Nonnenweier (Baden-Württemberg)

Datei:Schwanau in OG.svg Gemeinsam mit Ottenheim, Allmannsweier, Wittenweier hat sich Nonnenweier im Jahre 1972 zur Kommune Schwanau (damals Landkreis Lahr, heute Ortenaukreis) zusammengeschlossen – ca. 20 Kilometer südwestlich von Offenburg gelegen (Kartenskizze 'Ortenaukreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  aktueller Ortsplan der Kommune Schwanau, aus: schwanau.de).

 

Zwischen 1850 und 1880 betrug der jüdische Anteil der Bevölkerung von Nonnenweier ca. 15 bis 20%.

Das Dorf Nonnenweier wurde im 17. und 18.Jahrhundert von verschiedenen Grundherrschaften regiert. Nach dessen völliger Zerstörung im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges (1704) veranlasste die damalige Grundherrschaft, die Freieherren von Rathsamhausen, die Ansiedlung von Juden, die dabei helfen sollten, das Dorf wiederaufzubauen und die lokale Wirtschaft zu beleben. Die erste jüdische Familie ließ sich in Nonnenweier 1707 nieder, weitere - meist aus dem Elsass - folgten nach. Ihren Lebensunterhalt verdienten die Juden in Nonnenweier vorwiegend im Viehhandel oder in der Hausiererei mit Kram- und Kurzwaren. Die Ausdehnung des Kleinhandels auf die umliegenden ländlichen Gebiete war ihnen aber nur möglich, wenn sie dort das „Juden-Geleit“ entrichtet und die Waren verzollt hatten. Erst unter badischer Herrschaft mussten die Juden diese Sondersteuer nicht mehr zahlen. In ihrer Mehrzahl lebten die Nonnenweier Juden in eher bescheidenen Verhältnissen; ihr Wohngebiet konzentrierte sich in der Schmidtenstraße.

Bereits um 1770 soll es hier eine Synagoge gegeben haben, die mitten im Dorf (in der Schmidtenstraße) stand; die Gemeinde besaß einen eigenen Kantor, der gleichzeitig als Religionslehrer, Vorbeter und Schächter fungierte.

    

       Synagoge Nonnenweier (links: Ausschnitt aus hist. Bildpostkarte, Sammlung J. Hahn; rechts: hist. Aufn. um 1930/1935, Landesarchiv B.-W.)


aus: „Großherzoglich Badisches Anzeige-Blatt für den See-Kreis" aus dem Jahre 1838 und „Der Israelit“ vom 2.Jan. 1890

In den 1830er Jahren erwarb die jüdische Gemeinde ein Haus in der Löwengasse, das zur jüdischen Elementarschule ausgebaut wurde; diese bestand bis 1876. Danach diente das Gebäude als Gemeindehaus, in dem auch eine Mikwe untergebracht war.

Bestattungen erfolgten bis 1880 auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Schmieheim, danach besaß die jüdische Gemeinde einen eigenen Begräbnisplatz weit außerhalb des Dorfes in der Flur „Auf dem Rebgarten“.

1827 wurde die Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Schmieheim zugeteilt, dessen Sitz gegen Mitte der 1890er Jahre dann nach Offenburg verlegt wurde.

Juden in Nonnenweier:

         --- um 1715 ........................    6 jüdische Familien,

    --- 1780 ...........................   15     "        "   ,

    --- 1789 ...........................   23     “        “   ,

    --- 1809 ...........................   35     “        “   ,

    --- 1825 ...........................  112 Juden,

    --- 1832 ...........................  126   "  ,

    --- 1839 ...........................  187   "  ,

    --- 1855 ...........................  244   “  ,

    --- 1864 ...........................  240   "  ,

    --- 1875 ...........................  233   “   (ca. 17% d. Dorfbev.),

    --- 1885 ...........................  250   “  ,

    --- 1900 ...........................  195   “  ,

    --- 1910 ...........................  142   "  ,

    --- 1925 ...........................   88   “  ,

    --- 1933 ...........................   65   “  ,

    --- 1940 ....................... ca.   30   “  ,

    --- 1941 ...........................   keine.

Angaben aus: Elfie Labsch-Benz, Die jüdische Gemeinde Nonnenweier , S. 18

 

In ihrer Blütezeit – in den Jahren 1850 bis 1880 – zählte die jüdische Gemeinde etwa 250 Angehörige; so war damals jeder 6. Dorfbewohner mosaischen Glaubens. Das Zusammenleben zwischen Christen und Juden in Nonnenweier war im Laufe der Zeit nicht immer konfliktfrei verlaufen; so hatten Eltern christlicher Kinder darauf bestanden, dass der Schulunterricht nicht gemeinsam mit jüdischen Kindern erteilt wurde; dies führte zur Einrichtung der jüdischen Elementarschule. Auch gewalttätige Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Einwohnerschaft in den 1840er und 1880/1890er Jahren sowie in den ersten Jahren der Weimarer Republik waren zu verzeichnen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20158/Nonnenweier%20Israelit%2027101921.jpg aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 27.10.1921

Ende der 1920er Jahre übten die Juden Nonnenweiers folgende Berufe aus: Es gab elf Viehhändler, sieben Kaufleute, drei Kolonialwarenhändler, einen Metzger, einen Getreide-Großhändler, einen Gastwirt und einen Lehrer. Einige jüdische Familien galten als recht vermögend. Landwirte gab es unter den Juden keine; der Hopfen- und Tabakanbau lag ausschließlich in christlicher Hand.

Eine etwas ungewöhnliche Verkaufsanzeige des Nonnenweierer Zigarrenfabrikanten Weil aus dem Jahre 1884, der hier sein "völlig koscheres" Produkt anbietet (Februar 1884)

 

Zum Zeitpunkt der NS-Machtübernahme 1933 zählte die jüdische Gemeinde Nonnenweier noch 65 Angehörige, vor allem ältere Menschen; die jüngere Generation war entweder in die Großstädte abgewandert oder emigriert.

Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge zerstört und der jüdische Friedhof geschändet. Die wenigen Männer wurden ins KZ Dachau eingeliefert. Im Oktober 1940 wurden die 27 noch im Dorfe Nonnenweier lebenden Juden im Rahmen der sog. „Aktion Bürckel“ ins Internierungslager Gurs/Südfrankreich verschleppt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 38 aus Nonnenweier stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Juden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/nonnenweier_synagoge.htm).

 

Das ehemalige Synagogengelände wurde nach dem Kriege eingeebnet; nur der jüdische Friedhof mit seinen etwa 130 Grabsteinen erinnert heute noch an die einst blühende jüdische Landgemeinde.

Seit Frühjahr 2003 erinnert in der Ortsmitte ein Gedenkstein an die ehemalige Synagoge Nonnenweiers; die Inschriftentafel trägt die folgenden Sätze:

Gegenüber dieser Gedenktafel stand die Synagoge der Gemeinde Nonnenweier.

Sie wurde am 09. November 1938 in der sogenannten Reichskristallnacht durch die Nationalsozialisten zerstört.

Sie hält Erinnerungen wach an die ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde Nonnenweier,

die in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus ihrer Heimat vertrieben, deportiert und ermordet wurden.

Auf dem ca. 1.000 m² großen Friedhofsgelände befinden sich heute etwa 125 Grabsteine, die an verstorbene Angehörige der ehemaligen jüdischen Gemeinde erinnern.

  jüdischer Friedhof (Aufn. D., 2019, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

   

Grabstelen auf dem jüdischen Friedhof in Nonnenweier (Aufn. Urs Albisser, 2006, aus: alemannia-judaica.de)

Jugendliche aus Nonnenweier waren auch am badischen Mahnmalprojekt beteiligt; so hat 2009 eine von einer Pfadfindergruppe entworfene Memorial-Skulptur ihren Platz vor dem hiesigen Sitz der Ortsverwaltung erhalten, deren Doublette ist Teil der zentralen Gedenkstätte für die deportierten Juden Badens in Neckarzimmern.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20408/Neckarzimmern%20Nonnenweier%20IMG_9135.JPG Memorialstein von Nonnenweier (Aufn. aus: alemannia-judaica.de)

Im Neubaugebiet Nonnenweiers wird künftig eine Straße den Namen von Jette Rosenberger tragen; sie war die einzige der nach Gurs verschleppten Personen, die nach dem Krieg nach Nonnenweier zurückkehrte und hier 1950 verstarb.

Nonnenweier war der Geburtsort von Ludwig Frank (geb. 1874), der hier in einer tiefgläubigen jüdischen Familie aufwuchs. Er profilierte sich später in der badischen Arbeiterbewegung als „zweiter Lasalle“ und galt über Jahre hinweg als der glänzendste Sprecher der Sozialdemokratie im Deutschen Reichstag. Ludwig Frank fiel als Kriegsfreiwilliger 1914 an der Westfront. In Nonnenweier trägt heute eine Grundschule seinen Namen

 

Auf Beschluss des Schwanauer Gemeinderates sind 2023 in Nonnenweier sog. "Stolpersteine" vorlegt worden, die an das Schicksal dreier jüdischer Familien erinnern sollen. Künftig sollen noch weitere messingfarbene Gedenkquader in die Gehwegpflasterung eingelassen werden.

 

 

Weitere Informationen:

Karl Ludwig Bender, Geschichte des Dorfes Nonnenweier bei Lahr in Baden, o.O. 1908

Hedwig Wachenheim (Hrg.), Ludwig Frank. Ein Vorbild der deutschen Arbeiterbewegung. Aufsätze, reden und Briefe, Berlin 1925

Iwan Meyer, 1707 - 1927. Jubiläumsschrift der jüdischen Gemeinde von Nonnenweier, o.O. 1927

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale - Geschichte - Schicksale, in: "Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg", Band 19, Stuttgart 1968, S. 214 - 217

Elfie Labsch-Benz, Die jüdische Gemeinde Nonnenweier - Jüdisches Leben und Brauchtum in einer badischen Landgemeinde zu Beginn des 20.Jahrhunderts, Hrg. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1980 (auch erschienen in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden 60/1980, S. 252 - 304

Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981, Teil 1, S. 265 und Teil 2, Abb. 189

Hildegard Kattermann, Das Ende einer jüdischen Landgemeinde. Nonnenweier in Baden 1933 - 1945, Freiburg i.Br. 1984

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 416 f

B.Döpp/M.Preuß (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Schwanau-Nonnenweier, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1991

Karl-Heinz Burmeister, Landjudentum im süddeutschen und Bodenseeraum, Dornbirn 1992

Karl Otto Watzinger, Ludwig Frank: ein deutscher Politiker jüdischer Herkunft, Sigmaringen 1995

Günter Boll, Die ersten Generationen der jüdischen Familien Wertheimer von Nonnenweier, in: "Die Ortenau", 80/2000, S. 229 - 236

Ulrich Baumann, Datenübersicht 1862 - 1933 für Südbaden zum multireligiösen Zusammenleben, in: Manfred Bosch (Hrg.), Alemannisches Judentum - Spuren einer verlorenen Kultur, Edition Isele, Eggingen 2001, S. 573 ff.

Ulrich Baumann, Zerstörte Nachbarschaften. Christen und Juden in badischen Landgemeinden 1862 - 1940, in: Studien zur jüdischen Geschichte, Band 7, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2001

Nonnenweier, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 432/433

Der jüdische Friedhof in Nonnenweier, in: juedische-friedhoefe.info

Martin Frenk (Red.), Scheune verdeckte den Blick auf jüdisches Haus - Historischer Rundgang durch Nonnenweier, in: „Badische Zeitung“ vom 7.7.2017

Norbert Klein (Red.), Nathan Rosenberger, seine Frau und Tochter überlebten das KZ, in: „Lahrer Zeitung“ vom 29.10.2020

Norbert Klein (Red.), Der Leidensweg der Familie Rosenberger, in: „Badische Zeitung“ vom 6.11.2020

Martin Frenk (Red.), Im Neubaugebiet wird eine Straße nach der Jüdin Jette Rosenberger benannt, in: „Badische Zeitung“ vom 6.12.2021

Reiner Beschorner (Red.), Die ersten Stolpersteine kommen im März – Gemeinderat ermöglicht die Verlegung zur Erinnerung an 18 jüdische Mitbürger in Nonnenweier, in: „Badische Zeitung“ vom 22.10.2022

Thomas Foerster (Red.), Historische Kriminalfälle: Ein jüdischer Händler wird 1835 auf einem Feldweg nahe Lahr erschlagen, in: „Badische Zeitung“ vom 30.12.2023