Worblingen (Baden-Württemberg)
Worblingen ist heute ein Teil der Gesamtgemeinde Rielasingen-Worblingen im Kreis Konstanz (Kartenskizzen 'Kreis Konstanz', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und aus: ortsdienst.de/baden-wuettemberg/konstanz).
Vermutlich aus dem Thurgau vertriebene jüdische Familien ließen sich erstmals kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg im Dorf Worblingen nieder. Sie standen unter dem Schutz der reichsritterschaftlichen Herrschaft der Region, anfänglich der Familie Danketschweil; diese versprach sich von der Ansässigkeit von Juden wirtschaftliche Vorteile; so musste jede Familie eine jährliche Zahlung von drei Gulden leisten. Ein nennenswerter Zuzug von Juden nach Worblingen erfolgte während der Herrschaft der Herren von Liebenfels, galt es doch nun die durch den Dreißigjährigen Krieg entstandenen Lücken wieder zu füllen. Auch mussten die Juden weiterhin ein jährliches Schutzgeld entrichten, das die herrschaftliche Kasse füllte.
Allerdings lebten bis Anfang des 19.Jahrhunderts immer nur sehr wenige Familien in Worblingen; sie wohnten zur Miete in Häusern christlicher Familien.
Zu gottesdienstlichen Treffen nutzte die Worblinger Judenschaft etwa seit 1775 einen Betraum im Obergeschoss eines Privathauses. 1808 erwarb die jüdische Gemeinde dieses Gebäude und baute es zu einer Synagoge um; eine umfangreiche Renovierung erfolgte gegen Mitte der 1860er Jahre.
eine private Anzeige von 1885
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte auch ein rituelles Bad, das am Mühlkanal lag und durch das Wasser der Aach gespeist wurde. In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts soll in Worblingen auch eine jüdische Elementarschule eingerichtet worden sein.
aus: "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 10.Febr. 1874 und aus "Der Israelit" vom 31.Jan.1877
Ihre Verstorbenen begrub die Judenschaft Worblingen bis Ende der 1850er Jahre auf dem Verbandsfriedhof in Gailingen; ab 1857 stand am Ortsrand - im Gewann „Im Burgstall“ - ein eigenes Beerdigungsgelände zur Verfügung, das bis 1904 genutzt wurde.
Jüdisches Friedhof, um 1980/1985 (J. Hahn, alemannia-judaica.de)
Seit Ende der 1820er Jahre gehörte Worblingen dem neu eingerichteten Bezirksrabbinat Gailingen an.
Juden in Worblingen:
--- um 1675 .......................... 5 jüdische Familien,
--- um 1705 .......................... 6 “ “ ,
--- um 1785 .......................... 6 “ “ ,
--- 1812 ............................. 46 Juden,
--- 1815 ............................. 66 “ (ca. 22% d. Dorfbev.),
--- 1828 ............................. 62 “ ,
--- um 1840 ...................... ca. 100 " ,
--- 1857 ............................. 139 “ ,
--- 1875 ............................. 95 “ ,
--- 1890 ............................. 53 " ,
--- 1900 ............................. 8 “ ,
--- 1910 ............................. keine.
Angaben aus: E.Zinsmayer/K.Wieland, Worblingen - Geschichte eines ehemaligen Ritterdorfes des Kantons Hegau
Ihren kärglichen Lebensunterhalt verdienten die allermeisten Juden Worblingens im Kleinhandel; während der Woche zogen sie als Hausierer durch die Dörfer des näheren und weiteren Umlandes; später spielte der Viehhandel eine größere Rolle. Zu den wohlhabenden Judenfamilien Worblingens gehörte die Familie Rothschild; ihren Wohlstand verdankte sie dem Handel mit Pferden, der von ihr im großen Stil betrieben wurde.
Die Blütezeit der jüdischen Gemeinde in Worblingen lag in der Mitte des 19.Jahrhunderts. Im Gegensatz zur bäuerlich-christlichen Dorfbevölkerung lebte ein Teil der jüdischen Familien in großbürgerlichen Verhältnissen; soziale Probleme waren die Folge.
Mit den veränderten Handelsbedingungen zwischen dem Großherzogtum Baden und dem Königreich Württemberg und den Grenzschließungen zur Schweiz mussten sich die Worblinger Juden neue Betätigungsfelder suchen. Ab den 1860/1870er Jahren setzte eine starke Abwanderung der jüdischen Bewohner ein; neben Konstanz und Freiburg waren Frankfurt/M. und Zürich bevorzugte Auswanderungsziele der Worblinger Juden, die sich hier bessere wirtschaftliche Möglichkeiten erhofften.
Bereits um 1900 war die Zahl der Gemeindemitglieder derart zusammengeschrumpft, dass kein Minjan mehr zustande kam; um dennoch Gottesdienste abhalten zu können, mussten Glaubensgenossen aus Randegg oder Gailingen nach Worblingen kommen; manchmal sollen auch christliche Männer (!) am Gottesdienst teilgenommen haben. 1902 wurde die jüdische Kultusgemeinde Worblingen dann offiziell aufgelöst, die wenigen verbliebenen Angehörigen der Gemeinde Konstanz zugewiesen. Acht Jahre später verließ die letzte Worblinger Jüdin ihr Heimatdorf.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen zwei aus Worblingen stammende Personen jüdischen Glaubens der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/worblingen_synagoge.htm).
Das Synagogengebäude war bereits 1906 auf Abriss verkauft worden; an gleicher Stelle ließ der neue Besitzer ein Wohnhaus bauen, dessen Eingang noch den Spruch über dem Eingangsportal der ehemaligen Synagoge trägt: „Wisse, vor wem du stehst”.
[vgl. Gailingen (Baden-Württemberg)]
Am Friedhof - er weist heute noch ca. 65 Grabstätten auf - erinnert seit 2001 eine Tafel an die frühere jüdische Kultusgemeinde:
Friedhof der einst blühenden jüdischen Gemeinde Worblingen von 1857 bis 1903.
Zuvor fanden die Angehörigen der Gemeinde ihre letzte Ruhestätte auf dem Verbandsfriedhof in Gailingen.
Die jüdische Gemeinde Worblingen bestand seit Anfang des 17.Jahrhunderts bis 1902
Jüdischer Friedhof Worblingen (Aufn. Dieter Peters, 2003, aus: alemannia-judaica.de)
Im Bürgerhaus von Gailingen informiert eine Dauerausstellung über die jüdische Geschichte von Worblingen.
Die wohl bedeutendste Persönlichkeit der Worblinger Judengemeinde waren Moses Baruch Rothschild (1811-1895) und dessen Sohn Emanuel Rothschild (geb. 1849 - siehe Abb.). Letzterer verzog im Alter von 30 Jahren nach Konstanz und gründete hier die erste Zigarrenfabrik in der Region. Als erster Jude in Konstanz gehörte er dem dortigen Stadtrat an und wirkte für die Belange der Bodensee-Stadt. Einen maßgeblichen Anteil hatte Emanuel Rothschild beim Bau der Konstanzer Synagoge. Er verstarb im Jahre 1912.
Weitere Informationen:
E.Zinsmayer/K.Wieland, Worblingen - Geschichte eines ehemaligen Ritterdorfes des Kantons Hegau, Worblingen 1952, S. 126 - 129
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 301/302
Ottokar Graf/Hermann Timm, Jüdische Vergangenheit in Worblingen - nach einem Referat von Elmar Zohren (online abrufbar)
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 311
Worblingen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 399/400
„Jüdische Kultur im Hegau und am See“, in: "HEGAU – Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee", Jahrbuch 64/2007, S. 69/70 und S. 127 – 143
Hermann Timm, Der jüdische Friedhof und jüdische Persönlichkeiten in Worblingen, in: "HEGAU. Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee", Jahrbuch 64/2007, S. 143 – 148
Hermann Timm (Bearb.), Emanual Rothschild - Ein verdienter Mitbürger aus Worblingen, online abrufbar unter: juedische-friedhoefe.info/friedhoefe-nach-regionen/baden-wuerttenberg/hegau/lebensbilder/ein-verdienter-mitbuerger-aus-worblingen.html