Lülsfeld (Unterfranken/Bayern)

Jüdische Gemeinde - Ermershausen (Unterfranken/Bayern)  Datei:Lülsfeld in SW.svg Lülsfeld ist eine kleine Kommune mit derzeit etwa 800 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Schweinfurt und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Gerolzhofen (Karte von Unterfranken, aus: bezirke-unterfranken.de  und  Kartenskizze 'Landkreis Schweinfurt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Zu Beginn des 19.Jahrhunderts stellten die jüdischen Bewohner nahezu ein Viertel der Lülsfelder Dorfbevölkerung.

In dem kleinen Dorf Lülsfeld bei Schweinfurt lebten in der zweiten Hälfte des 16. bzw. im beginnenden 17.Jahrhundert einzelne Schutzjuden; weitere Familien hatten sich dann zu Beginn des 18.Jahrhunderts dauerhaft hier angesiedelt; sie waren Schutzjuden der Grafen von Schönborn-Wiesentheid. Voraussetzung für eine Aufnahme war das Vorhandensein eines gewissen Vermögens. Gegen die Entrichtung jährlicher Schutzgelder wurden ihnen Wohnrecht, Handelsprivilegien und Bewegungsfreiheit im gräflichen Territorium garantiert. Nach der Judenmatrikel von 1817 durften in Lülsfeld aber nicht mehr als 14 jüdische Familien wohnen; sie lebten in sehr bescheidenen Verhältnissen und bestritten mehrheitlich ihren Lebensunterhalt mit Vieh- und Ellenwarenhandel.

Anfang der 1760er Jahre wurde den Lülsfelder Juden - zum Missfallen der christlichen Bauernschaft - die Genehmigung zum Bau einer kleinen „Schul“ erteilt. 1764 war das äußerlich unauffällige Fachwerkgebäude fertiggestellt; es beherbergte einen Betraum für Männer, eine Frauenempore, einen Schulraum und eine Lehrerwohnung. Gottesdienste wurden wechselweise in Lülsfeld und Järkendorf, manchmal auch in Rimbach abgehalten. Ebenfalls hatten die drei Gemeinden einen eigenen Religionslehrer verpflichtet, der auch die Funktion eines Vorsängers inne hatte. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe ("Tauche"), die in den 1850er Jahren erneuert wurde.

Ihre Verstorbenen begrub die Lülsfelder Judenschaft am Kapellenberg in Gerolzhofen, der für die umliegenden jüdischen Gemeinden als zentrale Begräbnisstätte diente. 

Die kleine Gemeinde gehörte zum Distriktrabbinat Niederwerrn, ab den 1860er Jahren zum von Schweinfurt.

Juden in Lülsfeld:

          --- um 1635 ......................   2 Schutzjuden,

    --- 1699 .........................   2 jüdische Familien,

    --- um 1735/40 ...................   9     "       "    ,

    --- 1762 .........................  11     "       "    ,

    --- 1813 .........................  68 Juden (ca. 25% d. Dorfbev.),

    --- 1836 .........................  69   “   (ca. 22% d. Dorfbev.),

    --- 1867 .........................  55   “   (ca. 16% d. Dorfbev.),

    --- 1875 .........................  45   “  ,

    --- 1892 .........................   7 jüdische Familien (ca. 30 Pers.),

    --- 1897 .........................  30 Juden,

    --- 1900 .........................  20   "  ,

    --- 1910 .........................  25   "   (ca. 6% d. Dorfbev.),

    --- um 1930 ......................   3 jüdische Familien,

    --- 1939 .........................   4 Juden,

    --- 1942 (Mai) ...................  keine.

Angaben aus: Andreas Müssig, Die Lülsfelder Synagoge, Fulda 1994

und                 W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1403

 

Vieh- und Kleinhandel bestimmten im 19.Jahrhundert das Wirtschaftsleben der Lülsfelder Juden. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts wanderten zahlreiche jüdische Dorfbewohner ab, sodass die Zahl der Gemeindeangehörigen stetig zurückging und die Gemeinde schließlich aufgelöst wurde. Die wenigen in Lülsfeld noch lebenden Juden gehörten von nun an der Gemeinde Frankenwinheim an.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20432/Luelsfeld%20Meldezettel%201938.jpgListe der Lülsfelder Juden (Mai 1938), Gemeindearchiv Lüsfeld

Anfang der 1920er Jahren war das Synagogengebäude verkauft worden; diesem Umstand war es wohl zu verdanken, dass es während der „Kristallnacht“ keinen Schaden nahm. Eine einzige jüdische Familie soll bis zu ihrer Deportation im April 1942 in Lülsfeld gelebt haben; danach wurde sie via Würzburg nach Ostpolen deportiert.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20432/Luelsfeld%20KK%20Bertha%20Baer%20Kohn.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20432/Luelsfeld%20KK%20Selma%20Wilmersdoerfer%20Kraemer.jpg

Zwei J-Kennkarten gebürtiger Lülsfelder Jüdinnen

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 15 aus Lülsfeld stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Bewohner mosaischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/luelsfeld_synagoge.htm).

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20432/Luelsfeld%20Todeserklaerungen%201950.jpgTodeserklärungen von 1950 ( aus: Gemeindearchiv Lülsfeld)

Fünf Jahre nach Kriegsende mussten sich die am Pogrom (1938) in Frankenwinheim und Lülsfeld aktiv Beteiligten vor Gericht verantworten.

 

Das ehemals als Synagoge genutzte Gebäude ist noch vorhanden und wird seit Jahrzehnten landwirtschaftlich genutzt.

Nahe des Rathauses (Schallfelder Str.) erinnert heute ein Gedenkstein mit den folgenden Worten an Mitglieder der einstigen jüdischen Gemeinde des Ortes:

Die Gemeinde Lülsfeld gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger.

Zur Erinnerung und Mahnung.

Im Rahmen des Projektes „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ wurde eine "Schultaschen-Skulptur" geschaffen, die vor dem Rathaus in Frankenwinheim sich befindet und an verschleppte Juden aus Lülsfeld u. Frankenwinheim erinnert; eine Doublette dieser Schultasche steht in Würzburg (vgl. dazu: Würzburg).

             Schulranzen-Skulptur (Aufn. St. Polster, 2020)

Jüngst wurde das Vorhaben zur Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ vom Lülsfelder Gemeinderat befürwortet. In einem ersten Schritt wurden 2023 sechs Steine für die Angehörigen der jüdischen Familie Kohn in die Gehwegpflasterung der Hauptstraße eingefügt.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20471/Luelsfeld%20Hauptstr%205%20x.jpg verlegt in der Hauptstraße (Aufn. Evamaria Bräuer, 2023)

 

 

Im westlich von Lülsfeld gelegenen kleinen Dorf Rimbach (heute Ortsteil der Stadt Volkach/Main) sind um 1600 erstmals jüdische Familien erwähnt, die unter dem Schutz eines Adelsgeschlechts standen. Nachdem das Dorf Rimbach verschiedene Schutzherren - geistliche und weltliche – erlebt hatte, übernahmen um 1665 die Grafen von Schönborn die Ortsherrschaft.

Ob im 17./18.Jahrhundert Juden im Dorf gelebt haben, lässt sich nicht nachweisen. Erst im beginnenden 19.Jahrhunderts sind einige jüdische Familien in Rimbach genannt; 1817 sollen es neun Haushalte gewesen sein, die in den Matrikellisten geführt wurden. Lebenserwerb der Familien waren Handel mit Ellen- u. Kramwaren, Vieh- und Hausierhandel.

In einem Privathaus gab es eine Betstube, die aber nicht häufig genutzt wurde, da Gottesdienste abwechselnd in Brünnau und Järkendorf aufgesucht wurden. Jüdische Kinder suchten im nahen Frankenwinheim die Religionsschule auf. Der dortige Lehrer war auch für das rituelle Schlachten in Rimbach zuständig.

Um 1860 löste sich die kleine jüdische Gemeinschaft in Rimbach auf; das letzter Ehepaar mosaischen Glaubens verzog 1881 nach Frankfurt/M.

 

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 350

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 95

Andreas Müssig, Die israelitische Kultusgemeinde in Lülsfeld und die israelitische Religionsschule in Lülsfeld, in: "Lülsfaldr Loit", hrg. von der Gemeinde Lülsfeld, Fulda 1992, S. 29 – 48

Andreas Müssig, Die Lülsfelder Synagoge, Fulda 1994

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 133 (Lülsfeld) und S. 238 (Rimbach)

Lülsfeld, in: alemannia-judaica.de

Rimbach, in: alemannia-judaica.de

DenkOrt Deportationen e.V. (Hrg.), Jüdischer Wohnort Lülsfeld. Wir wollen uns erinnern. DenkOrt Deportationen, online abrufbar unter: denkort-deportationen.de/jg-luelsfeld/

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Lülsfeld: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2., Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1390 - 1408

Matthias Wiener (Red.), Bald sollen auch in Lülsfeld Stolpersteine an ermordete Bewohner erinnern, in: „Main-Post“ vom 2.12.2022

Michael Mößlein (Red.), Opfern einen Namen geben: Stolpersteine erinnern in Lüsfeld an die von Nazis ermordete jüdische Familie Kohn, in: „Main-Post“ vom 27.8.2023