Salzwedel (Sachsen-Anhalt)

Grafschaft Dannenberg 1250.png  Bildergebnis für salzwedel karte Salzwedel mit seinen derzeit ca. 23.500 Einwohnern ist Kreisstadt des Altmarkkreises Salzwedel – zwischen Uelzen (Niedersachsen) und Stendal (Sachsen-Anhalt) gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Altmarkkreis', aus: hohengrieben.de).

 

Spuren jüdischen Lebens in der Altmark lassen sich bis ins 13.Jahrhundert zurückverfolgen; aus dem Jahre 1297 ist die sog. „Stendaler Judenordnung“ überliefert. In Salzwedel waren jüdische Familien seit Beginn des 14.Jahrhunderts ansässig. 1344 wurden die Juden Salzwedels vom Markgrafen Ludwig V. als seine „lieben Kammerknechte” bezeichnet; sie standen also unter seinem Schutz. Wenige Jahrzehnte danach nahm der Rat der Stadt Salzwedel die Funktion eines „Schutzherrn“ ein und stellte den Familien Wohnungen zur Verfügung; als Gegenleistungen waren zweimal im Jahr Abgaben zu entrichten. Seit dieser Zeit soll es in Salzwedel auch eine „Judengasse“ und eine Synagoge gegeben haben. Zwar war den Juden – auch in den Pestjahren – seitens des Stadtrats Sicherheit garantiert worden, doch wurden Salzwedeler Juden auch bald Opfer von Verfolgung: sie wurden teils verjagt, teils umgebracht. Jahrzehnte danach wurde ihnen wieder erlaubt, sich in Salzwedel niederzulassen. Erlaubnis zur Ansiedlung und Vertreibung wechselten in der Folgezeit mehrfach ab.

Salzwedel, um 1650 (aus: wikipedia.org, CCO)

Erst um 1800 konnten Juden dauerhaft in Salzwedel Fuß fassen; zu Beginn des 19.Jahrhunderts wohnten wieder fünf jüdische Familien in der Stadt.

1856 war der in einem Privathaus untergebrachte Betraum durch Brand zerstört worden, wobei alle Kultgegenstände ein Opfer der Flammen wurden; anschließend diente ein Provisorium als jüdischer Versammlungsraum. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde in Salzwedel eine kleine Synagoge am Lohteich 27 eingerichtet, die bis in die NS-Zeit als Bet- und Versammlungsraum diente. Mitte der 1850er Jahre gaben sich die jüdischen Bewohner der Stadt Salzwedel und der Umgebung ein Gemeindestatut; zur Synagogengemeinde zählten auch einige wenige Juden aus Diesdorf, Beetzendorf und Steimke.

Um 1850 wurde ein neuer jüdischer Begräbnisplatz an der heutigen Lüneburger Straße angelegt; der alte Friedhof - vermutlich gegen Ende des 18.Jahrhunderts angelegt - befand sich außerhalb der Stadt in einem Wäldchen an der Straße zwischen Brietz und Cheine.

Juden in Salzwedel (Landkreis):

         --- 1754 ............................  23 Juden,

    --- 1801 ............................   4 jüdische Familien,

    --- 1810 ............................   8    “        “    ,

    --- 1817 ............................ 110 Juden,*  

    --- 1821 ............................  95   “  ,*

    --- 1834 ............................  93   “  ,*

    --- 1840 ............................ 103   “  ,*   (davon 67 Pers. in der Stadt)

    --- 1910 ............................  95   “  ,*

    --- 1925 ............................  64   “  ,*

    --- 1930 ............................  60   “  ,

    --- 1933 ............................  64   “  ,

    --- 1938 (Dez.) .....................  20   “  ,

    --- 1942 (Mai) ......................  keine.          * Kreis Salzwedel

Angaben aus: Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt - Versuch einer Erinnerung, S. 223

Breite Straße in Salzwedel, um 1900 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

 

Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Zahl der jüdischen Bewohner merklich zurück. Um 1930 zählte die jüdische Gemeinde nur noch etwa 60 Angehörige; in der Stadt selbst lebten kaum 50 Personen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie im Einzelhandel, als Handwerker und Pferdehändler.

Einige Wochen nach der NS-Machtübernahme setzten in Salzwedel erste Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte ein. Aus dem „Salzwedeler Wochenblatt” vom 10.März 1933:

... Seit heute vormittag stehen vor den jüdischen Geschäften in unserer Stadt Posten der SA mit Plakaten ‘Deutsche kauft bei Deutschen’. Derartige Posten wurden beobachtet u.a. vor dem Kaufhaus Fleischner & Co. (Forell-Konzern), Simberg & Co., Neustadt, deren Firmen schon seit längerer Zeit nicht mehr im Salzwedeler Wochenblatt mangels jeder Geschäftsverbindung erscheinen. ...

Der am 1.4.1933 proklamierte reichsweite Boykott wurde auch in Salzwedel durchgeführt: SA- und SS-Angehörige postierten sich mit antijüdischen Parolen vor den betreffenden Geschäften. Als Folge dieser Boykottmaßnahmen und der zunehmenden Ausgrenzung schlossen in den kommenden Jahren mehrere jüdische Geschäfte und das Bankhaus Bacharach.

                 Aus dem „Salzwedeler Wochenblatt”:

... Am 31.August 1935 wurde auf Grund einer Anregung des Herrn Reichskommissars für das Bankgewerbe die Bankfirma Hermann Bacharach, Salzwedel, durch das Bankhaus Zuckschwerdt & Beuchel, Magdeburg, übernommen. Am gleichen Tage erfolgte die Eröffnung der Zweigniederlassung Salzwedel.

 

Während des Novemberpogroms von 1938 zerstörten SA-Trupps das Synagogeninnere, verwüsteten den jüdischen Friedhof an der Lüneburger Straße und plünderten die wenigen jüdischen Geschäfte. Ein geplanter Abriss des Synagogengebäudes erfolgte aber nicht. Bis Ende 1938 waren fast alle Grundstücke, die sich in jüdischem Besitze befanden, liquidiert oder „arisiert“ worden. Die in Salzwedel noch lebenden Juden wurden nach 1938/1939 in zwei „Judenhäuser“ am Lohteich 27 und in der Altperverstraße 2 zusammengelegt; von hier aus wurden sie gegen Ende des Jahres 1941 in eine Baracke am Stadtrand verbracht, im Frühjahr 1942 vermutlich ins Warschauer Ghetto deportiert. „Auf Reisen, sämtliche Juden sind aus Salzwedel verzogen”, so lautete der Eintrag in eine Akte der Stadt am 13.April 1942.

Nachweislich wurden 13 Salzwedeler jüdischen Glaubens Opfer der „Endlösung“. Nur drei „in Mischehe“ verheiratete Juden lebten bei Kriegsende noch in Salzwedel.

Im Spätsommer 1944 wurde in Salzwedel ein Außenlager des KZ Neuengamme eingerichtet. Auf dem Gelände der Düngemittelfabrik in der Gardelegener Straße waren ab seit November 1944 zwischen 1.200 und 1.500 weibliche Häftlinge - meist ungarische und polnische Jüdinnen - in elf Baracken untergebracht. Die Frauen wurden zur Arbeit in der Draht- und Metallwarenfabrik GmbH Salzwedel bei der Herstellung von Minen und Infanterie- und Flakmunition eingesetzt. Die Bewachung erfolgte durch weibliche und männliche SS-Angehörige. Mitte April 1945 erreichten US-Truppen das Lager. Für befreite Häftlinge, Kriegsgefangene und ausländische Zwangsarbeiter wurde danach auf dem Gelände des Flughafens Salzwedel ein Auffanglager eingerichtet; bis zu 15.000 Personen sollen hier auf den Abtransport in ihre Heimatländer gewartet haben.

 

Die beiden jüdischen Friedhöfe Salzwedels - der alte Friedhof liegt an der Landstraße im Wald zwischen Brietz und Cheine, der neue Friedhof an der Lüneburger Straße - sind in der Fläche zwar noch erhalten, doch nur auf dem jüngeren, etwa 650 m² großen Gelände findet man noch ca. 20 Grabsteine, der älteste datiert von 1853*.

*Anm.: Ein hier befindliches Grabmal von 1801 muss vom alten Friedhof hierher gebracht worden sein.

Das ehemalige Synagogengebäude wird heute zu Wohnzwecken genutzt; einen Hinweis auf dessen einstige Nutzung sucht man vergebens.                      Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Ulrich Knufinke, 1996)

Seit 2010 erinnern in Salzwedel sog. „Stolpersteine“ an Opfer der NS-Gewaltherrschaft; bei dieser Aktion wurden insgesamt 16 Steine ins Gehwegpflaster verlegt.

David Hirsch, Hanna Hirsch, geb. Levy, Rachel Hirsch und Clara Weil, geb. Neustadtfür Fam. Hirsch, 2013 (Aufn. Rudelsburg, aus: wikipedia.org, GFDL)

                    Stolperstein Salzwedel Neuperverstraße 64 Walter SteinStolperstein Salzwedel Neuperverstraße 64 Jettchen SteinStolperstein Salzwedel Neuperverstraße 64 Hans SteinStolperstein Salzwedel Neuperverstraße 64 Erich Steinfür Fam. Stein, Neuperverstraße (aus: Gmbo, 2016, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

An der Landstraße von Salzwedel nach Henningen liegt der jüdische Friedhof von Klein-Gerstedt (Osterwohle, Ortsteil der Kreisstadt Salzwedel), auf dem sich nur sehr wenige Grabsteine erhalten haben.

 

 

 

Weitere Informationen:

Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 731 – 733 und Band III/2, Tübingen 1995, S. 1296/1297

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band I, S. 338 – 341

Dietrich Banse, Das Außenlager Salzwedel – KZ Neuengamme, in: Fremde – Flüchtlinge im Landkreis Lüchow-Dannenberg, hrg. vom Museum Wustrow, Wustrow 1991, S. 246 - 254

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 205

Torsten Erwin, Juden in Salzwedel, Maschinenmanuskript von 1993

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 590/591

Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt - Versuch einer Erinnerung, Hrg. Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt, Oemler-Verlag, Wernigerode, S. 221 – 225

Ernst Block, Salzwedel und die Altmark, in: Jutta Dick/Marina Sassenberg (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1998, S. 158 - 173

Ernst Block, “Wir waren eine glückliche Familie ...” - Zur Geschichte und den Schicksalen der Juden in Salzwedel/Altmark, in: "Schriften zur Regionalgeschichte der Museen des Altmarkkreises Salzwedel", Band 1, Hrg. Museen des Altmarkkreises Salzwedel, Uelzen/Salzwedel 1998

Holger Brülls, Synagogen in Sachsen-Anhalt. Arbeitsberichte des Landesamtes für Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 3, Verlag für Bauwesen, Berlin 1998, S. 87 – 91

Laßt es ruhn!? Salzwedel im Nationalsozialismus – Ausstellung zur Geschichte Salzwedels in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 – 45, in: "Schriften zur Regionalgeschichte der Museen des Altmarkkreises Salzwedel", Band 2, Hrg. Museen des Altmarkkreises Salzwedel, Uelzen/Salzwedel 1999

Ulrich Kalmbach/Jürgen M. Pietsch, Zwischen Vergessen und Erinnerung. Stätten des Gedenkens im Altmarkkreis Salzwedel, in: "Schriften zur Regionalgeschichte der Museen des Altmarkkreises Salzwedel", Band 3, Hrg. Museen des Altmarkkreises Salzwedel, Uelzen/Salzwedel 2001

Kai Zuber, Vom Pferdehändler zum Märtyrer, in: „Altmark-Zeitung“ vom 27.11.2010 (online abrufbar unter: az-online)

Stolpersteine in Salzwedel, in: Sachsen-Anhalt-Wiki – das regionale Mitmachlexikon, online abrufbar unter: sachsen-anhalt-wiki.de

Auflistung der in Salzwedel verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Salzwedel

Mike Kahnert (Red.), Jüdischer Friedhof – In Gedenken an die Opfer, in: volksstimme.de vom 9.11.2018