Schifferstadt (Rheinland-Pfalz)

Datei:Starkenburg 1905.png – WikipediaDatei:Karte Schifferstadt.png Schifferstadt ist eine Kommune mit derzeit ca. 20.000 Einwohnern – ca. 20 Kilometer südwestlich von Mannheim gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit Schifferstadt am unteren Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Rhein-Pfalz-Kreis', Lencer 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Der erste namentlich bekannte jüdische Bewohner Schifferstadts, Jakob von Schiwerstat, ist aus den 1660er Jahren bezeugt; auch im 18.Jahrhundert hielten sich vereinzelt Juden im Ort auf. Die dauerhafte Ansiedlung dreier Familien zu Beginn des 19. Jahrhunderts bildete dann die Keimzelle einer kleinen jüdischen Gemeinde in Schifferstadt. Offiziell wurde diese dann Mitte des Jahrhunderts gegründet.

Seit 1852 besaßen die Schifferstädter Juden, die damals in wirtschaftlich ärmlichen Verhältnissen lebten, einen eigenen Betsaal in der Sandgasse; zuvor hatten sie die Synagoge in Böhl aufgesucht. Über das Schifferstädter Bethaus liegt eine Beschreibung des Bürgermeisters vor: „ ... die Israeliten dahier ... ein Gebäude, stehend in der neuen Sandgasse zu Schifferstadt ... Dieses Gebäude besteht für sich allein, ist einstöckig, von gemischter Bauart und mit Ziegeln gedeckt; hat eine Länge von 9 und eine Breite von 5 Meter, der Betsaal ist 6 Meter und die hierin befindliche Lehrerwohnung, unmittelbar hinter demselben, 3 Meter lang; es enthält jener Betsaal zwey, dem israelitischen Cultus entsprechende Abtheilungen, eine für die Männer und eine andere für die Frauen; hat zwey Engangsthüren, drey große und zwey kleinere Fenster. ...” 

Als das Synagogengebäude baufällig geworden und zudem durch einen Brand in Mitleidenschaft gezogen war, wurde es 1890 abgerissen und der Bau eines neuen Gebäudes ins Auge gefasst.

Zur Finanzierung des Baues wurde seitens der Behörden die Durchführung einer Kollekte im Königreich Bayern erlaubt. In der Zeitschrift "Der Israelit" erschien Ende Dezember 1891 ein Aufruf für den Synagogenbau:

                                                              Anm.: Auch die Kommune beteiligte sich an den Baukosten.

Knapp zwei Jahre später konnte die neue Synagoge in der Bahnhofstraße eingeweiht werden. Zwischenzeitlich hatten Gottesdienste im Obergeschoss eines Gasthauses stattgefunden.

                 aus: „Speyrer Zeitung“ vom 2.9.1892

 Bahnhofstraße, Synagoge linke Häuserzeile Mitte (hist. Aufn.)

         

Neue Synagoge in der Bahnhofstraße (links: Ausschnitt aus einer Bildpostkarte - rechts: Aufn. von 1892, aus: wikipedia.org, CCO)

Aus einem Artikel der „Speyerer Zeitung” vom September 1892 zur Synagogeneinweihung:

Die Einweihung der Synagoge in Schifferstadt

Speier, 9.Sept. Eine erhebende Feier ist heute und morgen der israelitischen Gemeinde in Schifferstadt unter Teilnahme der ganzen dortigen Bevölkerung beschieden: die Einweihung der neuen Synagoge. Es ist keine Kleinigkeit für eine solch’ kleine Kultusgemeinde, und es hat viel Opfer und Arbeit gekostet, die verhältnismäßig beträchtlichen Mittel aufzubringen, um ein der Gemeinde wie des Gottesdienstes würdiges Haus herzustellen. Doch jetzt steht es fertig da, ein Werk eigener großer Opferwilligkeit und fremder Hülfe; klein zwar und durch Masse nicht imponierend, aber schmuck- und eindrucksvoll, ...

Die Schifferstädter Gemeinde hatte zu keiner Zeit einen ortsansässigen Rabbiner, da die kleine finanzschwache Gemeinde diesen nicht besolden konnte. Religiös-rituelle Aufgaben verrichtete ein seitens der Gemeinde angestellter Lehrer; die Besetzung dieser Stelle war in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts einem steten Wechsel unterworfen. Bis auf eine Ausnahme (Samuel Michel, Lehrer von 1884 bis 1897) übten alle anderen dieses Amt stets wenige Jahre aus.

Eine israelitische Elementarschule gab es in Schifferstadt nicht; Religionsunterricht fand in der Synagoge statt.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20157/Schifferstadt%20Israelit%2017051900.jpg

Anzeigen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13.Januar 1875, 4.August 1884 und 17.Mai 1900

Die Schifferstädter Gemeinde hatte seit 1823 einen eigenen Begräbnisplatz im Dorf Otterstadt zugewiesen bekommen. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts genehmigte der Gemeinderat Schifferstadts die Anlage eines Begräbnisplatzes für die jüdischen Verstorbenen am Ort. 

Die israelitische Gemeinde Schifferstadts gehörte zum Bezirksrabbinat Frankenthal.

Juden in Schifferstadt:

         --- 1802 .........................  3 jüdische Familien,

    --- 1848 .........................  8     “        “   ,

    --- 1856 ......................... 41 Juden,

    --- 1895 ......................... 60   “  ,

    --- 1900 ......................... 50   “  ,

    --- 1933 ......................... 39   “  ,

    --- 1936 ......................... 26   “  ,

    --- 1938 ......................... 20   “  ,

    --- 1939 ......................... 12   “  ,

    --- 1940 (Nov.) .................. keine.

Angaben aus: Stadtsparkasse Schifferstadt (Hrg.), Die Schifferstadter Juden - Ein Lesebuch

und                 Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, S. 198  

Schifferstadt. Langgasse mit evangelische Kirche, 1912hist. Postkarte, um 1910 (Abb. aus: de.nailizakon.com)                 

 

In der dörflichen Gemeinschaft Schifferstadts um 1900 waren die Juden fast völlig integriert; dies dokumentiert das Miteinander in den lokalen Vereinen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie als Geschäftsleute; der hiesige Viehhandel lag ausschließlich in jüdischer Hand.

            Ladengeschäft von Ludwig Mayer (aus Sammlung: Afina Broekman)

Antisemitische Aktivitäten waren in Schifferstadt bis März 1933 nicht zu verzeichnen; Ende März änderte sich dies, als in der Lokalzeitung eine „Bekanntmachung des örtlichen Aktionsausschusses zum Boykott gegen die Juden“ erschien. Wie fast überall in Deutschland wurde auch in Schifferstadt der Boykott gegen jüdische Geschäfte durchgeführt; bereits am 30.3. zogen SA-Angehörige vor jüdischen Geschäften auf und versuchten mit Plakaten die Bevölkerung vom Betreten derselben abzuhalten. Ab diesem Zeitpunkt begann die Ausgrenzung des jüdischen Bevölkerungsteils aus dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben von Schifferstadt. Im Laufe des Jahres 1935 tauchten im Straßenbild immer mehr antijüdische Plakate auf. Schon am Ortseingang von Schifferstadt standen Schilder, die Juden für „unerwünscht“ im Ort erklärten.

Höhepunkt der antijüdischen Ausschreitungen in Schifferstadt war die Brandlegung der Synagoge am Morgen des 10.November 1938; Täter waren SA-Angehörige aus Mutterstadt und Schifferstadt. Nach einer Explosion brannte das damals schon nicht mehr als Gotteshaus genutzte Gebäude völlig nieder; dabei wurde die Feuerwehr beim Löschen gehindert. Auch der kleine jüdische Friedhof wurde geschändet. Das Synagogengrundstück mit den Resten der niedergebrannten Synagoge wurde Anfang Dezember 1938 von der Kultusgemeinde an die Kommune Schifferstadt verkauft. Bis Jahresende 1938 mussten alle acht noch bestehenden jüdischen Gewerbebetriebe schließen; „arische“ Kaufinteressenten versuchten teilweise erfolgreich, jüdisches Eigentum zu Spottpreisen zu übernehmen. Angesichts des weiter zunehmenden Drucks schmolz die schon zahlenmäßig kleine Gemeinde noch weiter zusammen; bei Kriegsbeginn lebte nur noch eine Handvoll jüdischer Bewohner in Schifferstadt. Die letzten neun verbliebenen jüdischen Einwohner wurden im Oktober 1940 ins südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ fielen dem Holocaust nachweislich 18 aus Schifferstadt stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bürger zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/schifferstadt_synagoge.htm).

Vor dem Landgericht Frankenthal fand unmittelbar nach Kriegsende der „Synagogenbrand-Prozess“ statt, der mit zwei Freisprüchen endete.

 

1984 wurde in der Bahnhofstraße in Schifferstadt ein großer Gedenkstein aufgestellt, der folgende Inschrift trägt:

GEN. 4, 9                 DAN. 3, 17

Zum Andenken an die Schifferstadter Synagoge.

1892 hatten unsere jüdischen Mitbürger ihr Bethaus in der Bahnhofstraße 48 errichtet.

1938 führte fanatischer Rassenwahn zu ihrer Zerstörung durch Brand.

An dieser Stelle gedenken wir auch unserer jüdischen Familien

Bender - Freundlich - König - Landmann - Levy - Löb - Mängen - Mayer Bernh. - Mayer Issak - Mayer Ludwig - Reiss - Rubel - Oppenheimer - Weiler

Die Judenverfolgung der NS-Zeit hat über sie unsägliches Leid gebracht.

 

In Schifferstadt wurden in den Jahren 2014/2016/2018 insgesamt ca. 45 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet sind (Stand 2023).

Stolpersteine für Angehörige der Familie Mayer

StolpersteinRosaLevy.pngStolpersteinLeoLevy.pngStolpersteinMetaLevy.pngStolpersteinKurtLevy.pngStolpersteinHannaLevy.png StolpersteinGeorgMay.png

verlegt in der Bahnhofstraße (Aufn. V., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Das erst seit 1907 genutzte Begräbnisgelände, auf dem insgesamt 14 Bestattungen vorgenommen wurden, weist heute noch vier Grabsteine auf; hier hat die Kommune eine kleine Gedenkecke eingerichtet.

                                    Jüdischer Friedhof (Aufn. I. Giel, 2006)

 

 

 

Weitere Informationen:

Gisela Atteln, Mahnmal für mehr Menschlichkeit, in: "Die Rheinpfalz" (Ausgabe Ludwigshafen) vom 28.11.1984

Bernhard Kukatzki, Stille Ruhestätte unter Birken. Aus der Geschichte des jüdischen Friedhofs in Schifferstadt, in: "Die Rheinpfalz" (Ausgabe Ludwigshafen) vom 8.11.1980

Bernhard Kukatzki, Vom Schicksal der Schifferstadter Juden, in: "Die Rheinpfalz" (Ausgabe Ludwigshafen) vom 8.11.1980

Kleiner Kulturverein (Hrg.), Synagoge. Dokumentation über die Initiative des Kleinen Kulturvereins Schifferstadt für eine Synagogengedenktafel, Schifferstadt 1983

Bernhard Kukatzki, Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs, in: "Speyerer Tagespost - Schifferstadter Tageblatt" vom 7.11.1987

Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße, 1988, S. 196 - 199

Emil Georg Sold/Bernhard Kukatzki, Die Schifferstadter Juden - Ein Lesebuch, in: "Beiträge zur Schifferstadter Ortsgeschichte", No. 4/5, 1988, Hrg. Stadtsparkasse Schifferstadt, Speyer 1988

Alfred Hans Kuby (Hrg.), Juden in der Provinz. Beiträge zur Geschichte der Juden in der Pfalz zwischen Emanzipation und Vernichtung, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1989, S. 220

Bernhard Kukatzki, “Durchgehends ruhige, friedliebende und ehrbare Leute” Die jüdische Kultusgemeinde 1662 - 1940, in: Schifferstadt - Geschichte und Geschichten, Hrg. Stadt Schifferstadt, 1998, S. 701 - 724

Michael Schepua, Nationalsozialismus in der pfälzischen Provinz, Palatinum-Verlag, Mannheim 2000, S. 533 f.

Schifferstadt, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 334 - 336

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 139 f.

Stolpersteinverlegung in Schifferstadt, in: mrn-news.de vom 4.3.2016

Liste der Stolpersteine in Schifferstadt, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Schifferstadt

Cornelia Grüninger (Red.), Stolpersteinverlegung 2014, Bahnhofstraße 48: Familie Levy, in: schifferstadt.de/tourismus vom 24.1.2019

Cornelia Grüninger (Red.), Stolpersteinverlegung 2014, Schillerplatz 4: Familie Mayer, in: schifferstadt.de/tourismus vom 24.1.2019