Bödigheim (Baden-Württemberg)
Bödigheim ist heute ein Stadtteil von Buchen im Neckar-Odenwald-Kreis - ca. 45 Kilometer westlich von Bad Mergentheim (topografische Karte mit Eintrag von Buchen, kj 2007, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Neckar-Odenwald-Kreis, Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im 19.Jahrhundert gehörte jeder 10. Ortsbewohner dem mosaischen Glauben an.
Bereits gegen Mitte des 14.Jahrhunderts hatte die reichsritterschaftliche Familie Rüdt von Collenberg das Privileg erhalten, Juden in Bödigheim anzusiedeln. Seitdem haben - vermutlich ohne Unterbrechungen - bis in die NS-Zeit hinein jüdische Bewohner hier gelebt. Besonders zahlreich sollen sie im 16./17.Jahrhundert gewesen sein, allerdings liegen hierzu keine genauen demographischen Daten vor. Zumeist waren es von den Würzburger Bischöfen vertriebene Familien, die hier gegen Schutzgeldzahlungen bereitwillig Aufnahme gefunden hatten. Bevorzugtes Wohngebiet war die „Judengasse“.
Vermutlich besaß die Gemeinde im 18.Jahrhundert nicht nur einen eigenen Rabbiner, sondern auch ein Synagogengebäude. Ein Synagogenneubau wurde im Jahre 1829 oder 1830 in der Judengasse, der heutigen Hindenburgstraße, fertiggestellt; daneben soll sich eine Mikwe befunden haben. Die Inschrift auf dem Synagogen-Grundstein lautet: „Diese Sinagog wurde Erbaut unter der Regierung der Durchlaucht Grosherzog Ludwig von Baden dem Israelitischen Vorsteher Ms. Behr durch Werckmeister Huber 1828.“
aus der Zeitschrift „Der Israelit" vom 26.Okt. 1911
Die Gemeinde Bödigheim beschäftigte einen Lehrer, der neben der Unterrichtung der Kinder in Elementarfächern zugleich auch das Vorbeter- und Schächtamt ausübte. Unter den hier tätigen Lehrern ist der aus Dittigheim stammende Samuel Steinhart zu nennen, der fast vier Jahrzehnte in Bödigheim seinen Dienst versah. Anlässlich seines Todes verfasste ein ehemaliger Schüler einen Nachruf, der in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 30.Oktober 1878 erschienen war:
Nach dem Tode Samuel Steinharts war Seligmann Fleischmann sein Nachfolger, der ebenfalls über eine langen Zeitraum seine Lehrertätigkeit in Bödigheim ausübte. Zuletzt war die kleine Schule nur noch als Religionsschule geführt worden.
Bereits im späten Mittelalter soll der große „Judenacker“ genannte jüdische (Verbands-)Friedhof an der Straße nach Waldhausen existiert haben. Er zählt damit - neben den Judenfriedhöfen in Wertheim und Külsheim - zu den ältesten des badischen Frankenlandes bzw. der Odenwaldregion. Der Bödigheimer Friedhof wurde von etwa 30 jüdischen Gemeinden aus der Region genutzt, darunter Adelsheim, Ballenberg, Berolzheim, Boxberg, Eubigheim, Hüngheim, Merchingen, Rosenberg, Sennfeld und Uiffingen. Einer Überlieferung nach soll sich der Friedhof ursprünglich auf einem kleinen Acker ohne Ummauerung befunden haben, auf dem Eichen angepflanzt waren. Das älteste datierte Grabmal stammt aus dem Jahre 1628. Etwa 120 Jahre jünger ist das Grab des gelehrten Bödigheimer Rabbiners Salomon Wolf. Dort sind ungezählte Grabmäler aus früheren Jahrhunderten vorhanden, deren Inschriften aber stark verwittert sind. Etwa 4.000 Juden sollen hier ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Alte Grabmale auf dem Bödigheimer Friedhof (Aufn. um 1910, Landesarchiv Baden-Württemberg)
Die ältesten Grabmäler, zumeist aus roten oder weißen bodenständigen Sandsteinen, sind tief in die Erde eingesunken und vollkommen mit Moos überwuchert. Noch heute findet man hier mehr als 1.500 Grabstätten.
Aus einer Beschreibung von Willi Wertheimer („Judenfriedhof im Odenwald“):
„ ... Im alten Teil des Friedhofes fallen uns drei Grabmäler wegen ihrer Größe und Inschrift besonders auf. Es sind dies die Grabstätten hervorragender gelehrter religiöser Männer aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Es handelt sich um den Bödigheimer Rabbiner Metz, einem Abkömmling des zur Zeit Kaiser Rudolfs von Habsburg lebenden Groß-Rabbiners der deutschen Juden, Rabbi Meir aus Rothenburg o.T. Metz war ritterschaftlicher Rabbiner des Würzburgischen Oberrabbinats Heidingsfeld; ferner um den Rabbiner Dreifuß sowie den Buchener Rabbiner Richter. Ein Walldürner Gelehrter hat unweit davon auch seine Ruhestätte. Diese Grabdenkmäler künden davon, daß einst große israelitische Gemeinden sich rings um Bödigheim und Buchen befanden. ... Die Grabmäler besitzen neben der eindrucksvollen hebräischen Inschrift oft noch besondere Merkmale oder Ornamente. Wir beobachten z.B. ausgebreitete Hände, eine Wasserkanne, ein langgezogenes Horn, Täubchen, verwelkte Blumen, Davidsstern usw. Hände und Kanne berichten, daß hier Angehörige des Stammes der Priester und Leviten ruhen. Das Horn bedeutet, daß hier ein religiöses Mitglied der Gemeinschaft schlummert, das an den hohen Feiertagen (Neujahr und Versöhnungsfest) synagogale Funktionen ehrenamtlich ausübte. Der auffliegende Vogel ist das Symbol des wahrhaftigen Glaubens an das Emporschweben der Seele zu Gott, das geknickte Bäumchen, oder die verwelkten Blumen erinnern an einen allzu früh Dahingeschiedenen. Die heraldischen Figuren Löwe und Hirsch, zwei steinerne Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten tragend und von einer Krone überragt, weisen auf den Vers hin: (Sprüche der Väter V, Vers 23) "Sei stark wie ein Löwe im Glauben und so schnell wie der Hirsch im Ausüben der göttlichen Gebote". Die Krone und die Zehn Gebote bezeugen, daß der Tote ein Rabbi oder ein Lehrer von ausgezeichnetem Namen und Ruf (Sprüche der Väter V, Vers 17) war. Menschliche Darstellungen finden wir auf den Gräbern nicht, da solche nach dem Gesetz verboten sind. Eine einzige Ausnahme finden wir: Eine menschliche Figur in Reliefform, einen Weisen (d.h. guten Mann) mit einem Wanderstab, an welchem ein Hund (oder ein Löwe) empor springt, darstellend. Es ist dies am Grabmale eines hochangesehenen Mannes, des 1840 verstorbenen Löb Gutmann aus Buchen oder Merchingen. Die Figuren sind also Namenssymbole. Auf manchen Gedenksteinen beobachtet man kleine Häufchen Steine oder auch Gras; Symbole treuer Liebe und inniger Verbundenheit über den Tod hinaus. Verläßt der Besucher die Gräber seiner Angehörigen oder seiner Freunde, so legt er ein Steinchen oder Grab auf die Grabmäler, da Kränze und Blumen traditionsgemäß nicht üblich sind.“
veröffentlicht in: „Buchener Volksblatt und Dorflinde“, Zeitschrift des Odenwald-Klubs Darmstadt 18/1932, Nr. 9 - 10
Seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war Bödigheim Sitz eines ritterschaftlichen „Unterrabbiners“, der dem würzburgischen Oberrabbinat Heidingsfeld unterstellt war. Die letzten Bödigheimer Rabbiner waren Samuel Dellheimer (=Hirsch Samuel Delem) und Daniel Jakob Rothenburg (gest.1846). Nach dem Tod des Rabbiners Rothenburg wurde das Bezirksrabbinat Bödigheim aufgelöst und die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Merchingen zugeteilt.
Juden in Bödigheim:
--- 1825 .......................... 91 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),
--- um 1840 ................... ca. 120 “ ,
--- 1855 .......................... 104 “ ,
--- 1875 .......................... 89 " ,
--- 1880 .......................... 83 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1887 .......................... 93 " ,
--- 1900 .......................... 66 “ (ca. 9% d. Bevölk.)
--- 1910 .......................... 55 “ ,
--- 1925 .......................... 32 “ ,
--- 1933 .......................... 16 “ ,
--- 1942 (Sept.) .................. 6 “ ,
(Nov.) ................... keine.
Angaben aus: Die Juden in Tauberfranken 1933 - 1945. Quellen und didaktische Hinweise für die Hand des Lehrers, S. 19
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch vier jüdische Familien in Bödigheim, die ihren Lebensunterhalt mit Handel bestritten; zu nennen sind hier: Metzgerei/Viehhandlung Julius Bravmann (Hauptstraße), Gemischtwarenladen Michael Eisenmann (Hausemer Weg), Leder-/Fellhandlung Ferdinand Haas (Hauptstraße), Gemischtwarenhandlung und Tankstelle Max Neumann (Hauptstraße) und der Krämerladen von Salomon Salm (Hindenburgstraße).
Die 1818 erbaute Synagoge wurde während der „Reichskristallnacht“ von einer Einzelperson demoliert. Zu weiteren Übergriffen gegen jüdische Bewohner soll es hier nicht gekommen sein. Nach zunächst gewerblicher Nutzung wurde das Synagogengebäude nach 1945 zur Unterbringung von Flüchtlingen genutzt und danach zu einem Wohnhaus umgebaut.
Die letzten sechs verbliebenen jüdischen Einwohner Bödigheims wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 13 gebürtige bzw. längere Zeit in Bödigheim wohnhaft gewesenen Juden sollen dem Holocaust zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/boedigheim_synagoge.htm).
[vgl. Buchen (Baden-Württemberg)]
Am ehemaligen Synagogengebäude erinnert nur noch der Grundstein an die einstige Nutzung des Hauses.
Auf dem Kirchplatz der Kreuzeskirche erinnert eine Metallplatte an die deportierten jüdischen Ortsbewohner - entworfen von Jugendlichen aus der hiesigen Kirchengemeinde (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).
Das ca. 14.000 m² große Friedhofsareal weist heute noch mehr als 1.500 Grabstätten auf; der älteste vorhandene Stein datiert von 1628.
Teilansichten des Friedhofs (Aufn. P., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und J. Hahn, 2012)
Auffällig ornamentierte Grabsteine (alle Aufn. Reinhard Hauke, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
In der Friedhofshalle (Taharhaus) ist als museales Exponat der Leichenwagen der ehemaligen jüdischen Gemeinde zu sehen.
restaurierte Friedhofshalle und Leichenwagen (beide Aufn. J. Hahn, 2013 bzw. 1985)
Weitere Informationen:
Willi Wertheimer, Judenfriedhof im Odenwald, in: "Odenwald-Klub 18/1932", No. 9 und 10
Emil Bader, Bödigheim im Odenwald, in: "Mein Heimatland", No.19, S. 208 f.
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 47 - 49
K.Schimpf, Bödigheim, in: 700 Jahre Buchen, Buchen 1980, S. 343 ff.
Die Juden in Tauberfranken 1933 - 1945. Quellen und didaktische Hinweise für die Hand des Lehrers, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1984
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 380 f.
Emiliy Link, Dokumentation des jüdischen Friedhofs in Bödigheim, o.O. 2000
Michael Brocke/Christiane E. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag Leipzig 2001, S. 105/106
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 71 – 73
Rudolf Landauer/Reinhart Lochmann (Bearb.), Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwaldkreis, hrg. vom Landratsamt des Neckar-Odenwaldkreises, 2008
Bödigheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Text- u. Bildbeiträgen zur jüdischen Ortsgeschichte)
Jüdischer Friedhof in Bödigheim, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen)