Beiseförth (Hessen)
Beiseförth ist heute ein Ortsteil von Malsfeld im Schwalm-Eder-Kreis südlich von Melsungen gelegen (Ausschntt aus hist. Karte mit Eintrag von Malsfeld, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Schwalm-Eder-Kreis', NNW 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Zusammen mit den umliegenden Ortschaften Binsförth, Malsfeld, Neumorschen und Rengshausen bildete Beiseförth eine Synagogengemeinde mit Sitz in Beiseförth. Erstmals finden Juden hier gegen Mitte des 16.Jahrhunderts Erwähnung.
In den 1850er Jahren errichtete die kleine Gemeinde ein Synagogengebäude, das wie folgt beschrieben wird: " … mit Ecklinsen in das Dachgesims übergehend. Satteldach in Ost-West-Richtung. Recheckiger Grundriss, bestehend aus Vorraum mit Treppenaufgang zur Empore, Synagoge und zwei kleinen Räumen, nicht unterkellert, Fußboden mit Sandsteinplatten belegt. Dachkonstruktion, Sitzbänke und Empore sowie deren tragende Säulen aus Eichenholz. Rundbogenfenster und Eingangstüren mit Hausteinumrahmungen. Über der großen Eingangstüre Rundbogenfenster, vermutlich mit Rosette.“ (aus: Thea Altaras, Synagogen in Hessen, S. 46/47)
Religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde verrichtete ein angestellter Lehrer. Vermutlich als letzter Vorbeter, Schochet und Rechnungsführer der winzigen Gemeinde war Samuel Katz tätig, bis er mit seiner Familie nach Melsungen übersiedelte.
Der jüdische Friedhof befand sich am Hang des sog. Siechenberges bei Binsförth und gilt als eines der ältesten Beerdigungsgelände in Nordhessen. Als eine Schenkung der Baumberger Rittergutsbesitzer gelangte das Areal um 1650/1660 ins Eigentum der kleinen jüdischen Gemeinschaft; der älteste noch vorhandene Grabstein stammt aus dem Jahre 1694. In der Folgezeit diente das Begräbnisgelände zeitweilig zahlreichen jüdischen Gemeinden als Sammelfriedhof, so etwa Heinebach, Malsfeld, Melsungen, Nenterode, Rengshausen, Röhrenfurth, Spangenberg u.a.
Die jüdische Gemeinde gehörte wie auch die Gemeinden des ehem. Kreises Melsungen zum Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.
Juden in Beiseförth:
--- um 1750 ...................... ca. 10 jüdische Familien,
--- 1835 ............................. 20 Juden,
--- 1861 ............................. 78 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1871 ............................. 63 “ ,
--- 1885 ............................. 33 “ ,
--- 1895 ............................. 21 " ,
--- 1905 ............................. 21 “ ,
--- 1925 ............................. 20 “ ,
--- 1933 ............................. 2 jüdische Familien.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 60
Um die Jahrhundertwende setzte eine allmähliche Auflösung der Gemeinde ein.
aus: "Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 28. Sept. 1928
Sechs Wochen später erschien ein längerer Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" über das 75jährige Synagogenjubiläum.
„Das Jubelfest der Beiseförther Synagoge am 11. November 1928. Vor 75 Jahren, im Jahre 1853, war die Synagoge fast am Ausgang des Dorfes in nächster Nähe des Waldes durch die Opferwilligkeit der damaligen Gemeindemitglieder errichtet worden. Jeden Freitagnachmittag war eine freiwillige Spende erhoben worden, sodass auf diese Weise eine Summe von 12.000 Mark als Baufonds zur Verfügung stand. Vollständig aus Backsteinen aufgeführt, trotz wohl ihr äußeres Kleid dem Zahn der Zeit, doch im Innern bildeten sich im Laufe der Jahre so viel Schäden, daß eine Erneuerung unbedingt erforderlich war. Durch die Hochherzigkeit edler Spender, durch Flüssigmachung staatlicher Hilfsmittel und durch die Rührigkeit und den Eifer der Gemeindemitglieder von Beiseförth, Binsförth und Malsfeld ist dem Bethaus eine würdige Ausstattung geworden. Die Wände und die Decke bilden in ihrer himmelblauen Färbung einen wohltuenden Gegensatz zu dem tiefblauen Anstrich der Bänke, der Frauengalerie, Türen usw., … und staunend fragt man sich, wie ist es möglich, daß eine solche geringe Zahl von Mitgliedern dieses Werk geschaffen. Mancher hessischen Gemeinde, die über andere Steuerkräfte verfügt, möchte man zurufen: Schaut euch die Sache an und tut ein Gleiches! … Zur Jubelfeier hatten sich viele Freunde der Gemeinde eingefunden, ganz besonders die Familien, deren Stammbaum nach Beiseförth führt oder die sonst in verwandtschaftlicher Beziehung zu Beiseförther Familien stehen. … An den Festgottesdienst schloß sich ein Festessen, an dem über 100 Personen teilnahmen. ... Ein bis ins Morgengrauen sich hinziehender Ball mit Kaffeetafel hielt die Jubelgäste noch lange zusammen. Nicht vergessen darf die Riesenarbeit der Beiseförther Hausfrauen werden, die in einem christlichen Hotel eine so herrliche Bewirtung der Gäste durchführten. Möge dieser echtjüdische Geist, der sich sowohl in der Restaurierung der Synagoge wie auch in der Begehung der Feier derselben wiedergibt, noch lange in Beiseförth eine Heimstätte haben. Katz (Borken)." (Auszugsweise aus: „Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 16. Nov. 1928)
Das noch 1928 renovierte Synagogengebäude wurde bald danach aufgegeben. Gegen Ende der 1930er Jahre lebten bereits keine jüdischen Familien mehr in Beiseförth.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 20 aus Beiseförth stammende Bewohner jüdischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/beisefoerth_synagoge.htm).
Heute erinnert an dem zu Wohnzwecken genutzten ehemaligen Synagogengebäude eine Informationstafel an die Historie dieses Gebäudes.
Mehr als 250 Grabsteine auf dem ca. 5.500 m²großen Binsförther Friedhof (am Waldrand der Wichter Höhe, am sog. Siechenberg) haben die Zeiten überdauert; der älteste Stein datiert von 1694; Begräbnisse wurden auf dem Gelände bis 1937 vorgenommen.
Jüdischer Friedhof in Binsförth (Aufn. Sonja Durski, 2007, aus: alemannia-judaica.de)
Nachdem bereits 2012 drei sog. „Stolpersteine“ für Angehörige der jüdischen Familie Katz verlegt worden waren, folgten zwölf Jahre später weitere zehn Gedenkquader für Familienmitglieder Katz und Rosenblatt.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 60 - 62
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988, S. 46/47
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Hessen II - Regierungsbezirke Gießen u. Kassel, 1995, S. 177 (Malsfeld) und S. 179 (Morschen)
Walter Dippel, Die ehemalige jüdische Gemeinde in Beiseförth, Hrg. Heimat- u. Verkehrsverein Beiseförth, Beiseförth – Geschichte eines Dorfes. Chronik zur 650-Jahr-Feier, 1998, S. 89 - 93
Michael Brocke/Christiane E. Müller, Haus des Lebens. Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Leipzig 2001, S. 154/155
Beiseförth mit Malsfeld sowie Binsförth u. Neumorschen und Rengshausen, in: alemannia-judaica.de (mit zumeist personenbezogenen Dokumenten)
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein im Taunus, 2007, S. 147
Jasmin Paul (Red.), Debatte um jüdischen Friedhof in Binsförth, in: „HNA – Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 6.6.2014
Claudia Feser (Red.), Jahrhunderte alte Grabsteine auf jüdischen Friedhof Binsförth werden saniert, in: „HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 16.8.2018
Jüdische Gemeinde Kassel (Hrg.), „Das sind doch auch Menschen“ – Geschichte der jüdischen Lebens in Nordhessen, Soremski Agentur & Verlag, 2023
Keriim Eskalen (Red.), 21 Stolpersteinverlegungen in Beiseförth und Spangenberg, in: „HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 14.9.2024
Kerim Eskalen (Red.), Zehn Stolpersteine für Familien Katz und Rosenblatt in Beiseförth verlegt, in: „HNA - Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 20.9.2024