Mosbach (Baden-Württemberg)
Mosbach ist eine Kreisstadt im Norden Baden-Württembergs mit ca. 23.000 Einwohnern; sie liegt ca. 35 Kilometer nördlich von Heilbronn bzw. ca. 60 Kilometer östlich von Heidelberg (topografische Karte, K. Jähne 2007, aus: wikipedia.org, CCO und Kartenskizze Neckar-Odenwald-Kreis, Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der (seit 1241) Freien Reichsstadt Mosbach gab es bereits im hohen Mittelalter eine jüdische Gemeinde, die aber 1298, 1343 und 1348/1349 bei Pogromen weitestgehend vernichtet wurde. Unmittelbar vor der ersten Verfolgung hatte Adolf von Nassau – zur Tilgung von Schulden – die Christen und Juden der Stadt Mosbach mit all ihren Besitztümern an die Adelsfamilie Gerlach von Breuberg verpfändet. Bei der ersten großen Verfolgung des Jahres 1298 sollen mehr als 50 Juden Mosbachs von den marodierenden Banden des "verarmten Ritters Rintfleisch" umgebracht worden sein; die Namen der Opfer sind im Nürnberger Memorbuch überliefert.
Ansicht von Mosbach - Kupferstich von Merian, ca. 1645 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
In den folgenden Jahrhunderten blieb die Zahl der in Mosbach lebenden Juden stets sehr gering; erst im Laufe des 18.Jahrhunderts bildete sich eine neuzeitliche Gemeinde heraus
Beträume waren anfänglich in jüdischen Privathäusern vorhanden. Gegen Ende des 18. oder beginnenden 19.Jahrhunderts ließ die Gemeinde in der Frohndbrunnengasse eine Synagoge erbauen. Als mit der Zunahme der Gemeindeangehörigen der Betsaal wegen der viel Raum einnehmenden Betpulte durch feste platzsparende Bänke ersetzt werden sollten, kam es innerhalb der Gemeinde zu erheblichen Differenzen, die erst nach Jahren ausgeräumt werden konnten.
Synagoge in Bildmitte (hist. Aufn. Landesarchiv Baden-Württ. aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Eine etwa 1830 eröffnete jüdische Elementarschule existierte in Mosbach bis in die 1870er Jahre. Allgemeine religiöse Aufgaben der Gemeinde (Religionsunterricht, Vorbeter- u. Schächtdienst) verrichtete ein angestellter jüdischer Lehrer. Mehr als vier Jahrzehnte (seit 1870) versah diese Tätigkeit der Lehrer Max Hanauer.
Anzeigen aus: "Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" von 1840 u. 1853 und "Der Israelit" vom 4.Sept. 1884
Ein jüdischer Friedhof in Mosbach - zwischen dem heutigen kommunalen Friedhof und dem Kapellenweg gelegen - muss bereits um 1560 bestanden haben.
Seit 1827 war Mosbach Sitz eines Bezirksrabbinats, dem die israelitischen Gemeinden Billigheim, Binau, Eberbach, Großeicholzheim, Neckarzimmern, Neudenau, Stein a. Kocher, Strümpelbrunn und Zwingenberg unterstellt waren.
aus: „Allgemeine Israelitische Zeitung" vom 11.5.1886
Seit den 1880er Jahren gehörten dann auch noch die Gemeinden der Rabbinatbezirke Merchingen und Wertheim dazu.
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6.März 1924
Juden in Mosbach:
--- 1722 ............................. 8 jüdische Familien,
--- 1743 ............................. 16 “ “ ,
--- 1773 ............................. 19 “ “ ,
--- 1825 ......................... ca. 100 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1865 ............................. 190 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1871 ............................. 229 “ ,
--- 1880 ............................. 200 “ ,
--- 1900 ............................. 161 “ ,
--- 1910 ............................. 176 “ (ca. 4% d. Bevölk.)
--- 1925 ............................. 159 “ ,
--- 1933 ............................. 134 “ ,
--- 1938 ......................... ca. 40 “ ,
--- 1939 (Sept.) ..................... 18 “ ,
--- 1940 (Nov.) ...................... keine.
Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, ..., S. 203
Die Mosbacher Juden lebten von Anfang an vom Handel mit Vieh, Wein, Salz und Getreide; ihr wirtschaftlicher Einfluss war kontinuierlich gewachsen und konnte auch durch Handelsverbote der Stadt auf Dauer nicht wesentlich eingeengt werden. Im 19.Jahrhundert entstanden größere jüdische Unternehmen wie eine Zigarren- und Brauereiartikel-Fabrik. Bis in die 1930er Jahre gab es in Mosbach zahlreiche Geschäfte unterschiedlicher Branchen, die von jüdischen Familien betrieben wurden.
Textilgeschäft M. Held - Karte von 1914 (aus: Sammlung K.P. Müller)
Lehrstellenangebote jüdischer Geschäftsleute in Mosbach (Anzeigen aus der Zeit von 1890 bis 1905):
Die Wertschätzung, die auch christliche Mitbürger dem Rabbiner Dr. Leopold Löwenstein entgegenbrachten, führte dazu, dass ihn der Gemeinderat 1923 einstimmig zum Ehrenbürger ernannte.
Anmerkungen: Leopold Löwenstein, geboren 1843 in Gailingen (Hochrhein) als Sohn einer vielköpfigen Rabbinerfamilie, machte sich später einen Namen als Rabbiner, Historiker und Autor. Neben einem Studium in Neuerer Geschichte/Philosophie/Pädagogik an der Würzburger Universität (1862-1865) besuchte er die Talmudschule des orthodoxen Rabbiners Seligmann Bär Bamberger. Nach kurzen Lehramtstätigkeiten an verschiedenen israelitischen Schulen (Eisenstadt, Hamburg, Güstrow, Tauberbischofsheim) nahm er 1872 die Stelle des Rabbiners in seinem Geburtsort Gailingen an. Von 1886 bis zu seinem Tode (1923) war er dann Rabbiner für die Bezirksrabbinate Mosbach, Merchingen und Wertheim. Nebenberuflich agierte er auch als Autor (jüdisch-historischer Themen) und war von 1899 bis 1904 Herausgeber der „Blätter für jüdische Geschichte und Literatur“, danach freier Mitarbeiter bei der Zeitschrift „Der Israelit“. Ab 1920 gehörte Dr. Leopold Löwenstein als Mitglied dem Oberrat der Israeliten in Baden an. Er verstarb kurz nach seinem 80.Geburtstage (1923) in Mosbach, wo er auch begraben wurde.
Letzter Bezirksrabbiner in Mosbach war seit 1924 Julius Greilsheimer (geb. 1891 in Friesenheim); ihm und seiner Familie gelang vor Kriegsbeginn die Emigration in die Niederlande, von dort wurde die gesamte Familie via Westerbork ins KZ Auschwitz deportiert, wo 1944 deren Ermordung erfolgte.
Julius Greilsheimer u. dessen Kippa (Aufn. Werner Baier)
Mit der NS-Machtübernahme 1933 zeichnete sich auch in Mosbach der wirtschaftliche Niedergang der jüdischen Geschäfte ab; eine Folge des durchgeführten offenen Boykotts durch SA-Angehörige und HJ war die alsbaldige Abwanderung jüdischer Familien. Anfang November 1938 gab es in Mosbach nur noch zwei jüdische Geschäfte.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Synagoge zerstört; die zerschlagene Inneneinrichtung schleppten Nationalsozialisten auf den Rathausplatz und verbrannten diese öffentlich; Lehrer mit ihren Schulklassen bildeten die Kulisse rund um das aufgetürmte Inventar der Synagoge. Anschließend setzte man auch das jüdische Gotteshaus in Brand.
Der „Scheiterhaufen“ mit dem brennenden Synagogeninventar auf dem Marktplatz (Aufn. Stadtarchiv)
Die beiden noch bestehenden Geschäfte wurden von einem SS-Trupp schwer demoliert. Jüdische Männer wurden aufgegriffen und für einige Wochen ins KZ Dachau eingeliefert. Wenige Tage nach den Ausschreitungen wurde die Synagogenruine abgetragen und das Gelände dem Erdboden gleichgemacht. Auch der jüdische Friedhof wurde in den folgenden Jahren mehrfach geschändet. Am 22.Oktober 1940 wurden 16 Mosbacher Juden ins südfranzösische Gurs deportiert, nur zwei von ihnen überlebten die NS-Zeit.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich insgesamt 64 gebürtige bzw. längere Zeit in Mosbach ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/mosbach_synagoge.htm).
Auf Initiative von Schülern mehrerer Mosbacher Schulen wurde in den 1960er Jahren eine Tafel an die Außenwand einer Garage, den Standort der einstigen Synagoge, mit der folgenden Inschrift angebracht:
Hier stand die Synagoge der jüdischen Gemeinde
Nationalsozialistischer Rassenwahn zerstörte sie in der Kristallnacht am 10.November 1938
Nachdem die Garagenanlage abgerissen war, wurde Mitte der 1980er Jahre am Synagogenplatz in Mosbach eine Stele mit einer Gedenktafel aufgestellt, die folgenden Text trägt:
Dieser Platz ist dem Andenken der jüdischen Bürger von Mosbach gewidmet.
In zwölf unheilvollen Jahren wurden sie ihrer Menschenwürde beraubt, aus der Heimat vertrieben oder in Vernichtungslager abtransportiert.
Ihr Gotteshaus, das hier stand, wurde am 10.November 1938 zerstört, seine Einrichtungen auf dem Marktplatz öffentlich verbrannt.
Vergesst es nicht
Gedenkstele mit eingravierten Namen (Aufn. Werner Baier, 2013, aus: alemannia-judaica.de)
Im Rahmen des landesweiten Mahnmal-Projektes, das an die Deportationen der badischen Juden vom Okt. 1940 erinnert, haben auch Jugendliche aus Mosbach ihren Beitrag geleistet; auf dem zentralen Gedenkstättengelände in Neckarzimmern findet sich - neben zahlreichen anderen Memorialsteinen - auch der Stein aus Mosbach; die Sandsteinstele weist 13 Schnitte auf - jeweils einen für jedes der 13 jüdischen Deportationsopfer (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).
Zum 75.Jahrestag des Novemberpogroms wurden die Namen der ermordeten ehemaligen jüdischen Bewohner Mosbachs in Stein verewigt. Eine Teilnahme am „Stolperstein“-Projekt hatte allerdings die Kommunalvertretung mehrheitlich abgelehnt (2012).
Auf dem jüdischen Friedhof am Kapellenweg (Aufn. Peter Schmelzle, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY SA 3.0) - hier befinden sich noch ca. 70 originale Grabsteine - erinnert ebenfalls ein Gedenkstein an die jüdischen NS-Opfer des Ortes. Nahe des Eingangs findet man die Grabstätte des Bezirksrabbiners Leopold Löwenstein (geb. 1843 in Gailingen), der im Alter von 80 Jahren in Mosbach verstarb.
[vgl. Biebrich (Hessen)]
Im nahen Hochhausen/Neckar bestand während des 19.Jahrhunderts eine relativ große Gemeinde, die knapp 20% der hiesigen Bevölkerung ausmachte. Als ihre Mitgliederzahl nach 1860 stark rückläufig war und Jahrzehnte später kein Minjan mehr zustande kam, schlossen sich die verbliebenen Juden 1913 der jüdischen Gemeinde Mosbach an. 1933 lebten bereits keine Juden mehr in Hochhausen.
[vgl. Hochhausen/Neckar (Baden-Württemberg)]
Weitere Informationen:
"Als die Synagogen brannten...", in: "Landkreis Mosbach. Informationsdienst für Kommunalpolitik, Wirtschaft und Kultur", No.20/1963, S. 5
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Staatliche Archivverwaltung Baden-Württemberg, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 202 – 205
Germania Judaica, Band II/2, Tübingen 1968, S. 548
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 387 ff.
Barbara Döpp (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Mosbach, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1992
Eckard Teichert, Mosbach im 3.Reich - Zeitzeugenberichte aus der Nazizeit. Eine Dokumentation zur Stadtgeschichte, Mosbach 1995
Martin Runow, Die Stiftung eines Capitals von Anschel Goldenberger von Billigheim zur Errichtung eines Rabbinats zu Mosbach, in: „Der Odenwald“, No.44/1997, S. 60 - 68
Julius S. Held*, Der Holocaust - aus der Distanz gesehen, in: Mosbacher Jahreshefte 1998, S. 10 - 30, Hrg. Geschichts- u. Museumsverein e.V. u. Große Kreisstadt Mosbach * J.S.Held ist gebürtiger Mosbacher Jude, emigrierte 1936 in die USA und hatte an der Columbia-Universität einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte inne
M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag Leipzig 2001, S. 116/117
Klaus Hesse/Philipp Springer, Vor aller Augen - Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz, Klartext Verlag, Essen 2002, S. 100
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 324 – 327
Balduin Herter, Mosbach im 3. Reich, 4. Heft, Die Judengemeinde von Mosbach 1297 bis 1940, Hrg. Große Kreisstadt Mosbach, 2008, S. 93 ff. (Anm. mit einer Biographie von Leopold Löwenstein, S. 100 ff.)
Reinhart Lochmann/Rudolf Landauer (Bearb.), Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis. Ein Bildband, hrg. vom Landratsamt Neckar-Odenwald-Kreis, 2008
Sabine Braun (Red.), Spuren jüdischen Lebens in Bildern - Mosbach - Neckar-Odenwald-Kreis stellt neues Buch vor, in: "Stimme" vom 8.11.2008
Mosbach, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie, insbes. zum hiesigen Bezirksrabbinat und dessen Amtsinhabern)
Ursula Brinkmann (Red.), Ein Stolperstein, der einiges ins Rollen gebracht hat, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 4.7.2012
ly/stm (Red.), Mosbach: Namen am Denkmal und ein Stolperstein, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 9.11.2013
Debora Gruhler (Red.), Auch in Mosbach wurde geplündert, zerstört und verbrannt – Augenzeuge berichtet über Geschehnisse vor 80 Jahren, in: „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 9.11.2018