Baiertal (Baden-Württemberg)

https://leimenblog.de/wp-content/uploads/2015/02/4819-Kreisarchiv-Landkarte.jpgDatei:Wiesloch in HD.svg Baiertal mit derzeit ca. 4.500 Einwohnern ist seit 1972 ein Stadtteil von Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis - etwa 15 Kilometer südöstlich von Heidelberg gelegen (hist. Bildkarte mit 'Wiseloch', um 1795, aus: schwetzingen.local.de  und  Kartenskizze 'Rhein-Neckar-Kreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Zu Beginn des 19.Jahrhunderts gehörte jeder 5. Ortseinwohner dem jüdischen Glauben an.

Erste Ansiedlungen jüdischer Familien im Dorf Baiertal liegt im Dunkeln, vermutlich kamen sie nach Ende des Dreißigjährigen Krieges hierher. Als „Schutzjuden“ unterstanden sie verschiedenen Herrschaften, u.a. dem Deutschen Ritterorden, und waren diesem bei Aufnahme in den Ort zur einmaligen Zahlung eines „Judenschutzgeldes“ und zu jährlichen Abgaben verpflichtet.

Eine jüdische Gemeinde bildete sich dann im Laufe des 18.Jahrhunderts. Sie erreichte in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ihren Höchststand und stellte knapp 20% der gesamten Dorfbevölkerung. Eine um 1805/1810 erbaute Synagoge an der Ecke Mühlstraße/Pauline-Maier-Straße, an die sich zeitweise auch eine Schule anschloss, ließ die Gemeinde in hohe Verschuldung geraten.

Baiertal mit Synagoge (links halbverdeckt) u. jüdische Schule (Postkartenausschnitt um 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

                               

Skizze der Synagoge (Bildmitte) u. des jüdischen Schulhauses (vor der Synagoge)  -  Synagoge (hist. Aufn., Stadtarchiv Wiesloch)

Im Schulgebäude befand sich vermutlich eine Mikwe. 1868 endete der Schulbetrieb der jüdischen Elementarschule; danach suchten die Kinder die christlichen Schulen auf.

   http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20185/Baiertal%20Israelit%2025021894.jpg

Stellenanzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 1.Febr. 1892 und vom 25.Febr. 1895

Einen eigenen Friedhof besaßen die Baiertaler Juden nicht; Verstorbene wurden in Wiesloch beerdigt.

Ab 1827 zählte die israelitische Gemeinde Baiertal zum Rabbinatsbezirk Heidelberg.

Juden in Baiertal:

         --- 1723 ...........................   4 jüdische Familien,

    --- 1803 ...........................  31     “       “    ,

    --- 1812 ........................... 156 Juden (ca. 18% d. Bevölk.),

    --- 1825 ........................... 149   “   (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1840/50 .................... ca. 170   “  ,

    --- 1863 ....................... ca. 160   “  ,

    --- 1875 ........................... 118   “  ,

    --- 1890 ........................... 104   “  ,

    --- 1900/02 ........................  84   “  ,

    --- 1925 ...........................  31   “  ,

    --- 1933 ...........................  25   “  ,

    --- 1940 (Sept.) ...................  14   “  ,

             (Nov.) ....................  keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ..., S. 42

und                 A.Willaschek/F.Raap, Von Buridal bis Baiertal - Eine Gemeinde erzählt ihre Geschichte, S. 202

 

Mit der nach 1860/1870 stattfindenden Abwanderung der Baiersdorfer Juden in die größeren Städte der Region schrumpfte die Zahl der Gemeindeangehörigen stark. Die hier lebenden Familien bestritten ihren Lebensunterhalt mit Handels- u. Gewerbebetrieben; so gab es bis um 1930 eine Mehl-, eine Pferde-, eine Tabak- und Gemischtwarenhandlung und zudem eine Zigarrenfabrik.

Anfang der 1930er Jahre lebten hier nur noch wenige Familien. Dies führte schließlich dazu, dass die Kultusgemeinde 1937 offiziell aufgelöst wurde. Während des Novemberpogroms drang ein SA-Trupp in den Synagogenraum ein, schleppte das Inventar und die sakralen Gegenstände heraus und verbrannte sie auf der Straße. Auch von Juden bewohnte Häuser wurden schwer beschädigt. Der Gemeinderat beschloss in seiner Sitzung Ende November 1938, dass die baufällige Synagoge entfernt werden solle. Ein Protokoll vom 20. März 1939 vermeldete dann den Beschluss, dass das Gebäude abgerissen und die Steine zur Entwässerung des Sportplatzes verwendet werden sollten. Die gegen Ende Oktober 1940 vollzogene Deportation der badischen Juden nach Gurs/Südfrankreich betraf auch 14 Baiertaler Juden; die meisten von ihnen wurden Opfer des Holocaust.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 33 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort wohnhaft gewesene jüdische Bürger von Baiertal Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/baiertal_synagoge.htm).

 Baiertal - Baiertaler Synagoge - 2017-02-05 15-36-03.jpg Eine heute noch erhaltene Säule des Eingangsportals der Synagoge - nun zu einem Mahnmal umgestaltet - erinnert im Ortskern vor dem Bürgerhaus an die ehemalige jüdische Gemeinde in Baiertal (Aufn. R. Drozdzewski, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0); der Text einer dort angebrachten Gedenktafel lautet:

BAIERTALER SYNAGOGE

Auf dem Synagogenplatz stand das Bethaus und die Schule der Jüdischen Gemeinde von Baiertal.

Die Synagoge wurde Anfang des 19.Jahrhunderts erbaut.

Nach ihrer Schändung im November 1938 wurde sie im Jahr 1939 abgerissen.

Diese Säule war Teil des Eingangsportals.

      

Gedenkstein in Baiertal Der von Baiertaler Konfirmanden für das Deportations-Mahnmal in Neckarzimmern geschaffene Memorialstein greift das Motiv der „Synagogensäule“ auf (Aufn. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

Vor ihren einstigen Wohnsitzen erinnern seit 2013 sog. „Stolpersteine“ an aus Baiertal verfolgte und ermordete Juden; insgesamt 14 Steine wurden in die Gehwegpflasterung in der Mühlstraße, Alte Bahnhofstraße und Schatthäuser Straße verlegt.

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verlegt in der Alten Bahnhofstraße (Aufn. Chr. Michelides, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Die Brücke der Schatthäuser Straße über den Maisbach wird im Volksmund „Judenbrücke“ genannt; dort trafen sich die jüdischen Bewohner am Sabbat nach dem Gottesdienst.

Nahe des Synagogenplatzes erinnert eine Straße an die 1877 in Baiertal geborene Pauline Maier, die Oberin des jüdischen Altersheimes in Mannheim war; nach ihrer Deportation nach Gurs folgte sie freiwillig ihren Patienten 1942 nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. An ihre Person erinnert heute auch das Pauline-Maier-Altenheim in Mannheim.

 

[vgl. Wiesloch (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 42/43

Christian Sachs, Die Geschichte der Wieslocher und Baiertaler Juden im Dritten Reich, Schülerarbeit am Gymnasium Wiesloch, Maschinenmanuskript 1983

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 496

A.Willaschek/F.Raap, Von Buridal bis Baiertal - Eine Gemeinde erzählt ihre Geschichte, Hrg. Stadtteilverein Baiertal, 1988, S. 202 - 204

Ein Ort konkreter Erinnerung’ - Eindrucksvolle Gedenkfeier zur Errichtung der Synagogensäule in Baiertal, in: "Rhein-Neckar-Zeitung - Ausgabe Wiesloch-Walldorf" vom 29.3.1999

Leana Sklass, Geschichte der Wieslocher und Baiertaler Juden zur Zeit des Nationalsozialismus, 2005

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 518/519 

Baiertal, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- und Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Anton Ottmann (Red.), „Stolpersteine“ halten die Erinnerung wach, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 18.3.2013

Stolpersteine Wiesloch, Baiertal 2013 – Broschüre, online abrufbar unter: wiesloch.de (mit detaillierten biografischen Angaben zu den ehemaligen jüdischen Bewohnern)