Brandeis/Elbe (Böhmen)
Das böhmische Brandeis a.d. Elbe ist das tschechische Brandýs nad Labem. Die nordöstlich von Prag liegende "Doppelstadt" (Brandýs nad Labem - Stará Boleslav) entstand erst im Jahre 1960 durch den Zusammenschluss zweier ursprünglich selbstständiger Städte (mit Alt-Bunzlau/Stará Boleslav); sie besitzt derzeit ca. 19.500 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Karte der Prag-Duxer Bahnstrecke, aus: wikipedia,org gemeinfrei und Kartenskizze 'Tschechien' mit Brandýs nad Labem rot markiert, aus: commons.wikimedia.org CCO).
Erste Spuren jüdischer Ansiedlung in der Region um Brandeis stammen aus der Zeit nach 1550. Unterhalb des Schlosses ließen sich damals einige jüdische Familien nieder. Nach einer kurzzeitigen Vertreibung kehrten sie wieder hierher zurück. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges veranlasste die christliche Bevölkerung die Abwanderung der Juden: Man warf ihnen vor, während des Krieges mit den Feinden kooperiert zu haben. Doch der Stadtobrigkeit gelang es, einige jüdische Familien zu halten; sie mussten ihr Bleiben aber mit einer zusätzlichen Steuer erkaufen. Nach der Vertreibung der Juden aus Prag (1726) kamen weitere Familien nach Brandeis
An der Stelle älterer Synagogen, die bei Stadtbränden 1787 und 1827 zerstört worden waren, errichtete die Judenschaft 1828/1829 einen Synagogenbau im klassizistischen Stil, der bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist und als Museum dient. Neben der Synagoge befand sich eine vierklassige jüdische Elementarschule.
Ehem. Synagogengebäude während der Restaurierungsphase (Aufn. K., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Anm.: In der Nachkriegszeit wurde das Synagogengebäude nach Umbaumaßnahmen gewerblich genutzt.
Die Brandeiser Juden verfügten seit Beginn ihrer Ansiedlung auch über einen eigenen Friedhof, der sich ca. 500 Meter vor der Siedlung befand. Diese jüdische Begräbnisstätte gehört heute zu eine der ältesten auf tschechischem Staatsgebiet
älterer Teil des jüdischen Friedhofs (beide Aufn. Hana Nemecková, 2014, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Juden in Brandeis/Elbe:
--- um 1560/70 ...................... 5 jüdische Familien,
--- 1724 ............................ 22 “ “ ,
--- 1783 ............................ 40 “ “ ,
--- 1812 ............................ 38 “ “ ,
--- 1849 ............................ 52 “ “ ,
--- 1880 ........................ ca. 250 Juden,
--- 1893 ........................ ca. 380 “ ,* * gesamte Gemeinde
--- 1921 ............................ 272 “ (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1930 ........................ ca. 60 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1940 ............................ ? .
Angaben aus: Moritz Mandel, Geschichte der Juden in Brandeis a.d.E. und Elbekosteletz
und Institut Theresienstädter Initiative (2005)
Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war eine Abwanderung jüdischer Familien zu verzeichnen; Hauptziele waren die beiden Metropolen Prag und Wien. Anfang der 1930er Jahre war der jüdische Bevölkerungsanteil in Brandeis unter 1% der Stadtbevölkerung abgesunken.
Zu den baulichen Relikten jüdischen Lebens in Brandeis gehören das ehemalige Synagogengebäude und der großflächige Friedhof mit der Zeremonienhalle. Der älteste vorhandene Grabstein datiert aus dem Jahre 1572.
Blick über den jüdischen Friedhof in Brandys nad Labem (Aufn. K., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Jüdischer Friedhof und ehem. Zeremonienhalle (Aufn. Michal Kmínek, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Rahmen der Revitalisierung jüdischer Denkmäler in Tschechien konnte das ehemalige Synagogengebäude dank finanzieller Unterstützung durch die Europäische Union in den Jahren 2010/2014 umfangreich restauriert werden; im Sommer 2014 wurde das Gebäude eingeweiht.
Restauriertes Synagogengebäude (Aufn. V., 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0 und J. Zdenek, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Im benachbarten Marktflecken Elbekosteletz (tsch. Kostelec nad Labem, derzeit ca. 3.600 Einw.) gab es ebenfalls eine jüdische Gemeinde, die urkundlich ab dem späten 16.Jahrhundert nachweisbar ist und nur aus wenigen Familien bestand. Nach zwischenzeitlicher Vertreibung in der Zeit nach 1650 gründete sich erst wieder in den 1860er Jahren eine israelitische Gemeinde, der damals mehr als 20 Familien angehörten; angeschlossen waren auch Juden aus umliegenden Dörfern, die die Zahl der Gemeindeangehörigen um 1890 auf etwa 380 Personen ansteigen ließ. Doch alsbald setzte die Abwanderung in die größeren Städte ein. 1930 lebten im Ort nur noch 18 Personen jüdischen Glaubens.
Neben einer Synagoge (aus den 1860er Jahren) verfügte die Gemeinde über einen Friedhof, dessen erste Belegungen bis ins ausgehende 16.Jahrhundert zurückreichen. Im 19.Jahrhundert wurde die ursprüngliche Fläche erweitert.
Ehem. Synagoge (hist. Aufn., um 1950 ?)
Nur der vor vier Jahrhunderten angelegte jüdische Friedhof ist als sichtbares Zeugnis jüdischen Lebens in Elbekosteletz erhalten geblieben. Während der kommunistischen Epoche verfiel das Areal: Grabsteine wurden umgeworfen (z.T. auch zerstört) und die Vegetation überwucherte alles. Erst nach 2000 begann man mit der kostenintensiven Restaurierung des Friedhofs; etwa 300 Grabsteine sind heute noch vorhanden.
Jüdischer Friedhof in Kostelec (Aufn. Haberhauer, 2012, in: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Das Synagogengebäude war in den 1950er Jahren abgerissen worden; ein Gedenkstein erinnert heute an dessen einstigen Standort.
Gedenkstein für die ehem. Synagoge (Aufn. J. Erbenová, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In Kralop a.d. Moldau (tsch. Kralupy nad Vitavou, derzeit ca. 18.000 Einw.) - westlich von Brandeis gelegen - war eine kleine jüdische Gemeinde existent. Mit dem Einsetzen der wirtschaftlichen Einwicklung des Ortes - zuvor war es ein bedeutungsloses Dorf - kamen in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts auch jüdische Familien hierher. An die ehemalige israelitische Gemeinde erinnert noch das Synagogengebäude, das heute von der Hussitischen Kirchengemeinde genutzt wird.
Ehem. Synagogengebäude mit Gedenktafel (Aufn. P.P., 2014 und SJu, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
In Neratowitz (tsch. Neratovice, derzeit ca. 16.000 Einw.) – etwa 15 Kilometer nordwestlich von Brandeis gelegen – erinnern seit 2010 eine Reihe von sog. „Stolpersteinen“ an das Schicksal der Menschen, die während der NS-Zeit vertrieben, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden.
"Stolpersteine" für Angehörige der Familien Heller und Stein (Aufn. Chr. Michelides, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Moritz Mandl (Bearb.), Geschichte der Juden in Brandeis a.d.E. und Elbekosteletz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 56 – 58
Brandys nad Labem, in: jewishmuseum.cz
The Jewish Community of Brandys nad Labem (Brandeis), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/brandys-nad-labem
Jewish Families from Brandýs nad Labem (Brandeis an der Elbe), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-of-Brand%25C3%25BDs-nad-Labem-Brandeis-Czech-Republic/13328
Brandys nad Labem - revitalizace Zidovskych Pamatek V Ceske Republice, online abrufbar unter: 10hvezd.cz
Jewish Families from Kralupy nad Vltavou in Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Kralupy-nad-Vltavou-Bohemia-Czech-Republic/15286
Auflistung der in Neratovice verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Neratovice