Odenheim (Baden-Württemberg)
Odenheim ist ein Dorf, das 1974 der Kommune Östringen (Landkreis Karlsruhe) eingemeindet wurde – ca. 15 Kilometer nordöstlich von Bruchsal gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Karlsruhe', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Schon im Spätmittelalter soll es in Odenheim eine kleine Judengemeinde gegeben haben; doch sichere Nachweise über hier ansässige jüdische Familien stammen erst aus dem 18.Jahrhundert. Die Juden standen über Jahrzehnte unter dem Schutz des ritterlichen Stifts, ab 1803 dann unter badischer Herrschaft. Über ihre ärmliche, gesellschaftlich isolierte Lebensführung liegt ein Bericht des Amtes Gochsheim vom 16.September 1811 vor, in dem es u.a. hieß:
„ ... Ärmer können ihre Vorfahren nicht vor den Ziegelöfen von Ägypten gestanden seyn, als diese verdorbenen Menschen in ihren elenden Hütten zu Gochsheim, Odenheim und Münzesheim. Ihr Hunger und ihre Blöße, nöthigen sie zum treiben, was ihr Talmud ihnen erlaubt. Alte und Gebrechliche werden von den Ihrigen aus Armut verlassen. Der Christ, der dem Mosaisten die Hand reichen würde, zieht solche vor dem Talmudisten wie vor einem gefährlichen Menschen zurück und denkt nur an seine Glaubensgenossen. Der Judenalmosen reicht kaum hin, ihre Thora in der Synagoge zu beleuchten, und die wenigen mittelmäßig begüterten Juden handeln mit angestammten Eigengenuß über die Gabe, die sie freywillig ihren darbenden Mitjuden reichen sollten. ...”
Die kleine, zum Rabbinatsbezirk Bruchsal gehörende Gemeinde hielt im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Gottesdienste in einer ehemaligen Klosterkirche in der Klostergasse ab.
Die Erledigung religiös-ritueller Aufgaben der Gemeinde war einem angestellten Lehrer übertragen; die Besetzung dieser Stelle war – wie zahlreiche Ausschreibungen im ausgehenden 19./beginnenden 20.Jahrhundert dokumentieren – einem dauernden Wechsel unterworfen.
Stellenanzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8.Sept. 1885, 26.Okt. 1893 und 21.Febr. 1901
Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf dem um 1630 angelegten jüdischen Friedhof in Oberöwisheim* bestattet, der in der Flur „Reimenhälden“ am Ortsrand zwischen dem Dorfbach und den Anhöhen der Weinberge lag. Hier fanden auch Glaubensgenossen aus fast allen Ortschaften des Kraichgau ihre letzte Ruhe, so u.a. aus Berwangen, Flehingen, Eichtersheim, Eppingen, Münzenheim, Menzingen u.a. Orten. Auf dem manchmal recht weiten Weg zum Oberöwisheimer Friedhof hatten die jüdischen Familien der Verstorbenen oft hohe Geldbeträge an die Grundherrschaften zu entrichten, wenn der Weg durch deren Gemarkung führte.
* In Oberöwisheim gab es vermutlich keine jüdische Gemeinde.
Teilansichten des jüdischen Friedhofs Oberöwisheim (Aufn. Wilhelm Kratt, 1912, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0)
Frank C. Müller, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Seit den 1920er Jahren nahmen auch die wenigen jüdischen Bewohner Menzingens am religiösen Leben der Kultusgemeinde Odenheim teil. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts hatte die Kultusgemeinde Menzingen noch aus etwa 25 Familien bestanden; noch 1870 wurde eine neue Synagoge gebaut - zu einer Zeit, als die Abwanderung aus der wirtschaftsschwachen Region längst begonnen hatte.
[vgl. Menzingen (Baden-Württemberg)]
Die Kultusgemeinde Odenheim gehörte zum Rabbinatsbezirk Bruchsal.
Juden in Odenheim:
--- 1691 ........................... 2 jüdische Familien,
--- um 1720 ........................ 12 " " ,
--- um 1760 ........................ 10 “ “ ,
--- 1825 ........................... 75 Juden,
--- 1864 ........................... 156 “ ,
--- 1875 ........................... 106 “ ,
--- 1900 ........................... 72 " ,* *andere Angabe: 85 Pers.
--- 1910 ........................... 61 “ ,
--- 1925 ........................... 36 “ ,
--- 1933 ........................... 20 “ ,
--- 1938 ........................... 5 “ ,
--- 1940 (Sept.) ................... 4 “ ,
(Nov.) .................... keine.
Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, S. 221
und Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1997, S. 372
Bis Anfang des 19.Jahrhunderts hinein verdienten die Odenheimer Juden ihren Lebensunterhalt meist im Viehhandel und in der Landwirtschaft; erst danach wandten sie sich auch anderen Erwerbszweigen zu. Als 1820 mit der jüdischen Familie Flegelheimer die Tabakindustrie in Odenheim Einzug hielt, erholte sich der gesamte Ort wirtschaftlich; andere Firmen zogen nach. Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte die Firma Flegelheimer fast 200 Arbeitskräfte.
Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch wenige jüdische Familien in Odenheim; sie waren Inhaber zweier Zigarrenfabriken und einiger Ladengeschäfte. Der reichsweit propagierte Boykott jüdischer Geschäfte am 1.4.1933 fand in Odenheim nicht statt. Erst zwei Jahre später begann auch in Odenheim die NS-Propaganda zu wirken; die jüdischen Eigentümer mussten nun ihre Unternehmen aufgeben und wegziehen.
Während der „Kristallnacht“ von 1938 kam es in Odenheim zu keinen nennenswerten Ausschreitungen. Bereits 1937 war die jüdische Gemeinde offiziell aufgelöst worden.
Kurznotiz aus der "CV-Zeitung" vom 1.4.1937
Ein Jahr später lebten nur noch fünf jüdische Bewohner im Ort. Die letzten vier wurden Ende Oktober 1940 nach Gurs/Südfrankreich deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 19 gebürtige bzw. längere Zeit in Odenheim ansässige jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/odenheim_synagoge.htm).
Nachdem die „Klosterkirche“ nicht mehr genutzt wurde, wurde sie 1940 abgerissen. Auf Initiative des Heimatkundlichen Arbeitskreises wurde 1988 auf dem Grundstück Untere Klostergasse 20 ein Gedenkstein zur Erinnerung an die ehemalige Odenheimer Synagoge aufgestellt.
Die Gedenktafel auf dem -stein (Aufn. J. Hahn, 2004)
Der „Siegfriedsbrunnen“ in Odenheim wurde 1932 von dem jüdischen Auswanderer Siegfried Odenheimer seiner Heimatgemeinde gestiftet (Aufn. 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Rahmen des landesweit durchgeführten Mahnmalprojektes in Erinnerung an die Deportation der badischen Juden hat im Jahr 2015 auch ein aus Odenheim angelieferter Memorialstein seinen Platz in der zentralen Gedenkstätte von Neckarzimmern gefunden (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de). Die Gestaltung des Steines oblag dem 'Heimatkundlichen Arbeitskreis Odenheim'; dabei orientierte sich der Odenheimer Gedenkstein bereits 1988 eingeweihten lokalen Mahnmal in der Unteren Klostergasse.
In Östringen existierte ebenfalls eine jüdische Gemeinde, die um 1865 immerhin etwa 110 Angehörige zählte.
[vgl. Oestringen (Baden-Württemberg)]
Weitere Informationen:
Friedrich Hodecker, Odenheim - Eine Wanderung durch 2000 Jahre Odenheimer Geschichte, o.O. 1962
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 221/222
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 295/296
Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Hrg. Landsratsamt Karlsruhe, Karlsruhe 1997, S. 70 und S. 372 - 374
Klaus Rössler (Bearb.), Familienbuch (Ortssippenbuch) von Odenheim (Landkreis Karlsruhe), hrg. vom Heimatkundlichen Arbeitskreis Odenheim, 2000 (erschienen in der Reihe „Badische Ortssippenbücher“, Bd. 86)
Kurt Fay/ Eugen Krapp/ Karl Mentel/ Rainer Maurer, Zur Geschichte der Juden in Odenheim, in: "Linsabauch", Hrg. Heimatkundlicher Arbeitskreis Odenheim (diverse Beiträge aus den Jahren 1986 - 2000)
Odenheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 370/371
br (Red.), Mit rechtsstaatlichen Mitteln jede Form von Hass bekämpfen – Bewegende Gedenkfeier am Mahnmal der Judendeportation in Neckarzimmern. Memorialsteine aus Östringen und Odenheim aufgenommen, Kommune Östringen, online abrufbar unter: oestringen.de (Mai 2015)
Die traurigen Geheimnisse der alten Kraichtaler Friedhöfe, online abrufbar aus: hügelhelden.de vom 9.9.2019