer Gedenktafeln. So wurde 2018 eine kleine Gedenktafel enthüllt, die namentlich an die deportierten jüdischen Bewohner erinnert.

 

 

In Höllrich - ebenfalls Ortsteil von Karsbach - gab es auch eine sehr kleine jüdische Gemeinde; sie soll um 1830/1840 gerade so viel Angehörige besessen haben, dass ein Minjan zustande kam. Erste Ansiedlungen von wenigen jüdischen Familien hatten die Freiherren von Thüngen im 18.Jahrhundert vorgenommen. Bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren für das Dorf neun Familienvorstände aufgelistet, die ihren Lebensunterhalt als Kleinwarenhändler und Makler/Schmuser bestritten.

Nachdem die Juden Höllrichs zunächst die Synagoge in Heßdorf aufgesucht hatten, war seit ca. 1830 ein eigens erkauftes Local“ vorhanden. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts löste sich die winzige Gemeinde auf. Das Synagogengebäude wurde verkauft und später abgerissen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ kamen drei aus Höllrich stammende jüdische Personen während der NS-Zeit gewaltsam ums Leben (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/hoellrich_juedgeschichte.htm#Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde).

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 316/317

Harm-Hinrich Brandt (Hrg.), Zwischen Schutzherrschaft und Emanzipation. Studien zur Geschichte der mainfränkischen Juden im 19.Jahrhundert (Taschenbuch), Würzburg 1987

Gisela Krug, Die Juden in Mainfranken zu Beginn des 19.Jahrhunderts: Statistische Untersuchungen zu ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation, in: "Mittelfränkische Studien", Band 39/1987, Würzburg 1987, S. 19 ff.

Landkreis Main-Spessart (Hrg.), “ ... auf höhere Weisung abgewandert” - Leben und Leiden der Juden im Landkreis Main-Spessart, Karlstadt 1990

Stefan Reis, “Wie Haß entsteht und wohin er führen kann” - Vom Leben und Sterben der Juden im Raum Gemünden, Hrg. Historischer Verein Gemünden und Umgebung, Heft 3, 1990

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 70

Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren, Hrg. Förderkreis Synagoge Urspringen e.V., Haigerloch 2000, S. 29/30

Werner Fella, An die ehemalige Synagoge in Heßdorf erinnert heute nur noch eine Inschrift, in:"Main-Post" vom 9.11.2000

Michael Schneeberger, „Hier wohnen viele Juden“ - Über die Geschichte der Juden in Heßdorf in Unterfranken, in: "Jüdische Landgemeinden in Bayern (17), Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israel. Kultusgemeinden in Bayern", No. 10/April 2007, S. 26 – 32

Heßdorf, in: alemannia-judaica.de (mit zumeist personenbezogenen Doklumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Höllrich, in: alemannia-judaica.de

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13/2008, S. 123/124

Hans Schlumberger/Hans-Christof Haas (Bearb.), Heßdorf mit Höllrich, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 179 - 191

Helmut Hussong (Red.), Gedenktafel statt Stolpersteinen, in: “Main-Post” vom 1.3.2018

Helmut Hussong (Red.), Mit 93 Jahren zurück in heßdorf: David Weichselbaum , in: “Main-Post” vom 27.7.2022