Bad Mingolsheim (Baden-Württemberg)
Bad Mingolsheim ist heute ein Ortsteil von Bad Schönborn - ca. 30 Kilometer südlich von Heidelberg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Karlsruhe', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Eine erstmalige Nennung jüdischer Bewohner in Mingolsheim, das bis 1803 zum Bistum Speyer und danach zum Großherzogtum Baden gehörte, stammt aus dem Jahre 1714. Vermutlich haben sich aber schon vorher Juden hier aufgehalten. Die Mingolsheimer Juden mussten an das Fürstbistum Speyer eine jährliche Schutz- und Schirmabgabe leisten, dazu ein sog. „Neujahrsgeld“ und noch weitere finanzielle Aufwendungen, die auch für christliche Untertanen galten.
‚Kopf’ eines Schutzbriefes aus dem Jahre 1774
Bis zum Bau der Synagoge versammelten sich die Mingolsheimer Juden zu gottesdienstlichen Treffen in einem Betraum eines Privathauses. Um die Finanzierung eines eigenen Synagogengebäudes zu bewerkstelligen, kamen im Jahre 1853 zwölf Gemeindeangehörige vertraglich überein, regelmäßige Zahlungen zu leisten. Doch es sollte noch fast drei Jahrzehnte dauern, bis die neue Synagoge in der Friedrichstraße 1882 eingeweiht werden konnte.
Portalinschrift der Synagoge - Psalm 118,20 (Aufn. W. Messmer, aus: wikipedia.org, CCO)
Im Vorderhaus des Synagogengrundstücks war im 19.Jahrhundert eine jüdische Schule mit Lehrerwohnung untergebracht; der Religionslehrer übte zugleich auch das Amt des Vorsängers aus. Zahlreiche Stellenanzeigen in einschlägigen jüdischen Zeitschriften weisen darauf hin, dass die Besetzung der Lehrerstelle im Laufe des 19.Jahrhunderts einem dauernden Wechsel unterworfen war.
Stellenanzeigen aus: "Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" von 1841 und "Der Israelit" vom 1.Sept. 1887
Stellenangebote aus den Jahren 1892, 1901 und 1903
Bis in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts begruben die Mingolsheimer Juden ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Obergrombach, der Begräbnisstätte für den rechtsrheinischen Teil der Judenschaft war. Zusammen mit den jüdischen Nachbargemeinden Malsch und Östringen wurde dann im Jahr 1878 auf der Mingolsheimer Gemarkung ein eigener Friedhof angelegt.
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Bruchsal.
Juden in (Bad) Mingolsheim:
--- 1714 ......................... 4 jüdische Familien,
--- 1785 ......................... 6 “ “ ,
--- 1815 ......................... 16 “ “ ,
--- 1825 ......................... 43 Juden (2,5% d. Bevölk.),
--- 1839 ......................... 52 “ ,
--- 1864 ......................... 67 “ ,
--- 1875 ......................... 77 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1885 ......................... 65 “ ,
--- 1900 ......................... 53 “ ,
--- 1912 ......................... 32 “ ,
--- 1925 ......................... 24 “ ,
--- 1933 ......................... 13 “ ,
--- 1938 (Jan.) .................. 8 “ ,
--- 1940 (Nov.) .................. keine.
Angaben aus: Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, S. 316
und Willy Messmer, Juden unserer Heimat. Die Geschichte der Juden aus den Orten Mingolsheim, ..., S. 85
War das beginnende 19.Jahrhundert noch gekennzeichnet durch Konflikte zwischen jüdischen Bewohnern mit der Ortsgemeinde, so entwickelte sich im Laufe der Folgejahrzehnte ein friedliches Miteinander. Neben dem Viehhandel waren um 1900 vor allem acht in jüdischem Besitz befindliche Zigarrenfabriken für die Wirtschaftskraft des Ortes bedeutsam, denn in diesen Unternehmen standen mehrere hundert Mingolsheimer in Lohn und Brot. Inflation und Wirtschaftskrise führten dann aber zur Schließung einiger Betriebe; die verbliebenen mussten Mitte der 1930er Jahre aufgegeben werden bzw. wurden „arisiert“. Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch 13 jüdische Bewohner in Mingolsheim. Da sie sich bald Belästigungen und Beleidigungen seitens ihrer christlichen Nachbarn ausgesetzt sahen und sich auch nicht mehr sicher fühlten, verließen einige ihren Heimatort und verzogen in Städte bzw. emigrierten. 1935 wurde die Gemeinde dann aufgelöst.
Als in der Pogromnacht ein SA-Trupp mit seinem Zerstörungswerk beginnen und die Synagoge in Brand setzen wollte, wurde er durch einen Einwohner darauf aufmerksam gemacht, dass das Gebäude bereits in „arischem“ Besitz sei; daraufhin nahmen die SA-Männer von der Zerstörung Abstand. Das im Frühjahr 1938 verkaufte Synagogengebäude diente dem neuen Besitzer dann als Scheune. - Von der Deportation der badischen Juden nach Gurs am 20.10.1940 waren auch die letzten vier Juden in Mingolsheim betroffen; alle vier wurden Opfer des Holocaust.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen zwölf gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden aus Bad Mingolsheim Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_mingolsheim_synagoge.htm).
Das ehemalige Synagogengebäude wird bis heute als Lagerraum genutzt. Eine hebräische Inschrift über der Eingangstür – „Dies ist das Tor zum Herrn, die Gerechten ziehen durch es hinein” - erinnert noch an die einstige Bestimmung des Gebäudes.
Ehem. Synagoge (Aufn. um 1965/1970, aus: Hundsnurscher/Taddey und StromBer 2007, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Der Ende der 1870er Jahre angelegte eigene Friedhof - von einer Steinmauer umschlossen - besitzt ca. 150 Grabstätten; der älteste Grabstein auf dem ca. 2.400 m² großen Gelände stammt aus der Zeit seiner Anlegung, der jüngste von 1939.
Ummauertes Friedhofsgelände (Aufn. B. Strominski, 2004, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Jüdischer Friedhof in Bad Mingolsheim (Aufn. Frank C. Müller, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Am Eingang des Friedhofs ist eine Gedenktafel angebracht, die an die Opfer der Deportation vom Okt. 1940 erinnert:
Zum Gedenken an die Opfer der Israelitischen Gemeinde Mingolsheim,
die in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (1933 – 1945)
ihre Heimat verloren haben oder ihr Leben lassen mussten.
Ihre Leiden rufen auf zur Verteidigung der Menschenrechte
und zum Widerstand gegen die rechtlose Verfolgung Andersdenkender.
Schüler/innen der Franz-Josef-Mone-Schule erstellten 2007 im Rahmen des landesweit durchgeführten okumenischen Projektes zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden einen Memorialstein, der - als Randstein an der Friedrichstraße - mit einem metallenen Spruchband „Ohne Erinnern keine Zukunft“ versehen ist (Aufn. StromBer, 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0); die Doublette des Memorialsteins befindet sich auf der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern.
2015 gründete sich eine konfessionsübergreifende und überparteiliche Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hatte, in den Ortsteilen von Bad Schönborn sog. „Stolpersteine“ zu verlegen, die an jüdische Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern. Zwei Jahre später wurden dann die ersten sechs Steine verlegt: fünf in Bad Mingolsheim und einer in Langenbrücken.
verlegt für Angehörige der Familie Falk. Leopoldstraße und für Franziska Moses, Bruchsaler Straße (Aufn. Getuem, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Bad Langenbrücken - einem anderen Ortsteil von Bad Schönborn - lebten seit den 1860er Jahren auch einige wenige jüdische Familien. Als Filialgemeinde von Bad Mingolsheim nutzten deren Angehörige die gemeindlichen Einrichtungen von Mingolsheim.
Juden in (Bad) Langenbrücken:
--- 1864 ........................ ein Jude,
--- 1891 ........................ 16 Juden,
--- 1900 ........................ 24 “ ,
--- 1905 ........................ 17 “ ,
--- 1925 ........................ 11 “ ,
--- 1933 ........................ 8 “ ,
--- 1940 (Nov.) ................. ein “ ().
Angaben aus: Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, S. 316
Im Ort bestanden bis nach 1933 die Badische Möbelwerke AG (Inhaber Isaak und Gustav Basnitzki), die Zigarrenfabrik Falk-Streckfuß (Teilhaber Eugen und Josef Falk) und die Tabak- und Hopfenhandlung Theodor Isaac.
Während vier jüdischen Bewohnern ihre Emigration in die USA gelang, wurden drei Opfer der Shoa.
verlegt für Selma Isaak, Dammstraße (Aufn. Getuem, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale. Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 40
Willy Messmer, Juden unserer Heimat. Die Geschichte der Juden aus den Orten Mingolsheim, Langenbrücken und Malsch, Bad Schönborn 1986
Willy Messmer, Judenschicksale in Bad Schönborn-Mingolsheim, in: "Jahrbuch des Landeskreises Karlsruhe 1988", hrg. vom Landratsamt
Willy Messmer, Der jüdische Friedhof in Mingolsheim, Bad Schönborn o.J.
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 277/278
Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Hrg. Landratsamt Karlsruhe, Verlag Regionalkultur 1997, S. 315 - 317
Bad Mingolsheim mit Bad Langenbrücken, in: alemannia-judaica.de
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 38 – 40
Hans-Georg Schmitz, Ich mache eure Feste mit. Die jüdischen Einwohner von Mingolsheim und Langenbrücken, in: Klaus Gaßner (Hrg.), Bad Schönborner Geschichte, Band 2/2014
Klaus Gaßner (Hrg.), Bad Schönborner Geschichte. Die Chronik der wiedervereinigten Dörfer Mingolsheim und Langenbrücken, Band 2: Vom Großherzogtum Baden bis zur Gemeindefusion 1971, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2015
Stolpersteine in Bad Schönborn – Gedenken für die Opfer des NS-Regimes in Mingolsheim und Langenbrücken, online abrufbar unter: stolpersteine-badschoenborn.de
Petra Steinmann-Plücker (Red.), Schicksale von ganzen Familien – Sechs Stolpersteine mahnen und erinnern in Bad Schönborn an Opfer des Nationalsozialismus, in: „Bruchsaler Rundschau“ vom 28.6.2017
Erinnerungen an Gräueltaten in Bad Schönborn, online abrufbar unter: stolpersteine-badschoenborn.de vom 9.11.2018
Auflistung der in Bad Mingolsheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Schönborn