Alfeld (Niedersachsen)

Reliefkarte Alfeld Umgebung.pngDatei:Alfeld (Leine) in HI.svg Alfeld (Leine) ist mit derzeit ca. 18.500 Einwohnern eine Kleinstadt im Landkreis Hildesheim – ca. 25 Kilometer südwestlich von Hildesheim gelegen (Reliefkarte 'Weser-Leine-Bergland', 2010, aus: commons.wikimedia.org, GFDL  und  Kartenskizze 'Landkreis Hildesheim', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste Hinweise darauf, dass vereinzelt Juden in Alfeld gelebt haben, stammen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.

Von einer vorübergehenden Ausweisung aller Juden aus dem Hochstift Hildesheim waren auch jüdische Bewohner aus Alfeld betroffen. Nach dem Übergang Alfelds an das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel erhielten einzelne Juden um 1525 befristete Aufenthaltsrechte in der Kleinstadt, zugleich wurden ihnen jedoch strikte Handelsgebote und -verbote auferlegt. Nach einer zwischenzeitlichen Ausweisung im Jahre 1559 durften zwei Jahrzehnte später erneut einige wenige Juden nach Alfeld zurückkehren; doch ihr Aufenthalt dauerte höchstens 20 Jahre. Nach ihrer Vertreibung 1591 sollte es mehr als zwei Jahrhunderte dauern, ehe wieder jüdisches Leben in Alfeld einkehrte. Die zu Beginn des 19.Jahrhunderts unternommenen ersten Versuche von Juden, sich in Alfeld niederzulassen, stießen zunächst auf erheblichen Widerstand der hiesigen Kaufmannschaft und des Magistrats, der argumentierte, es sei „seit Menschengedenken nie einem Juden verstattet worden, sich nieder zu lassen“.

In den 1820er Jahren war nur eine jüdische Familie in Alfeld ansässig, die des Tuchhändlers Moses Alexander Rosenstirn. Sie verfügte über einen eigenen Friedhof, der ursprünglich den auf der Durchreise verstorbenen jüdischen Handelsleuten gedient hatte.

1830 bildete sich eine Synagogengemeinde, die sich aus den Ortschaften Everode, Groß Freden, Klein Freden, Wettensen und Alfeld zusammensetzte. Allerdings hielt dieser Zusammenschluss nur wenige Jahre, denn auf Betreiben von Moses Rosenstirn traten Alfeld und Wettensen aus dem Verbund aus und bildeten ab ca. 1840 eine eigene, winzige Gemeinde. Zu Zusammenkünften diente ein Betraum, der sich im Haus der wohlhabenden Familie Rosenstirn befand.

Nördlich von Wettensen - am Fuß des Saalberges - gab es einen jüdischen Friedhof, der von ca. 1830 bis 1880 belegt wurde; danach fanden Begräbnisse auf dem kommunalen Friedhof in Alfeld statt.

Jüd Friedhof Wettensen hebräisch.jpg

 Ehem. jüdischer Friedhof in Wettensen (Aufn. A.Hindemith, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Anm.: Die letzte Bestattung auf dem Friedhof bei Wettensen fand 1880 statt. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten im Dorf vier jüdische Familien, davon drei Hausierer, mit 13 Personen; Anfang des 20. Jahrhunderts besaß das Dorf keine jüdischen Bewohner mehr.

Juden in Alfeld:

    --- 1829 ......................... eine jüdische Familie,

    --- 1846 .........................   20 Juden,*   * mit Wettensen

    --- um 1855 ......................    7 jüdische Familien,

    --- 1871 .........................    5 Juden,

    --- 1885 .........................   14   “  ,

    --- 1890 .........................   10   "  ,

    --- 1905 .........................   13   “  ,

    --- 1925 .........................   21   “  ,

    --- 1933 .........................   10   “  ,

    --- 1939 .........................   keine.

Angaben aus: N.Kratochwill-Gertich/A.C.Naujoks (Bearb.), in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 1, S. 108

 

Marktplatz in Alfeld (Abb. aus: mypostcardshop.de)

 

Die wenigen jüdischen Bewohner Alfelds waren zu Beginn des 20.Jahrhunderts als Kaufleute tätig. Sie mussten miterleben, dass auch vor ihren Geschäften am 1.4.1933 SA- und SS-Posten mit Plakaten antisemitischen Inhalts aufzogen und potenzielle Käufer am Betreten der Verkaufsräume hinderten. Gesellschaftliche Isolierung und wirtschaftliche Ausgrenzung führten in den Folgejahren zur Aufgabe ihrer Geschäfte, die „arisiert“ wurden.

Mit dem Wegzug der letzten jüdischen Familie (Max Seelmann), die während der Novembertage 1938 gewalttätigen Ausschreitungen ausgesetzt war, endete im März 1939 das jüdische Leben in Alfeld. Daraufhin wurden Schilder mit der Aufschrift „Unsere Stadt ist judenfrei” an den Ortseingängen aufgestellt.

1941 soll in Alfeld noch Maximilian Gehlkopf gelebt haben, dessen behördliches Verfahren wegen seiner „jüdischen Zugehörigkeit“ zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war; gegen Kriegsende soll er dann in ein Lager (?) verschleppt worden sein, das er überlebte.

Das ehemalige etwa 500 m² große jüdische Friedhofsgelände in Wettensen soll sich bereits seit seiner Aufgabe (1880) in einem verwahrlosten Zustand befunden haben. Ende der 1920er Jahre sollen noch 13 Grabstätten sichtbar gewesen sein, lediglich zwei Grabsteine haben sich bis heute erhalten.

Einer der beiden Steineeiner der erhaltenen Steine (Aufn. A.Hindemith, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

In Wrisbergholzen – heute Ortsteil der Kommune Sibbesse ca. zehn Kilometer nordöstlich Alfelds – lebten ab den 1790er Jahren vereinzelt jüdische Familien, die 1830 hier eine kleine Gemeinde bildeten; diese bestand etwa fünf Jahrzehnte. Für nur wenige Jahre war ein jüdischer Lehrer am Ort, dessen Bezahlung von den wenigen Familien nicht geleistet werden konnte. Verstorbene wurden auf einem kleinen Friedhof (südwestlich des Dorfes gelegen) begraben.

 

 

 

In Freden (früher Groß-Freden), wenige Kilometer südostlich von Alfeld gelegen, lebten vereinzelt jüdische Familien - erstmalig nachweisbar gegen Mitte des 18.Jahrhunderts. Die 1830 aus der jüdischen Bevölkerung mehrerer Ortschaften (Groß-Freden, Klein-Freden, Alfeld, Everode und Wettensen) gebildete Synagogengemeinde bestand in dieser Zusammensetzung nur kurze Zeit, da die weiten Entfernungen gemeindliche Zusammenkünfte erschwerten. Im Jahre 1854 gehörten zur Synagogengemeinde insgesamt 65 Personen, die aus den Dörfern Groß-Freden, Klein-Freden, Everode und Meimerhausen stammten. Aus dem Jahre 1858 stammt die Synagoge (Ostenbergstraße), ein Fachwerkgebäude, in dem ca. 50 Plätze vorhanden waren.

Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählte eine zu Beginn des 19.Jahrhunderts eingerichtete winzige Schule; jahrzehntelang beschäftigte die Gemeinde einen Lehrer. Nach 1860 erhielten dann die jüdischen Kinder Religionsunterricht durch einen Wanderlehrer.

Die Juden Fredens bestritten ihren Lebensunterhalt als Händler und Kleinkaufleute. Anfang 1936 gehörten der Synagogengemeinde nur noch zwölf Personen an.

Als das ehem. Synagogengebäude in den Novembertagen 1938 von SA/SS-Angehörigen in Brand gesetzt werden sollte, schritt der neue Besitzer ein, der das Haus Monate zuvor erworben hatte. Hingegen fiel dann jüdisches Eigentum der Zerstörung anheim. Die beiden jüdischen Begräbnisplätze blieben verschont. Die meisten jüdischen Bewohner wurden 1941/1942 - via Hannover - deportiert; sie gelten zumeist als verschollen.

Der jüdische Friedhof in Groß-Freden „An der Steingrube“ wurde als Gartenland verkauft, die meisten Grabsteine abgeräumt. Nach 1945 verblieben nur vier erhaltene gebliebene und etliche -fragmente.

Friedhofsgelände Groß-Freden (Aufn. S. Dähmlow 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Von dem in Klein-Freden gelegenen Friedhofsgelände „An der Weglange“ haben sich noch einige Grabsteine erhalten.

in Klein-Freden (Aufn. S. Dähmlow, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) 

 

Auf dem jüdischen Privatfriedhof der Kaufmannsfamilie Rosenbaum in Everode sind heute noch sieben Gräber vorhanden; dieser wurde erstmals 1878 belegt.

 Jüdischer Friedhof in Everode (Aufn. aus: denktag2002.denktag-archiv.de)

Seit 2010 sind im Gehweg der Winzenburger Straße zwei sog. „Stolpersteine“ zu finden, die an zwei ehemalige jüdische Einwohnerinnen erinnern.

                         Stolperstein Agnes Rosenthal (Freden)Stolperstein Henny-Sara Goldschmidt (Freden) Aufn. Sänger, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

In Lamspringe – einem Ort ca. 15 Kilometer östlich von Alfeld - erinnern seit 2013 vier sog. „Stolpersteine“ an die jüdische Familie Rosenberg, die in der Hauptstraße ehemals ein Textilgeschäft betrieben hatte. Alle vier Familienmitglieder wurden ermordet. 1939 hatten sie noch vergeblich versucht, von ihrem damaligen Aufenthaltsort Hannover nach Palästina auszuwandern.

Stolperstein Werner Rosenberg (Lamspringe)Stolperstein Werner Rosenberg (Lamspringe)Stolperstein Werner Rosenberg (Lamspringe)Stolperstein Werner Rosenberg (Lamspringe) Aufn. Sänger, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

Im Flecken Duingen - die Samtgemeinde zählt derzeit ca. 3.000 Einwohner, etwa acht Kilometer nordwestlich von Alfeld gelegen – ist jüdische Ansässigkeit spätestens seit 1820 nachweisbar. Die kleine jüdische Gemeinschaft (drei Familien mit max. 15 Pers.) verließ den Ort nach 1900. Nur der „Kolonialwaren“-Händler Walter Bienheim blieb mit seiner Familie, deren Lebensunterhalt er nach 1930 durch ein „Wandergewerbe“ absicherte. Um dem zunehmenden Druck im Heimatort zu entgehen, verzog er mit seiner Familie nach Hannover. 1940 gelang ihm die Emigration in die USA.

Die Begräbnisstätte der Duinger Juden lag weit außerdem des Ortes; diese wurde von 1874 bis 1919 belegt. Auf dem kleinen Gelände befinden sich 13 Grabsteine, die der völligen Zerstörung (April 1939) entgangen waren. Nach 2005 wurde der völlig dem Verfall preisgegebene Friedhof durch den lokalen Heimat- u. Kulturverein wieder in einen ansehbaren Zustand versetzt.

  Duingen - Novemberpogrome 1938 Aufn. Bernhard Gelderblom, aus: pogrome1938-niedersachsen.de/duingen/

 

 

 

Weitere Informationen:

Wilhelm Heinze, Geschichte der Stadt Alfeld. Ein Beitrag zur Heimatkunde, Alfeld 1894

August Korn, Aus der Geschichte des Dorfes Wrisbergholzen, 2. Aufl. o.O. 1953

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 8

Gerhard Kraus (Bearb.), 1258 - 1983. 725 Jahre Stadt Alfeld, hrg. von der Stadtverwaltung Alfeld, Alfeld 1983

August Laue, Aus der Geschichte des Dorfes Wrisbergholzen, o.O. 1983

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Reg.Bez. Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 79/80

Geschichtswerkstatt Alfeld, Zum 50.Jahrestag der ‘Reichskristallnacht’. Verfolgung und Vertreibung der Juden in Alfeld, Hildesheim 1988

Armin Schrenke/Christine Tietz, Das Leben jüdischer Menschen in Freden/Leine, Freden 1992 (Maschinenmanuskript)

U.Schacht/S.Neuhaus/S.Deppe (Bearb.), Synagoge Freden/Leine. Dokumentationsprojekt „Synagogen in Niedersachsen“ der TU Braunschweig, 1996

Nancy Kratochwill-Gertich/Antje C. Naujoks (Bearb.), Alfeld, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 108 – 114

Andrea Baumert/Almuth Lessing (Bearb.), Groß Freden, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 670 – 677

Uwe Hager (Bearb.), Wrisbergholzen, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1587 – 1590

Bernhard Gelderblom, Jüdisches Leben in Duingen, hrg. vom  Duinger Heimat- u. Kulturverein e.V., Heft 13/2009

Auflistung der in Freden verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Freden_(Leine)

Auflistung der in Lamspringe verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Lamspringe

Kilian Milatz (Red.), Jüdische Bürger in Alfeld, in: Vernetztes Erinnern – Nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Stadt und Landkreis Hildesheim, online abrufbar unter: vernetztes-erinnern-hildesheim.de (2011/2013)

Thomas Butschereit, Jüdische Bürger in Freden (mehrere Abschnitte), in: Vernetztes Erinnern – Nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Stadt und Landkreis Hildesheim, online abrufbar unter: vernetztes-erinnern-hildesheim.de (2011/2013)

Bernhard Gelderblom (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Duingen, online abrufbar unter: gelderblom-hameln.de/judenhameln/friedhoefe/judenfriedduingen.php?name=duingen

Bernhard Gelderblom, Die Juden in den Dörfern des Fleckens Salzhemmendorf, Holzminden 2013, S. 173 ff.

Silke Petry (Bearb.), ALFELD – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/alfeld

Bernhard Gelderblom (Bearb.), DUINGEN – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/duingen/

S. Kraft (Red.), Der jüdische Friedhof in Everode, in: „Alfelder Zeitung“ vom 30.9.2021