Schluchtern (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für landkreis heilbronn ortsdienst karteLeingarten Schluchtern Straßenverzeichnis: Straßen in Schluchtern Schluchtern ist seit 1970 ein Ortsteil der Kommune Leingarten nur wenige Kilometer westlich von Heilbronn im gleichnamigen Landkreis. Das bis 1803 zur Kurpfalz gehörende Dorf war 1806 an Baden gefallen und bildete damals eine Exklave im württembergischen Umland (Kartenskizze 'Landkreis Heilbronn' ohne Eintrag von Schluchtern/Leingarten, aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heilbronn).

Schluchtern um 1685 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

In den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg ist die Existenz von einzelnen Juden in Schluchtern belegt; dauerhafte Ansiedlungen sind aber erst ab dem beginnenden 18.Jahrhundert nachweisbar. Seit etwa 1800 existierte ein Betraum in einem Privathause; einige Frauenbäder waren ebenfalls in privaten Gebäuden angelegt worden. Seit dem Ersten Weltkrieg verfügte die Judenschaft Schluchterns in der Storrgasse, der heutigen Brunnengasse, auch über eine einfache Synagoge.

Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt; in besonderer Erinnerung blieb Lehrer Elias Schwarzwälder, der fast fünf Jahrzehnte (von 1860 bis 1907) in Schluchtern tätig war. In Würdigung seiner Verdienste war ihm im Jahre 1899 „von Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Baden, die goldene Verdienst-Medaille gnädigst verliehen“ worden.

aus: "Frankfurter Israelitisches Familienblatt" vom 5. Mai 1905  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20211/Schluchtern%20FrfIsrFambl%2005051905.jpg

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20109/Schluchtern%20Israelit%2017011907.jpg  Anzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom Jan. 1907

Jüdische Kinder besuchten nach 1830 die christlichen Ortsschulen, nachdem kein geeigneter jüdischer Lehrer gefunden werden konnte; seit 1852 hatte dann die israelitische Gemeinde auch eine eigene Schule; von Ende der 1860er Jahre bis 1876 besuchten die Schüler ausschließlich die katholische Schule.

Erst in den 1880er Jahren wurde ein eigenes Friedhofsgelände am Ort, an der heutigen Kiesbergstraße, in Nutzung genommen; zuvor waren die Toten auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Waibstadt bzw. in Heinsheim im Kreis Mosbach beerdigt worden.

Ab 1827 gehörte die Gemeinde zum Bezirksrabbinat Sinsheim, nach dessen Auflösung zu dem von Bretten.

Juden in Schluchtern:

         --- um 1710 ......................... eine jüdische Familie,

    --- um 1730 .........................   4    "        "   n,

    --- um 1745 .........................   3    "         "   ,

    --- 1775 ............................   3    “         “   ,

    --- 1801 ............................  10    “         “   ,

    --- 1825 ............................  63 Juden,

    --- 1858 ............................  86   “  ,

    --- 1885/86 .........................  99   “  ,

    --- 1900 ............................  74   “  ,

    --- 1925 ............................  31   “  ,

    --- 1933 ............................  28   “  ,

    --- 1940 (Okt.) .....................  12   “  ,

             (Nov.) .....................  keine.

Angaben aus: W. Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, S. 206 - 208

 

Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch wenige jüdische Familien in Schluchtern; mehrheitlich verdienten sie ihren Lebensunterhalt im Viehhandel; daneben gab es zwei kleine Gewerbebetriebe, eine Seifen- und eine Zigarrenfabrik.

In den ersten Jahren nach der NS-Machtübernahme 1933 soll noch ein einvernehmliches Verhältnis zwischen Juden und der übrigen Bevölkerung bestanden haben. Als die NSDAP den Viehhandel vollständig verboten, verloren die hiesigen jüdischen Familien ihre Wirtschaftsgrundlage.

Während der „Kristallnacht“ von 1938 wurde die Synagoge von auswärtigen SA-Angehörigen demoliert; mehrere jüdische Männer wurden inhaftiert. Das Synagogengebäude wurde 1939 vom letzten Vorsteher der Gemeinde veräußert; späterhin diente das Gebäude als Scheune. Die zwölf noch in Schluchtern verbliebenen jüdischen Bewohner wurden am 22.Oktober 1940 ins südfranzösische Gurs verschleppt; von hier aus wurden sie dann später nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 32 aus Schluchtern stammende bzw. längere Zeit hier wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe. alemannia-judaica.de/schluchtern_synagoge.htm).

 

An Angehörige der einstigen kleinen jüdischen Gemeinde erinnert heute noch das etwa 350 m² große Friedhofsgelände mit seinen ca. 60 Grabsteinen bzw. -fragmenten.

Schluchtern-judenfriedhof2.jpg

Jüdischer Friedhof in Schluchtern (Peter Schmelzle, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

       Gedenkstein in Schluchtern Im Rahmen des ökumenischen Mahnmal-Projektes zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden im Oktober 1940 nach Gurs/Südfrankreich haben Jugendliche aus Schluchtern den abgebildeten Memorialstein erstellt, der neben zahlreichen anderen sich in der zentralen Gedenkstätte von Neckarzimmern befindet (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de). Der Orts-Stein steht vor der evang. Kirche (Eppinger Str.): von hier wurden am 22.Okt.1940 die letzten zwölf Juden/Jüdinnen mit einem LKW zum Sammelplatz nach Mosbach gebracht.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1966, S. 157/158

W.Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: "Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn", Band 1, Hrg. Landkreis Heilbronn, 1986, S. 205 - 209

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 235 - 237

Frowald G.Hüttenmeister (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Schluchtern, Kiesbergstraße, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1991

Schluchtern, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Josef Staudinger (Red.), “Im Jahr 1886 lebten 99 Juden in Schluchtern”, in: "Heilbronner Stimme" vom 8.8.2002

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 293 – 295

Norbert Geiss, Geschichte der Juden in Schluchtern - ein Gedenkbuch für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung, hrg. von der Evang. Kirchengemeinde Schluchtern, Evang. Kirchengemeinde Großgartach, Evang.-methodistische Kirche Leingarten u. Kath. Kirchengemeinde Leingarten, Leingarten 2010