Fränkisch-Crumbach (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Heppenheim/Bergstraße (Hessen) Datei:Municipalities in ERB.svg Fränkisch-Crumbach ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 3.300 Einwohnern im Nordwesten des hessischen Odenwaldkreises – ca. 25 Kilometer südöstlich von Darmstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, ohne Eintrag von F.-C., aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Odenwaldkreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Fränkisch-Crumbach stand bis 1806 unter den Patrimonialherrschaft der Frh. von Gemmingen und fiel dann an Hessen. In der Ortschaft sind seit Beginn des 18.Jahrhunderts wenige jüdische Familien urkundlich nachweisbar; sie lebten mehr schlecht als recht vom Vieh- und Hausierhandel und standen abseits der Dorfgesellschaft. Zu Gottesdiensten suchten die jüdischen Bewohner zunächst das benachbarte Reichelsheim auf; nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatten, eigene Gottesdienste abzuhalten, kamen sie in einem Privathause zusammen. 1874 weihte die jüdische Gemeinde ihre neue Synagoge in der Erbacher Straße ein; ihr war auch eine Mikwe angeschlossen.

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Stellenangebote der Gemeinde aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 11.4.1877 und vom 22.9.1885

Seit den 1850er Jahren wurden die Fränkisch-Crumbacher Juden auf dem neu angelegten jüdischen Friedhof in Reichelsheim beerdigt; zuvor war der Sammelfriedhof in Michelstadt für die Odenwälder Juden letzte Ruhestätte.

Die Gemeinde gehörte zum liberalen Bezirksrabbinat Darmstadt I.

Juden in Fränkisch-Crumbach:

         --- 1705 .........................   2 jüdische Familien,

    --- 1730 .........................  14 Juden,

    --- 1761 .........................   7 jüdische Familien,

    --- 1807 .........................  39 Juden,

    --- 1830 .........................  59   “  ,

    --- 1846 .........................  95   “  ,

    --- 1871 ......................... 104   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1880 ......................... 108   "  ,

    --- 1900/05 ......................  85   “  ,

    --- 1925 .........................  57   “  ,

    --- 1932/33 .................. ca.  60   “   (in 12 Familien),

    --- 1935 .........................  58   “  ,

    --- 1938 (Dez.) ..................  14   “  ,

    --- 1939 (Mai) ...................   8   “  ,

    --- 1940 (Jan.) ..................   keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 186

und                  H.Katzenmeier/R.Knodt/ u.a., Geschichte der Juden in Fränkisch-Crumbach, S. 18f.

 

Während der Revolutionswirren von 1848 kam es auch in Fränkisch-Crumbach zu antijüdisch motivierten Unruhen, die sogar die Anforderung von Militär notwendig machten; doch zu einem Einsatz der Soldaten kam es nicht, da einheimische Bewohner nun selbst für den Schutz der jüdischen Familien sorgten. Ihre Blütezeit erreichte die hiesige Gemeinde nach der Mitte des 19.Jahrhunderts. Die meisten Familien waren inzwischen zu bescheidenem Wohlstand gelangt, und ihnen war es gelungen, sich in die dörfliche Gesellschaft weitgehend zu integrieren und Anerkennung zu finden; nur die Andersartigkeit ihrer religiösen Riten hinterließ noch immer eine gewisse Kluft. Neben dem Viehhandel und dem mit Manufakturwaren existierte seit 1870/1871 in Fränkisch-Crumbach eine Zigarrenfabrik, die in jüdischem Besitz war und in ihren besten Zeiten knapp 300, zumeist weibliche Arbeitskräfte beschäftigte. Das von Moritz Oppenheimer geleitete Unternehmen entwickelte sich zum bedeutendsten in Fränkisch-Crumbach und besaß im Nachbardorf Pfaffen-Beerfurth einen Zweigbetrieb; infolge der Weltwirtschaftskrise musste dann die Firma Anfang des Jahres 1933 schließen.

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Belegschaft der Zigarrenfabrik von Moritz Oppenheimer um 1928 (Privatarchiv Jürgen Göttmann, aus: alemannia-judaica.de)

Ab Mitte der 1930er Jahre verließen die allermeisten jüdischen Einwohner den Ort; Diffamierung und Ausgrenzung, aber auch wirtschaftliche Not waren die Ursachen. Aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 4.9.1935: "... Der Zuzug von Juden wird für die Zukunft nicht mehr gestattet. Der Ortsbürgernutzen sowie das Pachtland wird den ansässigen Juden entzogen. Unterstützungen werden an Juden nicht mehr gegeben. ... Wer bei Juden kauft, kann als Lieferant für die Gemeinde nicht mehr in Frage kommen. ..." Während der größere Teil der das Dorf verlassenden Juden in überseeische Länder emigrierte, verzogen einige Familien in größere deutsche Städte. Eine der wenigen am Ort verbliebenen jüdischen Familien war die von Moritz Oppenheimer; NS-Behörden verweigerten eine Emigration, da er noch Bankschulden hatte. Während des Pogroms verwüsteten SA-Angehörige dessen Haus und verschleppten ihn und seinen Sohn ins KZ Buchenwald. Nach deren Rückkehr nach Fränkisch-Crumbach verzog die Familie nach Mannheim; von dort wurde sie nach Gurs, später von dort nach Auschwitz deportiert, wo sie ums Leben kam.

1936 war die jüdische Gemeinde inzwischen so klein geworden, dass sie keine Gottesdienste mehr durchführen konnte. Das Synagogengebäude wurde noch vor dem Novemberpogrom verkauft und später zu einem Kino umgebaut.

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 J-Kennkarte von Moritz Oppenheimer und seiner Ehefrau Margarete, ausgestellt 1939 in Dieburg

Zigarrenfabrikant Moritz Oppenheimer (geb. 1878) - Sohn des Gründers der Zigarrenfabrik in Fränkisch-Crumbach Isaak O. - nahm am kommunalen Leben aktiv teil (1913 bis 1929 als Mitglied des Gemeinderates, Mitbegründer des SPD-Ortsvereines u.a.) Als Folge der Weltwirtschaftskrise musste Moritz O. seine Zigarrenfabrik 1933 schließen. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde er mit seinem Sohn Ernst ins KZ Buchenwald verschleppt. Während vier seiner Kinder NS-Deutschland verlassen konnten, wurde das Ehepaar Oppenheimer mit seinen beiden jüngsten Kindern im Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Die Kinder überlebten, beide Elternteile wurden 1942 nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 19 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum im Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/fraenkisch_crumbach_synagoge.htm).

 

Auf einem der ehemaligen Synagoge gegenüberliegenden Grundstück erinnert seit 1991 ein Findling mit einer Inschrift an die einstige jüdische Gemeinde.

SHALOM   FRIEDE

Dieses Haus gegenüber diente der jüdischen Gemeinde Fränkisch-Crumbach bis 1936 als Synagoge.

Zum Gedenken den verfolgten und ermordeten Juden und Mahnung für die Lebenden

                                     Gedenkstein (Aufn. B. Kukatzki, 2012)

 2022 wurden zwei sog. „Stolpersteine“ vor der ehemaligen Zigarrenfabrik in der Crumbacher Allee verlegt, die an Gustav und Ida Oppenheimer erinnern (Aufn. Gemeinde Fränkisch-Crumbach, 2022). Nach ihrer Vertreibung aus Fränkisch-Crumbach waren sie – nach Aufenthalt in Mannheim und Worms – 1942 deportiert worden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 185 - 187

Karl Schemel, Die Geschichte der Juden in Bickenbach und im südhessischen Raum, in: Bickenbach uffm Sand - Ortschronik der Gemeinde Bickenbach, Band II, Matchball-Verlag Tomas Klang, Bickenbach 1993, S. 267 - 271

O.Born-Hauenstein/H.Katzenmeir/R.Knoddt/S.Kunz, Geschichte der Juden in Fränkisch-Crumbach, hrg. vom Rodensteinmueseum e.V., Fränkisch-Crumbach 1994

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 249 - 251

Ruth L. David, Ein Kind unserer Zeit: autobiographische Skizzen eines jüdischen Mädchens. Kindheit in Fraenkisch-Crumbach, Kindertransport nach England, Leben im Exil, dipa-Verlag, Frankfurt/M. 1996

Rodensteinmuseum (Bearb.), Die jüdische Familie Oppenheimer: eine bemerkenswerte Crumbacher Familie, online abrufbar unter: museum.de/audioguide/34/39/DE/0

Fränkisch-Crumbach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, meist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Karin Richert (Red.), Gunter Demnig verlegt „Stolpersteine“, Gemeindeverwaltung Fränkisch-Crumbach Jan. 2022

Kirsten Sundermann (Red.), Stolpersteine in der Crumbacher Allee, in: Pressemeldung aus Fränkisch Crumbach vom 15.2.2022 (betr. Stolperstein-Gedenken an Fam.Oppenheimer)

Kirsten Sundermann (Red.), Wie geht es weiter mit der früheren Crumbacher Synagoge? in: „Echo“ vom 25.3.2024