Ittlingen (Baden-Württemberg)
Ittlingen ist heute eine ländlich geprägte Kommune mit derzeit ca. 2.500 Einwohnern im Westen des Landkreises Heilbronn - ca. 15 Kilometer westlich von Bad Rappenau gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Heilbronn' ohne Eintrag von Ittlingen, aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heilbronn).
Der Ort Ittlingen stand vom 14. Jahrhundert bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts unter reichsritterschaftlicher Herrschaft von verschiedenen Familien. Erste sichere Hinweise auf jüdische Ansässigkeit liegen nach Ende des Dreißigjährigen Krieges vor, als die Grundherrschaften der Herren von Gemmingen und derer von Kochendorf die Ansiedlung erlaubten. Doch vermutlich haben sich Juden bereits im 16.Jahrhundert hier aufgehalten. Haupterwerbszweig der Ittlinger Juden war um 1700 der Vieh- und Pferdehandel, später auch der mit Landesprodukten; nach 1800 überwog der Not- und Trödelhandel.
Die christliche Bevölkerungsmehrheit war den hiesigen Juden nicht immer wohlgesonnen; so setzte sie z.B. Handelseinschränkungen durch. Auch der Ortspfarrer war über die Anwesenheit der Juden „gar zu ärgerlich“ und beschwerte sich 1686 darüber, dass an christlichen Feiertagen Juden „allerhand Gauckeley und Getümmel“ trieben und so die Kirchbesucher ablenkten.
Bereits um 1690 bestand im Dorf eine „Schul“. Seit den 1770er Jahren besaß Ittlingen auch einen Rabbiner; er war von der Herrschaft Gemmingen angeworben worden, um „vielfältige Zwistigkeiten, Zank und Streit” innerhalb der Judenschaft zu beenden. Nach 1800 entwickelte sich in Ittlingen eine zahlenmäßig relativ große Gemeinde. 1805 wurde ein Synagogenneubau in der Unteren Mühlgasse erstellt; vor Baubeginn hatte es innerhalb der hiesigen Judenschaft erhebliche Streitigkeiten gegeben. Die hiesigen jüdischen Kinder besuchten die christliche Ortsschule; für den Religionsunterricht war ein israelitischer Lehrer angestellt, der auch als Vorsänger wirkte.
Stellenanzeigen aus: "Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" vom 8.12.1843 und aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 24.8.1891
Die Lehrerstelle in Ittlingen über lange Jahre Josef Herz aus, der durch das "Anfertigen von Wimpeln" (Mapa) sein schmales Salär aufbesserte.
Kleinanzeige aus "Der Israelit" vom 5.9.1901
Seit ca. 1820 wurden die Toten auf dem jüdischen Friedhof in Eppingen begraben, nachdem zuvor der Friedhof in Heinsheim bzw. Waibstadt benutzt worden war. Ab Ende der 1880er Jahre besaß die Ittlinger Gemeinde eine eigene Begräbnisstätte „Im Richener Bühl“.
Jüdischer Friedhof (Aufn. J. Hahn, um 1985)
Die jüdische Gemeinde war ab 1827 dem Rabbinatsbezirk Sinsheim, ab Ende der 1870er Jahre dann dem von Bretten zugeordnet.
Juden in Ittlingen:
--- um 1700 ....................... 5 jüdische Familien,
--- 1740 .......................... 9 “ “ ,
--- 1762 .......................... 16 “ “ ,
--- 1795 .......................... 15 “ “ ,
--- 1825 .......................... 86 Juden (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1839 .......................... 153 “ ,
--- 1864 .......................... 163 “ ,
--- 1875 .......................... 124 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1887 .......................... 145 “ ,* *andere Angabe: 158 Pers.
--- 1900 .......................... 113 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1910 .......................... 77 “ ,
--- 1925 .......................... 46 “ ,
--- 1933 .......................... 37 “ ,
--- 1940 (Sept.) .................. 8 “ ,
(Nov.) ................... keine.
Angaben aus: W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, S. 117 + S. 120
Zu Beginn der 1930er Jahre betrieben die jüdischen Bewohner Ittlingens mehrere Geschäfte in verschiedenen Branchen; einige waren auch im Hausierhandel tätig. Mit der Einführung von Wandergewerbescheine und der zunehmenden Ausgrenzung wurde den Ittlinger Juden ihre Wirtschaftsgrundlage entzogen; die meisten von ihnen verließen zwischen 1935 und 1938 den Ort und emigrierten, zumeist in die USA.
Während des Novemberpogroms wurde die Ittlinger Synagoge zerstört und wenig später bis auf die Grundmauern abgebrochen; das Gelände blieb unbebaut.
Ittlinger Synagoge, Aufn. Ende 1938 (Landesarchiv Baden-Württ.)
Die letzten acht noch am Ort verbliebenen jüdischen Bewohner wurden am 22.Oktober 1940 nach Gurs deportiert; von ihnen soll nur ein einziger den Holocaust überlebt haben.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 25 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort wohnhaft gewesene jüdische Bürger Ittlingens Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen personen siehe: alemannia-judaica.de/ittlingen_synagoge.htm).
Auf dem ca. 600 m² großen Friedhofsgelände befinden sich gegenwärtig noch nahezu 60 Grabsteine; die letzte Beerdigung fand hier 1938 statt.
Friedhof (Aufn. P. Schmelzle, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit November 1988 erinnert in der Mühlgasse (gegenüber dem Synagogengrundstück) eine Hinweistafel an den ehemaligen Standort der Synagoge.
Hinweistafel (Aufn. Peter Schmelzle)
Jugendliche der evang. Kirchengemeinde Ittlingen schufen 2015 unter Anleitung eines Steinmetzes einen zweiteiligen Gedenkstein, der symbolisch die abrupte und gewaltsame Spaltung der Dorfgemeinschaft darstellen soll. Dieser Stein ist ein Teil des zentralen Mahnmals, das in Neckarzimmern an die Deportation der badischen Juden erinnern soll (Aufn. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 141/142
Gustav Neuwirth, Geschichte der Gemeinde Ittlingen, o.O. 1981, S. 365 - 367
W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: "Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn", Hrg. Landkreis Heilbronn, 1986, S. 115 - 121
pin (Red.), Synagogen-Stein ist enthüllt, in: „Heilbronner Stimme“ vom 10.11.1988
Barbara Döpp (Bearb.), Der jüdische Friedhof Ittlingen, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1991
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 227 - 229
Ittlingen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Bernd Hagenlocher (Bearb.), Dem Vergessen entgegenwirken, hrg. vom Heimatverein Ittlingen, 2018 (online abrufbar unter: heimatverein-ittlingen.de/2018/11/19/dem-vergessen-entgegenwirken/)
Elfi Hofmann (Red.), Jüdisches Leben in Ittlingen: Ihre Namen bleiben, in: „stimme.de vom 28.8.2020