Richen (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für landkreis heilbronn ortsdienst karte Das Dorf Richen ist seit seiner Eingemeindung (1971) ein Ortsteil der Stadt Eppingen mit derzeit ca. 1.700 Einwohnern im Südwesten des Kreises Heilbronn (topografische Karte 'Kraichgau', K. Jähne 2007, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Heilbronn', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heilbronn).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Gemeinde Richen mit ca. 170 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Zenit und stellte etwa 20% der damaligen Dorfbevölkerung.

Jüdische Bewohner im kurpfälzischen, ab 1806 badischen Dorfe Richen können seit etwa 1700 nachgewiesen werden. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie um 1800 und in den Jahrzehnten danach im Handel mit Vieh und Kramwaren; drei Juden betrieben ein Handwerk.

Seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts existierte in Richen ein Betsaal im Hause einer Familie; 1730 wird ein Rabbiner, 1749 ein Judenschulmeister am Ort erwähnt. Um 1790 wurde in Richen eine Synagoge in der Ittlinger Straße eingeweiht; im Obergeschoss waren Bet- und Schulraum untergebracht.

Zur Situation der jüdischen Gemeinde ist ein Bericht des christlichen Pfarrverwalters überliefert; so hieß es in einem Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. Nov.1839: Richen, Amts Eppingen. Auch dahier schreitet die israelitische Gemeinde in religiöser Bildung rasch voran, wovon ich mich am jüngst verflossenen Vorabend des Versöhnungstages zu meinem Vergnügen erfreute. Die neu eingerichtete Synagoge, die Ordnung in derselben, die äußere Andacht beim Gebete und der erhebende Vortrag des Vorbeters, eines hiesigen Privatmannes, alles zeigte, daß die ganze Gemeinde die Bedeutung dieses hochwichtigen Tages im wahren Geiste erfaßt hatte. Am meisten aber erfreute mich die gehalt- und geistvolle Rede, welche der neu angehende Rabbinatskandidat Herr Abraham Dreyfuß, der erst dieses Spätjahr seine Studien auf der Universität Heidelberg vollendete, für das hohe Fest ganz geeignet in einem würdevollen Vortrag an seine Glaubensbrüder hielt. Möchte dieser junge Mann und Ihm ähnliche Subjekte recht bald zu einer Anstellung gelangen, sie würden gewißs unter ihren Glaubensgenossen mit Segen und Gedeihen wirken. Singer, Pfarrverwalter."

Die jüdischen Kinder besuchten ab etwa 1830 die christliche Ortsschule, nachdem kein geeigneter jüdischer Lehrer mehr zur Verfügung stand; zudem hatte sich die jüdische Gemeinschaft gegen eine eigene Elementarschule ausgesprochen.

Zum Tode von Daniel Schwarzfeld, der jahrzehntelang in der Region als Mohel (Beschneider) tätig gewesen war, erschien in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 6.Mai 1868 der folgende Artikel:   

                                        http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20195/Richen%20Israelit%2006051868.jpg

Ihre Verstorbenen begrub die Richener Judenschaft seit den 1820er Jahren auf dem Eppinger Friedhof; zuvor waren sie auf dem für damalige Verhältnisse weit entfernten israelitischen Friedhof Heinsheim/Neckar sowie auf der jüdischen Begräbnisstätte von Waibstadt beigesetzt worden.

  

 Friedhof in Eppingen: Gräber verstorbener Juden aus Richen (Aufn. Landesarchiv, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Seit 1827 war die Gemeinde Richen dem Rabbinatsbezirk Bretten unterstellt.

Juden in Richen:

         --- um 1725 ........................   6 jüdische Familien,

    --- um 1765 ........................  11     “       “    ,

    --- 1801 ...........................  69 Juden,

    --- 1814 ...........................  95   "   (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1825 ........................... 124   “  ,

    --- 1841 ........................... 169   “   (ca. 20% d. Bevölk.),

    --- 1851 ........................... 180   "   (ca. 19% d. Bevölk.)

    --- 1855 ........................... 165   "   (ca. 18% d. Bevölk.),

    --- 1875 ........................... 103   “  ,

    --- 1900 ...........................  34   “  ,

    --- 1925 ...........................  22   "  ,

    --- 1933 ...........................  15   “  ,

    --- 1938 ...........................  eine Jüdin.

Angaben aus: W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, S. 202/203

 

Während der Märzrevolution von 1848 kam es in Richen - wie in anderen badischen Orten - zu antijüdischen Ausschreitungen. Durch Auswanderung nahm die Zahl der jüdischen Bewohner Richens nach 1850 deutlich ab.

Anfang der 1930er Jahre lebten noch etwa 15 Personen mosaischen Glaubens im Ort; vier Geschäfte und eine Viehhandlung hatten jüdische Besitzer.

                  aus: „CV-Zeitung“ vom 9.Jan. 1936

Als Folge der wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen verließen die wenigen Familien den Ort und gingen zumeist in die Emigration (nach Übersee). 1938 wohnte nur noch eine einzige Jüdin in Richen; sie wurde Ende Oktober 1940 ins südfranzösische Gurs deportiert und Opfer der Shoa. Neben ihr fanden weitere sechs gebürtige Richener Juden einen gewaltsamen Tod in NS-Lagern (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/richen_synagoge.htm).

 

Das marode Synagogengebäude war bereits 1936 verkauft worden; in den 1960er Jahren wurde es wegen Einsturzgefahr abgerissen.

 

[vgl. Eppingen (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Heinrich Meny, Aus meiner Heimat. Die Geschichte des Dorfes Richen, Eppingen 1928

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 248/249

W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: "Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn", Hrg. Landkreis Heilbronn, 1986, S. 200 - 205

Richen, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 111/112