Kirn/Nahe (Rheinland-Pfalz)

File:Naturraumkarte Glan-Alsenz-Hoehen.png Bildergebnis für ortsdienst karte landkreis bad kreuznach Kirn ist eine Kleinstadt an der Nahe (Landkreis Bad Kreuznach) mit derzeit ca. 8.200 Einwohnern - ca. 25 Kilometer westlich der Kreisstadt gelegen (topografische Karte 'Nordpfälzer Bergland' mit Kirn am linken oberen Kartenrand, elop 2019, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  Kartenskizze 'Landkreis Bad Kreuznach', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/bad-kreuznach).

 

Bereits im mittelalterlichen Kirn lassen sich jüdische Ansiedlungen nachweisen; von den Pogromen des Jahres 1287 waren auch die Juden Kirns und die anderer rheinischer Orte stark betroffen. Ob sich jüdische Familien in den folgenden Jahrhunderten in Kirn aufhielten bzw. ansässig waren, kann nicht eindeutig nachgewiesen werden. Doch einiges spricht dafür, dass in den beiden Jahrzehnten vor dem Pestpogrom jüdische Familien in Kirn lebten, diesem dann aber zum Opfer fielen.

Während ab Mitte des 19.Jahrhunderts der Anteil der jüdischen Bevölkerung in den Landgemeinden fast überall stark rückläufig war, zogen erst in dieser Zeit Juden nach Kirn. 1892 konnte sich dann die Synagogengemeinde Kirn konstituieren.

Bereits wenige Jahre zuvor hatten sich die Juden Kirns in der Amthofstraße eine eigene Synagoge erbaut, die vor allem durch Spendengelder finanziert wurde. Seit Anfang der 1870er Jahre hatte sich die Gemeinde in einem angemieteten „Betlocal“ im Hinterhof des Gasthauses „Zur Krone“ (Übergasse) versammelt.

Über die Einweihung der Kirner Synagoge berichtete die Lokalzeitung am 26.2.1888:

„ Am 24. und 25. Februar fand seitens der hiesigen israelitischen Religionsgemeinde die Einweihung ihrer neuerbauten Synagoge statt. Von Nah und Fern hatten sich eine große Anzahl Glaubensgenossen eingefunden, um diesem schönen Feste beizuwohnen. Die Einweihung verlief programmgemäß. Um 3 Uhr nachmittags fand in der alten Synagoge der Abschiedsgottesdienst unter Ausheben der Thorarollen statt. Hierauf erfolgte der Zug zur neuen Synagoge, welcher wie folgt zusammengesetzt war: Schuljugend und Lehrer, Musik, Synagogenchor, die Gemeindeältesten mit den Thorarollen, begleitet von Festjungfrauen, Rabbiner und Kantor, der Herr Bürgermeister und Synagogenvorstand, die Ehrengäste, die Mitglieder der Kultusgemeinde und eine große Anzahl Festtheilnehmer. ... Nach Schluß dieser Feier war Abendgottesdienst und hierauf folgte im Gesellschaftshaus ein großes Festessen, an welchem sich außer den Festgenossen auch eine große Anzahl hiesiger Bürger betheiligten. Das Festessen verlief in schönster Weise und trug die Gregorius'sche Musikkapelle zur Verschönerung derselben viel bei. ... Gestern Vormittag fand wieder Festgottesdienst in der neuen Synagoge statt. Das für gestern Nachmittag 4 Uhr angekündigte Conzert im Gesellschaftshause war recht zahlreich besucht und breitete durch präcisen Vortrag der einzelnen Musikpiecen Seitens der Gregorius'schen Kapelle einen besonderen Genuß. Zu dem für Abends festgesetzten Ball waren ebenfalls recht viele Theilnehmer erschienen und hielt in Folge des schönen Verlaufs Jung und Alt bis zur frühen Morgenstunde gemüthlich beisammen.“

                   Straßenfront der Kirner Synagoge (Skizze Ewald Lehnen)

Zur Besorgung gemeindlicher Aufgaben war ein Lehrer angestellt, der neben der religiösen Unterweisung der Schulkinder zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Die Besetzung der Lehrerstelle in Kirn war einem häufigen Wechsel unterworfen.

 

    Anzeigen aus Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Oktober 1879 und vom 16. Juli 1885

  

 aus der Zeitschrift „Der Israelit" vom 27.Okt. 1892 und "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 2.Nov. 1900

Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe.

Der mittelalterliche „Judenkirchhof“ war im 14.Jahrhundert aufgelassen worden; der neuzeitliche jüdische Friedhof wurde 1870 angelegt.

Zur Kirner Kultusgemeinde gehörten nach 1900 auch die Juden aus Becherbach, die zuvor der Gemeinde in Hundsbach zugeteilt waren.

Juden in Kirn:

    --- 1858 ............................   4 Juden,

    --- 1866 ............................  45   “  ,

    --- 1895 ............................ 104   “  ,

    --- 1925 ............................ 106   “  ,

    --- 1933 ........................ ca. 110   “  ,

    --- 1939 ............................  39   “  ,

    --- 1942 (Dez.) .....................  keine.

Angaben aus: Edgar Mais, Die Verfolgung der Juden in den Landkreisen Bad Kreuznach u. Birkenfeld ..., S. 266 - 268

 

Fünf Jahre vor der NS-Machtübernahme beging die damals ca. 100köpfige jüdische Gemeinde ihr 40jährige Synagogenjubiläum; ein Artikel in der Lokalzeitung berichtete wie folgt darüber:

                      https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20238/Kirn%20Synagoge%20PA%201928.jpg aus: "Kirner Zeitung" vom 28.Febr. 1928

Schon in den ersten Jahren der NS-Zeit verließen die allermeisten der noch in Kirn lebenden jüdischen Einwohner den Ort.

Während des Novemberpogroms von 1938 zogen SA- bzw. NSDAP-Angehörige unter Führung des hiesigen Ortsgruppenleiters durch den Ort und zerstörten jüdisches Eigentum. Unter den Augen einer mehrhundertköpfigen Menschenmenge wurden fast alle Privatwohnungen und zwei Geschäfte demoliert.

Auch die Synagoge war davon betroffen; allerdings wurde von einer Brandlegung des Gebäudes Abstand genommen, da die enge Bebauung in der Amtshofstraße andere Häuser gefährdet hätten. Die demolierten Einrichtungsgegenstände wurden aber herausgerissen und wenige Tage später öffentlich verbrannt. Die letzten elf in Kirn lebenden Juden wurden im Sommer 1942 deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind ca. 50 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Kirns der "Endlösung" zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/kirn_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengebäude wurde um 1950 abgerissen.

           Abbruch des Synagogengebäudes (Aufn. 1950, Landesamt) 

Die jüdische Begräbnisstätte an der Kallenfelser Straße - unmittelbar an den kommunalen Friedhof angrenzend - weist heute ca. 55 Gräber auf.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20275/Kirn%20Friedhof%20161.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20275/Kirn%20Friedhof%20162.jpg

Jüdischer Friedhof in Kirn (Aufn. Otmar Frühauf, 2010)

Eine im Jahre 1988 angebrachte Gedenktafel am Steinweg trägt die folgende Inschrift:

Soll ich meines Bruders Hüter sein ?

Zur Erinnerung an unsere Mitbürger jüdischen Glaubens, im Gedenken an ihr erlittenes Schicksal durch Verfolgung, Deportation und Ermordung (1933 - 1945).                 Die Stadt Kirn, den 9.November 1988

undefined Gedenktafel (Aufn. P. 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

                  Am ehemaligen Standort der Synagoge (Amthofstraße) erinnert ein Denkmal an die jüdische Gemeinde und ihr Gotteshaus.

Denkmal in der AmthofstraßeundefinedAufn. P. 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

Ein von privater Seite angestoßener Versuch der Verlegung von einigen „Stolpersteinen“ in Kirn ist von den Kommunalbehörden bislang noch nicht positiv beschieden worden (Stand 2023).

 

 

Auf dem Friedhof der Ortsgemeinde Hennweiler in Kirn-Land erinnert seit 1985 eine Gedenktafel an ehemalige jüdische Bewohner.

vgl. Hennweiler (Rheinland-Pfalz)

 

 

 

In Bruschied – etwa zehn Kilometer nördlich von Kirn – wurden jüngst „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige zweier jüdischer Familien (Baum und Dornhardt) erinnern, die ehemals im Dorf lebten, ehe sie in der NS-Zeit deportiert und ermordet wurden (siehe dazu auch: Hennweiler).

  Stolpersteine erinnern an jüdische Schicksale: Bruschieder Familien wurden  1942 deportiert - Oeffentlicher Anzeiger - Rhein-ZeitungAufn. Armin Seibert, aus: "Rhein-Zeitung" vom 15.9.2021

 

 

 

Im nahen Becherbach gab es eine winzige Landgemeinde, die um 1890/1900 mit 20 Angehörigen ihren Höchststand erreichte; vor 1854 existierte im Dörfchen auch eine Betstube, die nach einem Großbrand des Ortes nicht wieder hergerichtet wurde. Danach suchten die Becherbacher Juden die Synagoge in Hundsbach bzw. in Kirn auf. Nach dem Novemberpogrom hat die letzte jüdische Familie Becherbach verlassen.

Südwestlich der Ortschaft liegt in der Flur „Vor den Kirchenäckern“ der ca. 600 m² große jüdische Friedhof, der vermutlich in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts angelegt wurde. Das Areal weist heute noch 13 Grabsteine auf; dessen ältester Stein datiert von 1762.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20288/Becherbach%20Friedhof%20215.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20288/Becherbach%20Friedhof%20220.jpg

Alte Grabsteine (Aufn. Florian Regitz, 2011, Abb. aus: alemannia-judaica.de)

 

 

In Simmertal (bis 1971 Simmern unter Dhaun) - heute der Verbandsgemeinde Kirn-Land zugehörig - erinnern heute noch zwei kleine jüdische Friedhöfe daran, dass hier ehemals Juden gelebt haben. Ein altes, um 1700 angelegtes Beerdigungsgelände unterhalb des „Habichtkopfes“ wurde um 1880 durch ein Areal ersetzt, dessen Bezeichnung „Auf Kipp“ war. Gegen Mitte des 16.Jahrhunderts sind Juden erstmals Juden in Simmern datiert; um 1785 lebten hier sechs Familien. Um 1850/1860 erreichte die Gemeinde mit ca. 60 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Zenit. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde zeitweise ein jüdischer Lehrer am Ort. Bemühungen, für die in den Orten Simmern, Seebach und Martinstein lebenden jüdischen Familien eine gemeinsame jüdische Elementarschule einzurichten, waren nicht erfolgreich. Nach 1850 wurden die wenigen Kinder aus Simmern von einem auswärtigen Lehrer unterrichtet. Eine autonome Gemeinde bestand hier bis ins Jahr 1924.

Die drei letzten jüdischen Bewohner wurden in den Kriegsjahren deportiert. Nachweislich wurden fünf gebürtige bzw. länger am Ort lebende jüdische Bewohner Opfer der Shoa.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20166/Simmertal%20Friedhof%20153.jpgBlick auf den neuen jüdischen Friedhof (Aufn. J.Hahn, 2008)

 

vgl. dazu: Merxheim (Rheinland-Pfalz)

 

 

 

Weitere Informationen:

Synagoge hätte 90.Geburtstag gehabt”, in: "Kirner Zeitung", Febr. 1978

Hartmut Lempert, Das Schicksal der Juden im Kreis Bad Kreuznach in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, in: "Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach", Bad Kreuznach 1985

Edgar Mais, Die Verfolgung der Juden in den Landkreisen Bad Kreuznach und Birkenfeld 1933 - 1945. Eine Dokumentation, in: "Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach", Band 24, Bad Kreuznach 1988

Kreisverwaltung Bad Kreuznach (Hrg.), Die jüdischen Synagogen im Landkreis Bad Kreuznach, Bad Kreuznach 1988, S. 26/27

Dokumentation jüdische Grabstätten im Kreis Bad Kreuznach. Geschichte und Gestaltung, in: "Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Bad Kreuznach", Band 28/1995, S. 237 - 260

Nikolaus Furch/Hans-Werner Ziemer, Auf den Spuren jüdischer Geschichte in Kirn, in: "SACHOR" , 9.Jg., Ausgabe 1/1999, Heft 17, S. 5 - 28

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels”. Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz, Mainz 2005, S. 98 (Becherbach) und S. 211/212 (Kirn)

Kirn, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Becherbach, in: alemannia-judaica.de (diverse Aufnahmen vom jüdischen Friedhof)

Heiner Felbecker (Bearb.), Die Jüdischen Familien Baum und Dornhard, hrg. WECrowd - Ideen- und Projektewertkstatt, online abrufbar unter: bruschied.eu/projekte-aus-der-archivarbeit/jüdische-mitbürger/ (2021)

Armin Seibert (Red.), Stolpersteine erinnern an jüdische Schicksale: Bruschieder Familien wurden 1942 deportiert, in: „Oeffentlicher Anzeiger“ vom 15.9.2021