Menzingen (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für kraichgau ortsdienst karteDatei:Kraichtal im Landkreis Karlsruhe.png Menzingen ist mit derzeit ca. 4.500 Einwohnern ein heutiger Stadtteil von Kraichtal - wenige Kilometer östlich von Bruchsal bzw. ca. 30 Kilometer nordöstlich von Karlsruhe gelegen (topografische Karte ohne Eintrag von Menzingen, J. Jähne 2000, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Landkreis Karlsruhe', Lencer 2009, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Mitte des 16.Jahrhunderts verbot der damalige Besitzer des reichsritterschaftlichen Dorfes Menzingen den Bewohnern, weiterhin Handel mit Juden zu treiben; dies könnte ein Beleg dafür sein, dass sich zu dieser Zeit bereits Juden in der Region aufhielten bzw. hier wohnten. Während des Dreißigjährigen Krieges sollen sie den Ort verlassen haben bzw. in den Kriegswirren umgekommen sein; nach 1650 kamen wieder einige jüdische Familien nach Menzingen. Um 1700 muss dann in Menzingen eine kleine jüdische Gemeinde bestanden haben.

Eine erste, um 1790 eingerichtete Synagoge wurde durch einen größeren Neubau ersetzt; die Planungen dafür hatten bereits in den 1830er Jahren begonnen, doch erst 1871 konnte die neue Synagoge in der „Judengasse“, der heutigen Mittelstraße, eingeweiht werden.

               https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2099/Menzingen%20Israelit%2008011872.jpg Kleinanzeige aus "Der Israelit" vom 8.1.1872

Zur Besorgung gemeindlicher religiös-ritueller Aufgaben war ein Lehrer angestellt. Bis Mitte der 1870er Jahre existierte in Menzingen eine jüdische Schule. Auf eine 50jährige Tätigkeit als Lehrer in Menzingen (1818 bis 1868) konnte Joshua Liebmann zurückblicken.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2099/Menzingen%20Israelit%2022101879.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2099/Menzingen%20Israelit%2006031902.jpg     

Anzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 22.Okt. 1879 und vom 6.März 1902

Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begrub die Menzinger Judenschaft auf dem Verbandsfriedhof in Oberöwisheim.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20320/Oberoewisheim%20Friedhof%20T180.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20320/Oberoewisheim%20Friedhof%20T181.jpg

Teilansichten des jüdischen Friedhofs in Oberöwisheim (Aufn. J. Hahn, 2011)

Anmerkung: Auf der Gemarkungsfläche Oberöwisheim liegt einer der größten jüdischen Friedhöfe des Kraichgau, doch gab es im Ort selbst zu keiner Zeit eine israelitische Kultusgemeinde. Die Kraichgauer Judenschaft hatte das abseits gelegene Hanggelände um 1620 gegen Zahlung eines jährlichen „Bodenzinses“ von der hiesigen Adelsherrschaft angepachtet; zudem musste ein fester Betrag für jede Bestattung gezahlt werden. Im 19. und 20.Jahrhundert wurde das Oberöwisheimer Beerdigungsgelände dann nur noch von den jüdischen Gemeinden in Menzingen, Münzesheim und Odenheim genutzt. 

Die Menzinger Kultusgemeinde war seit 1827 dem Bezirksrabbinat Bretten unterstellt.

Juden in Menzingen:

         --- 1787 ...........................  60 Juden,

    --- 1800 ...........................  74   “   (in 16 Familien),

    --- 1825 ...........................  78   “  ,

    --- 1850 ........................... 100   “  ,

    --- 1864 ........................... 116   “  ,

    --- 1875 ...........................  96   “  ,

    --- 1900 ...........................  73   “  ,

    --- 1910 ...........................  19   “  ,

    --- 1925 ...........................   6   “  ,

    --- 1933 ...........................   7   “  ,

    --- 1939 ...........................   keine.

Angaben aus: Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, S. 358

 

Das Gros der Menzinger Juden war im Handelsgewerbe tätig.

 Lehrstellenangebot der Zigarrenfabrik Hermann Lindauer von 1897

Im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts wanderten auch in Menzingen Juden vermehrt in größere Städte ab; diese Tendenz verstärkte sich nach 1900, da der Ort nun kaum mehr Existenzmöglichkeiten für die jüdischen Händler bot. 1921 löste sich schließlich die Gemeinde auf. Die wenigen hier noch lebenden Juden schlossen sich der israelitischen Kultusgemeinde Odenheim an. Nach erfolgter Auflösung der jüdischen Gemeinde wurde das Synagogengebäude an die Kommune verkauft, die darin eine Gewerbe- und Industrieschule einrichtete; später kamen einige Klassen der Volksschule hinzu. Das noch vorhandene Synagogeninventar fand Verwendung in der Ausstattung der 1926 eingeweihten Synagoge der orthodox-jüdischen Gemeinde Adaß Jeschurun in Pforzheim.  

Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch sieben Juden im Dorf; die allerletzten verließen Ende 1938 Menzingen und emigrierten in die USA

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 28 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bürger Menzingens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/menzingen_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengebäude dient bis auf den heutigen Tag Wohnzwecken; die drei bogigen Fenster lassen noch das ehemals als Synagoge benutzte Gebäude erahnen.

             Ehem. Synagogengebäude (Aufn. J. Hahn, 2003)

 

 

 

In Münzesheim, einem anderen Stadtteil von Kraichtal, existierte eine jüdische Gemeinde, die um 1800 mit etwa 90 Personen ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte. Erste Hinweise auf jüdisches Leben im Ort stammen bereits aus der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts. Seit ca. 1725 existierte eine hölzerne Synagoge. Ihre Verstorbenen begrub die Gemeinde auf dem jüdischen Friedhof Oberöwisheim.

[vgl.  Münzesheim (Baden-Württemberg)]

 

 

In Gochsheim, einem weiteren Stadtteil von Kraichtal, bestand bis Mitte des 19. Jahrhunderts ebenfalls eine jüdische Gemeinde, deren Wurzeln im 15.Jahrhundert liegen. Eine Synagoge wurde bereits 1662 erwähnt; etwa 100 Jahre später ließ der wohlhabende Schutzjude Baruch Dessauer eine neues Gotteshaus mit angeschlossener Schule erbauen.

                                              Jahresstein am ehem. Synagogengebäude*

                                                                                                                                    *BHD steht für Baruch Dessauer und MBD für dessen Ehefrau Mindel (Baruch Dessauer).

Verstorbene wurden auf den Friedhöfen in Oberöwisheim und Flehingen begraben. Ihre höchste Zahl erreichte die Gemeinde mit ca. 70 Personen um 1770. Bereits zu Beginn des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung ein, so dass bald kein Minjan mehr zustande kam; deshalb schlossen sich die verbliebenen Juden der Kultusgemeinde Bauerbach an. Die letzten jüdischen Bewohner verließen Gochsheim in den 1870er Jahren. 

[vgl.  Gochsheim (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Otto Becher, Zur Geschichte der Juden in Menzingen, in: Bruhrain und Kraichgau, "Bruchsaler Geschichtsblätter", No. 1/2 (1928), S. 1 - 4

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 110 f. und S. 222/223

Günter Bienwald (Bearb.), Menzingen. Ein Gang durch 1200 Jahre Geschichte, o.O. 1970, S. 52 - 56 (‘Vom Leben der Juden in der Dorfgemeinschaft’)

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 290/291

Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Hrg. Landsratsamt Karlsruhe, Karlsruhe 1997, S. 358/359

Peter Beisel, Jüdische Spuren in unserer Heimat. Mit besonderer Berücksichtigung der Situation in Waibstadt, in: "Kraichgau. Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung", Folge 17/2002, S. 99

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 261 - 263

Menzingen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Jüdischer Friedhof in Oberöwisheim, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen, auch aus verschiedenen Jahren)