Muggensturm (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für Muggensturm baden-württemberg karte Muggensturm ist eine Kommune mit derzeit ca. 6.200 Einwohnern im nördlichen Landkreis Rastatt (in der Rheinebene) am Fuße des Schwarzwaldes (Kartensksizze 'Landkreis Rastatt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Muggensturm lassen sich die ersten Juden bis Beginn des 18.Jahrhunderts zurückverfolgen. Gegen jährliche Schutzgeldzahlungen und andere Abgaben durfte sich hier eine begrenzte Zahl von jüdischen Familien ansiedeln.

Bis in die 1830er Jahre wurden die Gottesdienste der Muggensturmer Juden in einem Dachzimmer des einstöckigen Häuschens des Isaak Roos abgehalten. Es war so eng, dass sich angeblich die Frauen während des Gottesdienstes im angrenzenden Hühnerstall aufgehalten haben sollen. 1835 erwarb dann die wenig vermögende Judenschaft des Dorfes - diese bestand zu diesem Zeitpunkt aus sieben Familien - ein Scheunengebäude (Ecke Wilhelmstr./Hauptstr.), das zur Synagoge umgebaut wurde. Zwei Jahre später wurde in das einer Remise ähnelnde Gebäude eine Mikwe eingerichtet.

Ehem. Betsaal in Muggensturm (Aufn. um 1960/1970) 

Mit einer festlichen Veranstaltung wurde im Dez. 1865 die Einbringung einer neuen Thorarolle begangen. In der Zeitschrift „Der Israelit“ wurde am 10.1.1866 darüber berichtet: „ Herrscht in Baden ein Kirchenstreit, ein Schulstreit um der Kirche Willen? Allerdings! Ist aber das Land deshalb unglücklich? Hassen sich die verschiedenen Konfessionen gegenseitig so gründlich, wie es oft behauptet wird? Keineswegs! Eine schöne Probe hiervon lieferte ein am 30.Dezember stattgefundenes israelitisches Kirchenfest zu Muggensturm bei Rastatt. Es wurde eine neu geschriebene Thorarolle in die Synagoge verbracht, zu diesem Zwecke verzierten christliche Hände das israelitische Gotteshaus mit der Thora ein feierlicher Zug über die Straße statt, allenthalben wurde ihm mit Ehrerbietung begegnet und viele Böllerschüsse sandten feierlichen Freudenrauch in die Luft. In der Synagoge stand Kopf an Kopf gedrängt, darunter auch einer der christlichen Ortsgeistlichen und der Bürgermeister. Die Predigt des Rabbiners, welche den Fortschritt der Humanität betonte, wurde in lautloser Stille allseits andächtig angehört, ...Der Gottesdienst war zu Ende, die Menge strömte aus der Synagoge und wurde abermals mit Böllerschüssen begrüßt. Muggensturm aber ist ein Dorf und sämtliche christliche Einwohner sind gut katholisch. So steht es in Baden, dem Lande mit dem kirchlichen Schulstreit – nein, dem Lande der fortschreitenden Humanität, dem Lande, dessen Fürst, Regierung und Volk den Frieden lieben und ihn wollen.“

Für die Erledigung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ab gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zeitweise ein Lehrer angestellt.

 

 zwei Stellenangebote für die vakante Religionslehrerstelle in Muggensturm von 1844 und 1890

Auf dem Ende des 17.Jahrhunderts angelegten jüdischen Verbandsfriedhof in Kuppenheim wurden auch die Verstorbenen der Muggensturmer Gemeinde begraben. 

Muggensturm zählte seit 1827 zum Bezirksrabbinat Bühl.

Juden in Muggensturm:

         --- 1701 .......................... eine jüdische Familie,

    --- um 1765 .......................  3     “       “    n,

    --- 1789 .......................... 17 Juden,

    --- 1825 .......................... 25   “  ,

    --- 1841 .......................... 29   “  ,

    --- 1875 ...................... ca. 80   “  ,

    --- 1897 ..........................  7 jüdische Familien,

    --- 1910 .......................... 15 Juden,

    --- 1925 ..........................  3   "  ,

    --- 1933 ..........................  5   “  .

Angaben aus: Ernst Schneider, Muggensturmer Ortschronik, S. 128

 

Die jüdischen Familien Muggensturms lebten vom Handel; größter Gewerbebetrieb war in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts die Papierwaren- u. Kartonagefabrik Dreyfuß & Roos.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20163/Muggensturm%20Israelit%2004081887.jpgKleinanzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. August 1887

Ein weiterer Betrieb war die Altkleiderverwertung (mit Lederhandel) von Vogel & Schnurmann.

Ab- und Auswanderung der jüdischen Familien bestimmten dann die Jahrzehnte um 1900.

1913 löste sich schließlich die Muggensturmer Gemeinde auf; die wenigen im Ort verbliebenen Juden wurden der Kultusgemeinde in Rastatt angeschlossen.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20449/Muggensturm%20Badische%20Presse%2019130301.jpgaus: "Badische Presse" vom 1.3.1913

Das fast 80 Jahre als Synagoge genutzte Gebäude wurde nun verkauft und diente anschließend wieder landwirtschaftlichen Zwecken.

Während in den 1930er Jahren noch vier jüdische Bewohner Muggensturms emigrieren konnten, wurde das jüdische Ehepaar Moritz und Frieda Haymann nach Gurs/Südfrankreich deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden …" wurden elf aus Muggensturm stammende Personen mosaischen Glaubens  Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/muggensturm_synagoge.htm).

 

Der Zustand des ehemaligen Synagogenbaus verschlechterte sich im Laufe der Jahrzehnte, so dass das Gebäude Anfang der 1970er Jahre abgebrochen wurde. Ein mit hebräischen Schriftzeichen versehener massiver Balken sollte zwar erhalten bleiben, verschwand aber spurlos.

Am Fliederplatz erinnert am einstigen Standort des Synagogengebäudes ein Denkmal an die bereits vor dem Ersten Weltkrieg aufgelöste Gemeinde.

Stein MuggensturmVon Jugendlichen der evangelischen Dreieinigkeitsgemeinde wurde ein Memorialstein geschaffen, der dem Gedenken an Frieda und Moritz Heimann gewidmet ist (Aufn. mahnmal-neckarzimmern.de).

Jüngst befasste sich der Gemeinderat mit den Möglichkeiten der Realisierung öffentlichen Gedenkens an die Opfer der NS-Zeit; eine Entscheidung darüber fiel daraufhin: so erinnern nun die ersten messingfarbenen Steinquader an zwei nicht-jüdische NS-Opfer (Stand 2023). Ein Jahr später wurden sechs weitere "Stolpersteine" verlegt, die Angehörigen jüdischer Familien gewidmet sind.

 

 

 

Weitere Informationen:

F. Hundsnurscher/G. Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, in: "Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg", Band 19, Stuttgart 1968, S. 245 f.

Holzbalken mit hebräischer Inschrift verschwand spurlos”, in: "Badisches Tageblatt (Ausgabe Rastatt)", vom 4.1.1984

Ernst Schneider, Muggensturmer Ortschronik , o.O. 1985, S. 128 - 130

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 443/444

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 334/335

Muggensturm, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)

Holger Siebnich (Red.), Diskussion um Stolpersteine: Muggensturm will Nazi-Opfern gedenken, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 9.6.2021

Anja Groß (Red.), Erste Stolpersteine werden in Muggensturm verlegt, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 12.3.2023

Anja Groß (Red.), Briefe bewahren Geschichte. Juden in Muggensturm: „Wie ein Sack auf den Lastwagen geworfen und abtransportiert“, in:“Badische Neueste Nachrichten“ vom 19.11.2024