Schleusingen (Thüringen)

Kreis Hildburghausen.PNG Bildergebnis für landkreis suhl ortsdienst karte Schleusingen ist eine thüringische Kleinstadt im Landkreis Hildburghausen mit derzeit ca. 10.600 Einwohnern am Südhang des Thüringer Waldes - ca. 15 Kilometer südlich von Suhl gelegen (Kartenskizzen 'Bezirk Suhl', M. Sander 2006, aus: wikipedia.org CC BY-SA 3.0  und 'Landkreis Hildburghausen', aus: ortsdienst.de/thueringen/hildburghausen).

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Blick auf Schleusingen – Stich um 1840 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Erste zuverlässige Belege über jüdische Einwohner in Schleusingen stammen aus dem 16.Jahrhundert; doch sollen Juden hier bereits im 14.Jahrhundert gelebt haben und während der Pestpogrome von 1348/1349 umgebracht bzw. von hier vertrieben worden sein.

Die kleine jüdische Gemeinschaft - nur aus wenigen Familien sich zusammensetzend -  bestand in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts aus Händlern und Geldverleihern; sie standen unter dem Schutz des Landesherrn, des Grafen von Henneberg, der ihnen gegen Schutzgeld und Sondergebühren ein zeitlich befristetes Wohnrecht in Schleusingen zusicherte. Doch 1555 musste sich Graf Wilhelm der Forderung der ‚neuen’ protestantischen Geistlichkeit beugen, alle ‚Andersgläubigen’ des Landes zu verweisen: Er kündigte den Judenschutz auf, und die wenigen jüdischen Bewohner hatten in den folgenden Jahren die Stadt Schleusingen zu verlassen.

Für mehr als 140 Jahre lebten innerhalb der Mauern der Stadt keine Juden mehr. Erst 1704 erhielt ein Jude wieder ein befristetes Wohnrecht in Schleusingen; für die Gewährung dieses Privilegs waren allein wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend. Infolge von Zuzug weiterer jüdischer Familien entwickelte sich danach eine kleine Gemeinde.

Jahre später wollte die Schleusinger Kaufmannschaft die jüdischen Bewohner wieder aus der Stadt verdrängen, setzte sich allerdings nicht durch; denn der sächsische König wollte auf die hohen Schutzgeldzahlungen und die ihm von den Gebrüdern Hertz gewährten hohen Kredite nicht verzichten. Die meisten jüdischen Bewohner von Henneberg-Schleusingen lebten in ärmlichen Verhältnissen; sie verdienten ihren Lebensunterhalt zumeist im Hausier- und Trödelhandel, auch teilweise im Kreditgeschäft.

Im Laufe des 18.Jahrhunderts gründete sich die Synagogengemeinde Schleusingen. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts gab es im Kreis Schleusingen in Heinrichs und in Schwarza zwei weitere jüdische Gemeinden; dort lebten weit mehr Juden als in Schleusingen.

Anfangs nutzten die Schleusinger Juden den Saal des leerstehenden Gasthauses „Zur Sonne“ als Betsaal. Gleichzeitig kam man auch in einem Haus in der Langen Gasse (heute Bertholdstraße) zu gottesdienstlichen Treffen zusammen. 1876 wurde der alte Synagogenraum durch einen großen Stadtbrand vernichtet. Zwei Jahre später wurde an gleicher Stelle ein Synagogenneubau errichtet, der im Herbst 1881 durch den Leipziger Rabbiner Goldschmidt feierlich eingeweiht wurde. In seiner Ansprache würdigte der Rabbiner „das schöne friedliche Verhältnis, das zwischen der Bürgerschaft der Stadt und der jüdischen Gemeinde bestehe und dankte der Stadtbehörde für ihre Unterstützung und thätige Mitwirkung beim Aufbau des neuen Gotteshauses“.

  neue Schleusinger Synagoge, erbaut 1878/1879 (hist. Aufn.)

Bereits seit 1725 existierte eine jüdische Schule in Schleusingen (Lange Gasse).

 

Stellenangebote aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24.Jan. 1866 und "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 16.Mai 1876

Anfang des 18. Jahrhunderts wurde unweit der Ortschaft, in der Flur „Im Judengrund“, ein eigener Begräbnisplatz angelegt. Die ältesten erhaltenen Grabsteine stammen aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Juden in Schleusingen:

         --- um 1725 .........................   7 jüdische Familien,

    --- 1828 ............................  39 Juden,

    --- 1837 ............................  55   “  ,

    --- 1861 ............................  94   "  ,

             ............................ 344   "  ,*       * im Kreis Schleusingen

    --- 1871 ............................  89   “  ,

    --- 1880 ............................  74   “  ,

    --- 1895 ............................  41   “  ,

    --- 1932 ........................ ca.  30   “  ,

    --- 1938 ........................ ca.  30   “  ,

    --- 1942 (Okt.) .....................  keine.

Angaben aus: Hans Nothnagel/Kerstin Möhring, Chronik jüdischen Lebens in Schleusingen, S. 126

 

In den Jahren 1850 bis 1870 war die Zahl der in Schleusingen lebenden jüdischen Bewohner am größten und erreichte fast 3% der Gesamtbevölkerung; zumeist lebten sie in gesicherten materiellen Verhältnissen.

Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe Schleusingens (1862 - 1867 - 1874):

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20149/Schleusingen%20AZJ%2004031862.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20286/Schleusingen%20AZJ%2024091867.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20149/Schleusingen%20AZJ%2023061874.jpg

Nach Ende des Ersten Weltkrieges wohnten in Schleusingen dann nur noch zehn Familien mosaischen Glaubens.

Am 30.März 1933 wurde in der Lokalpresse die Schleusinger Bevölkerung zum Boykott jüdischer Geschäfte, jüdischer Ärzte und Rechtsanwälte aufgerufen. Am 1.4.1933 zogen SA-, SS- und HJ-Angehörige durch die Straßen Schleusingens und postierten sich vor jüdischen Geschäften, auch vor der Praxis des Landarztes Dr. Benno Koppenhagen. Zur Jahreswende 1933/1934 drangen SA-Leute erneut in seine Praxis ein, bedrohten und beleidigten ihn massiv; er erlitt einen Schlaganfall, an dessen Folgen er starb. Ab 1935/1936 verstärkte sich die antijüdische Hetze; deutsche „Volksgenossen“, die weiterhin in jüdischen Geschäften einkauften, wurden in sog. „Stürmerkästen“ öffentlich zur Schau gestellt bzw. in der Lokalpresse wegen ihres „unanständigen Verhaltens“ angeprangert.

Die Leser des „Henneberger Kreisblattes“ wurden regelmäßig über die Abwanderung jüdischer Schleusinger informiert; so erschien z.B. am 20.Sept. 1935 die folgende Kurzmeldung: „Es geht vorwärts. Vor kurzem meldeten sich die Juden Adamkiewicz und Gustav Daniel bei der hießigen Polizeibehörde ab. [...] Die Propaganda gegen den erbitterten Rassefeind unseres Volkes ist in Schleusingen nicht erfolglos geblieben. ...“

Während des Novemberpogroms von 1938 schändeten SA/SS-Angehörige aus Schleusingen und Suhl die Synagoge, verbrannten Einrichtungsgegenstände und Kultgeräte und den Leichenwagen; auch der jüdische Friedhof wurde geschändet. Die wenigen noch hier lebenden jüdischen Männer wurden inhaftiert und gemeinsam mit den Inhaftierten aus Hildburghausen und dem Umland ins nahe KZ Buchenwald abtransportiert.

Das „Henneberger Kreisblatt” schrieb am 11.11.1938:

... Hier in Schleusingen wirkte sich diese Empörung insofern aus, daß über Nacht die Inneneinrichtung und Fenster der Synagoge zerschlagen wurden. Die Juden (Männer) bis zu 60 Jahren sind in Schutzhaft genommen worden. Die Juden (Männer) bis zu 60 Jahren sind in Schutzhaft genommen worden. ...

In den folgenden Jahren verließen die meisten Juden Schleusingen; ihre Geschäfte gingen in „arische“ Hände über. Die drei noch in Schleusingen verbliebenen jüdischen Familien wurden dann im Laufe des Jahres 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 22 aus Schleusingen stammende bzw. längere Zeit hier wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe. alemannia-judaica.de/schleusingen_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengebäude an der Ecke Berthold-/Walchstraße wurde nach 1945 als Wohnhaus genutzt.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2060/Schleusingen%20Synagoge%20100.jpg Ehem. Synagogengebäude (Aufn. J. Hahn, 2005)

Seit 1988 erinnert dort eine Gedenktafel mit der folgenden Inschrift an dessen einstige Nutzung:

Neue Synagoge

Eingeweiht am 26.Okt. 1881

Zerstört durch die Nationalsozialisten in der Pogromnacht des 9.November 1938

Zum Gedenken an die Opfer           Den Lebenden zur Mahnung.

                     https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2060/Schleusingen%20Synagoge%20103.jpgGedenktafel an der ehem. Synagoge (Aufn. J.Hahn, 2005)

Im November 2008 wurde anlässlich des 70. Gedenktages des Pogroms von 1938 vor der ehemaligen Synagoge eine Stele zum Angedenken an die Schleusinger Juden enthüllt; auf dieser marmornen Stele sind alle 44 Namen der jüdischen Schleusinger verzeichnet, die zwischen 1925 und 1942 in der Stadt gelebt haben.

Mitte der 1990er Jahre wurde der ca. einen Kilometer vor dem Ort liegende jüdische Friedhof Schleusingens mit seinen ca. 100 Grabsteinen wieder in einen ansehbaren Zustand versetzt.

 

Jüdischer Friedhof in Schleusingen (beide Aufn. S., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Richard Leue, Jüdische Gemeinde in Schleusingen, in: "Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR", Dresden 1982

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 284/285

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 592/593

Carsten Liesenberg (Bearb.), “ Wir täuschen uns nicht über die Schwere der Zeit ...” Die Verfolgung und Vernichtung der Juden, in: D.Heiden/G.Mai (Hrg.), Nationalsozialismus in Thüringen, Weimar/Köln/Wien 1995, S. 453 f.

Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen, in: "Kulturgeschichtliche Reihe", Band 2, Hrg. Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege, Leipzig 1997

Hans Nothnagel/Kerstin Möhring, Chronik jüdischen Lebens in Schleusingen, in: H.Nothnagel (Hrg.), Juden in Südthüringen geschützt und gejagt, Band 1: Über jüdisches Leben und Erbepflege im Evangelischen Kirchenkreis “Henneberger Land”, Verlag Buchhaus Suhl, Suhl 1998, S. 111 - 163

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 876/877

Kerstin Möhring, Jüdisches Leben in Schleusingen von den Anfängen bis ins 18.Jahrhundert, in: "Schleusinger Blätter", Heft 2/2005, S. 12 - 14

Kerstin Möhring, Jüdisches Leben in der Stadt Schleusingen im 19.Jahrhundert, in: "Schleusinger Blätter", Heft 3/2006, S. 12 f.

Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 216 – 219

Schleusingen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Kerstin Möhring, Jüdische Geschichte Schleusingens - Opfer, Überlebende, Täter, Zuschauer, Schleusingen/Hildburghausen 2012

Kerstin Möhring (Bearb.), Jüdisches Leben in Schleusingen, online abrufbar unter: juden-in-schleusingen.de

Kerstin Möhring (Bearb.), Geschichte der Juden in Schleusingen, in: Netzwerk für jüdisches Leben in Thüringen, online abrufbar unter: juedisches-leben-thueringen.de (detaillierte Darstellung, u.a. mit einer Auflistung aller jemals in der Stadt lebenden Juden und zudem mit biografischen Angaben der zuletzt in Schleusingen lebenden jüdischen Personen)