Külsheim (Baden-Württemberg)

Physische Karte des Baulands Naturraum Nr. 128 (braun umrandet)Datei:Külsheim im Main-Tauber-Kreis.png Külsheim ist eine Kleinstadt im Main-Tauber-Kreis mit derzeit ca. 5.500 Einwohnern - wenige Kilometer nordwestlich von Tauberbischofsheim gelegen (topografische Karte des Baulands, Abb. K. Jähne, 2009, aus: wikipedia.org gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Main-Tauber-Kreis', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Bis zu den Verfolgungen bestand im badischen Külsheim eine mittelalterliche jüdische Gemeinschaft. Erste jüdische Familien sind seit 1378 hier nachweisbar.

Um 1700 wurden die Wurzeln einer neuzeitlichen Gemeinde gelegt, denn seitdem haben stets wenige jüdische Familien am Ort gelebt.

Gegen Mitte der 1790er Jahre erbaute die Külsheimer Judenschaft eine Synagoge, in der auch die jüdische Elementarschule untergebracht war, die ab 1876 als Religionsschule geführt wurde. Als Bedingung für den Synagogenbau war verfügt worden, dass „die Judenschul auf die Gass zu ohne Fenster geschlossen aufgefürth“ wurde; so sollte wohl vermieden werden, dass christliche Dorfbewohner durch Gebete und Gesänge gestört bzw. „belästigt“ würden. Unweit der Synagoge befand sich das rituelle Bad. Das gottesdienstliche Leben in Külsheim soll sich bis in die ersten Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts noch sehr traditionell abgespielt haben; so sollen die Männer - die älteren zumeist mit Bärten - mit Gehrock und Zylinder die Synagoge aufgesucht haben.

                                             

                                   Straßenfront des Synagogengebäudes                                Innenansicht der Synagoge (hist. Aufn., Archiv)

Zur Besorgung religiöser Aufgaben war ein Lehrer angestellt, der zugleich auch als Vorbeter und Schächter tätig war. In besonderer Erinnerung am Ort blieb Lehrer Salomon Levy, der mehr als drei Jahrzehnte (von 1891 bis 1924) in der Gemeinde wirkte.

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Stellenanzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ aus den Jahren 1876 – 1884 - 1891

Einen am Rande der Kleinstadt gelegenen Friedhof gab es vermutlich bereits um 1600; eine erstmalige Erwähnung stammt allerdings erst aus dem Jahre 1658. Auch jüdische Gemeinden der näheren Region wie Gissigheim, Hardheim, Hochhausen, Königheim und Tauberbischofsheim begruben bis in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts hier ihre Toten. 1875 wurde der Friedhof für die Benutzung durch die auswärtigen jüdischen Gemeinden geschlossen; diese mussten in ihren Orten jeweils eigene Friedhöfe anlegen.

Alte Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Külsheim (Aufn. R. Klotz, 1970)

Seit 1827 war Külsheim dem Bezirksrabbinat Wertheim zugeteilt.

Juden in Külsheim:

         --- 1825 ...........................   51 Juden (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1855 ...........................  224   “  ,

    --- 1864 ...........................  211   “  ,

    --- 1875 ...........................  186   “   (ca. 11% d. Bevölk.),

    --- 1897 ...........................  150   "   (in 32 Familien),

    --- 1900 ...........................  122   “  ,

    --- 1910 ...........................  106   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1925 ...........................   64   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1933 ...........................   36   “  ,

    --- 1940 (Aug.) ................ ca.   15   “  ,

             (Nov.) ....................   keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ..., S. 171

Blick auf Külsheim – hist. Postkarte um 1900 (Abb. aus: kuelsheim.blogspot.de)

 

Fast ausnahmslos verdienten die Juden in Külsheim ihren Lebensunterhalt im Handel; neben kleinen Ladengeschäften gab es mehrere Viehhandlungen, aber auch einige ambulante Händler.

Anzeigen jüdischer Gewerbetreibender von 1900 - 1902 - 1921:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20178/Kuelsheim%20Israelit%2031121900.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20302/Kuelsheim%20Israelit%2024111902.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20178/Kuelsheim%20Israelit%2026051921.jpg

Mit dem einsetzenden Wirtschaftsboykott in der NS-Zeit wurden den Külsheimer Juden allmählich ihre ökonomischen Existenzgrundlagen entzogen; im Herbst 1937 mussten die jüdischen Viehhändler ihr Gewerbe aufgeben, 1938 die jüdischen Inhaber ihre Geschäfte schließen. Während der Novembertage 1938 blieb das Synagogengebäude von Zerstörung verschont; allerdings fanden Plünderungen statt. Die Thorarollen waren schon im Sommer 1938 nach Tauberbischofsheim gebracht worden; dort fielen sie - zusammen mit anderen Kultgeräten - im November 1938 der öffentlichen Verbrennung zum Opfer. Drei jüdische Männer wurden inhaftiert und ins KZ Dachau verbracht. Das Synagogengebäude war ins Eigentum eines Külsheimer Landwirts übergegangen; 1943 brannte es ab. Mit dem Abtransport von 13 Juden aus Külsheim ins südfranzösische Gurs endete am 22.Oktober 1940 die Geschichte der hiesigen jüdischen Gemeinde.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 41 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden aus Külsheim Opfer der NS-Verfolgung (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/kuelsheim_synagoge.htm).

 

Vor den Mauerrelikten des ehem. Synagogengebäudes steht seit 2013 ein kleines Denkmal.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20355/Kuelsheim%20Synagoge%201300.jpg Aufn. N., 2017, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 4.0

Der Text auf der Tafel lautet:  Ehemalige Synagoge Külsheim – Haus der Versammlung und des Gebets   An dieser Stelle in der ehem. Judenschulgasse stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde Külsheim. Erbaut 1798, wurde sie während der Pogromnacht am 09./10.November 1938 geplündert und fiel im Sommer 1943 einem Brand zum Opfer. Mit der Deportation der Badischen Juden am 22.Oktober 1940 in das Lager Gurs (Südfrankreich) und der Zerstörung dieses Hauses endete nach fast 600 Jahren die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Külsheim."

 

Die einzigen Relikte ehemals jüdischen Lebens in Külsheim sind die teilweise sehr alten Grabsteine auf dem Friedhof; der älteste stammt aus dem Jahre 1646 (andere Angabe: 1695); insgesamt sind noch mehr als 900 Grabstätten vorhanden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images11/Kuelsheim%20Friedhof205.jpg

Jüdischer Friedhof in Külsheim (Aufn. Markus Pauly, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und J. Hahn, 2003)

Eine Tafel informiert die Besucher des Friedhofs über die Beerdigungsriten und die Besonderheiten eines „Judenfriedhofs“.

Auf Initiative von Schüler/innen der Pater-Alois-Grimm-Schule wurden 2014 die ersten acht sog. „Stolpersteine“ in den Straßen Külsheims verlegt. Bei einer zweiten Verlegeaktion sechs Jahre später fanden weitere sieben Steine, die an Angehörige dreier jüdischer Familien erinnern sollen, ihren Platz im Gehwegpflaster.

 Aufn. H.-P. Wagner, aus: „Fränkische Nachrichten“ vom 11.7.2014

Stolperstein für Bernhard Hahn (Külsheim).jpgStolperstein für Bernhard Hahn (Külsheim).jpg Stolperstein für Fanny Brückheimer (Külsheim).jpgStolperstein für Max Brückheimer (Külsheim).jpg Stolperstein für Samuel Bär (Külsheim).jpgStolperstein für Berta Bär (Külsheim).jpg

verlegt im Molkereiweg, in der Boxtalstraße und Spitalstraße  (Aufn. Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

2018 wurde in Külsheim im Eingangsbereich des jüdischen Friedhofs eine Gedenkstele aufgestellt, die an die Deportationen vom Oktober 1940 nach Gurs/Südfrankreich erinnert. Diese Stele besteht aus einem alten Eichenbalken (stammt von einem Haus der alten „Judenschulgasse“), den eine Verkleidung aus Edelstahl umgibt. Angebrachte kleine Namenstafeln führen die 13 aus Külsheim deportierten Bewohner auf. In etwa zeitgleich fand die zweite Ausfertigung der Stele ihren Platz am zentralen Deportationsmahnmal in Neckarzimmern.

Unweit der ehemaligen Synagoge haben sich Relikte einer Mikwe erhalten; das Tauchbecken befindet sich unter einem landwirtschaftlichen Gebäude.

 

 

 

Weitere Informationen:

Wilhelm Spengler, Wirkendes Leben, ein Arzt erzählt, Lengerich/Westfalen 1960, S. 85 - 92 (Anm.: persönliche Erinnerungen an die jüdische Gemeinde Külsheim vom in Külsheim aufgewachsenen Wilhelm Spengler)

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 170/171

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 230/231

Ulrich Gerhardt, Jüdisches Leben im jüdischen Ritual. Studien und Beobachtungen 1902 - 1933, in: "Studia Delitzschiana, Neue Folge". Texte und Abhandlungen zur Geschichte und Literatur des Judentums, Bd. 1, Heidelberg 1980

Alfred Bauch (Bearb.), Der jüdische Friedhof und die Synagoge in Külsheim – zwei Aufsätze, in: „Külsheimer Jahrbuch“ von 1985/1986

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 345 - 348

Herwig John, Geschichte der Juden in Külsheim, in: Weiß/Edelmann/Lauf (Hrg.), Geschichte der Brunnenstadt Külsheim, Külsheim 1992, Band II, S. 129 - 169

Michael Thon (Bearb.), Grunddokumentation des Jüdischen Friedhofs Külsheim, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 2000

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 266 - 268

Külsheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- und Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie) 

Bernhard Müller (Red.), Seit 25 Jahren ist er auf Spurensuche, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 12.9.2012 (betr. Spurensuche nach jüdischer Geschichte durch Alfred Bauch)

Hans-Peter Wagner (Red.), Gedenkstein am Mauerrest der Synagoge, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 11.11.2013

Pater-Alois-Grimm Schule Külsheim (Red.), Geschichte wird lebendig, vom 15.7.2014 (betr. Stolpersteine)

Hans-Peter Wagner (Red.), „Das Grauen begann in unseren Köpfen", in: „Fränkische Nachrichten“ vom 11.7.2014 (betr. Verlegung von Stolpersteinen)

Dagmar Gehm-Koppel (Red.), Zwischen Idylle und Gedenken - Auf der Suche nach Spuren jüdischen Lebens im Taubertal, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 16.7.2018

Hans-Peter Wagner (Red.), Auf den Spuren der jüdischen Kultur, in: „Mannheimer Morgen“ vom 25.8.2018

Stadt Külsheim (Hrg.), Auf jüdischen Spuren durch Külsheim, online abrufbar unter: kuelsheim.de

Klaus Reinhart (Red.), Gedenksteine zur Erinnerung an die Deportationen aufgestellt, in: „Main-Post“ vom 31.10.2018

Stadt Külsheim (Red.), Mahnmal zur Erinnerung an die deportierten Külsheimer Jüdinnen und Juden, online abrufbar unter: kuelsheim.de/rathaus-service/stadtverwaltung/  (2018)

Werner Bartholme (Bearb.), Mahnmal Deportation 1940 – Külsheim, Main-Tauber-Kreis, Baden-Württemberg, online abrufbar unter: denkmalprojekt.org/2019/kuelsheim-deportation-1940_main-tauber-kreis_bw.html

Nadine Schmid (Red.), Stolpersteine in Külsheim verlegt, in: „Main-Echo“ vom 20.7.2020

HPW (Red.), Die hässliche Fratze des Antisemitismus, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 15.6.2021