Gröbzig (Sachsen-Anhalt)

Bildergebnis für landkreis anhalt bitterfeld karte ortsdienst Postleitzahl von Gröbzig: PLZ und Karte Gröbzig mit derzeit ca. 3.000 Einwohnern ist ein Ortsteil der 2010 neu gebildeten Stadt Südliches Anhalt im Landkreis Anhalt-Bitterfeld – wenige Kilometer südwestlich von Köthen gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Anhalt-Bitterfeld' ohne Eintrag von Gröbzig, aus: ortsdienst.de/sachsen-anhalt/landkreis-anhalt-bitterfeld).

 

Vermutlich haben sich erst nach dem Dreißigjährigen Krieg Juden im anhaltinischen Gröbzig niedergelassen. Der seit 1578 zweimal im Jahr stattfindende Gröbziger Jahrmarkt entwickelte sich zum zentralen Handelsplatz der Umgebung und zog damit auch jüdische Händler an. Eine Quelle aus dem Jahre 1660 lässt den Schluss zu, dass damals bereits eine jüdische Gemeinschaft in Gröbzig bestanden haben muss. Ein Zuzug von Juden setzte ein, als die anhaltinischen Regenten ab Ende des 17.Jahrhunderts ihnen vergleichsweise günstige Lebens- und Wirtschaftsbedingungen boten (urkundlich nachweisbar ab 1718 unter Fürst Leopold I.). Neben Schutzgeldzahlungen mussten die Juden auch einen besonderen Eid auf die anhaltinischen Fürsten leisten. Der älteste bekannte Schutzbrief für einen Gröbziger Juden war der 1719 für den aus Kalisch zugezogenen  Hirsch Moses.

[vgl. Dessau und Wörlitz (Sachsen-Anhalt)]

Im Jahre 1713 zählte der kleine Ort insgesamt 152 Haushalte, darunter zunächst nur drei jüdische Familien. Infolge starker Zuwanderung wohnten Mitte des 18.Jahrhunderts bereits 40 jüdische Familien in Gröbzig; damit lag ihr Bevölkerungsanteil bei etwa 15 % . Sie wohnten meist in der Langen Gasse und am Markt. Gröbziger Juden waren vorwiegend reiche Kaufleute, die als angesehene Leipziger „Messjuden“ einen regen Handel betrieben.

Die Gröbziger Juden waren bis ins frühe 19.Jahrhundert orthodox eingestellt; ihr Rabbiner, der aus Sandersleben kam, besaß enge Kontakte zur konservativen Gemeinde Halberstadts und dem dortigen Verband orthodoxer Rabbiner. Seit ca. 1795 gab es in Gröbzig eine kleine Synagoge und seit 1832 ein bescheidenes Gemeindehaus; eine gründliche bauliche Umgestaltung erfolgte Mitte des 19.Jahrhunderts; in diesem Kontext wurde auch eine Mikwe 1859 eingerichtet; daneben befand sich ein Schulraum und das Schlachthaus.

   Museum Synagoge Gröbzig

   Synagoge, Straßenansicht (hist. Aufn. 1939)  und  Zeichnung (Abb. aus: groebziger-synagoge.de)

Vor den Toren der Kleinstadt (auf dem Flurstück „alte Saulache“) existierte bereits seit ca. 1670 ein jüdischer Friedhof, der um 1810 eine Erweiterung erfuhr.

Juden in Gröbzig:

         --- 1713 ............................   3 jüdische Familien,

    --- 1753 ........................ ca.  40     “       “   (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1780 ............................ 115 Juden,

    --- 1800 ............................ 110   "  ,

    --- 1820 ............................ 165   "  ,  

    --- 1843 ............................ 158   “  (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1867 ............................ 167   “  ,

    --- 1871 ............................ 123   “  ,

    --- 1885 ............................  68   “  ,

    --- 1900 ............................  54   “  ,

    --- 1905 ............................  45   “  ,

    --- 1910 ............................  30   “  ,

    --- 1933 (Mitte) ....................  11   “  ,

    --- 1935 (Okt.) .....................   9   “  ,

    --- 1939 ............................   8   "  ,

    --- 1940 ............................   keine.

Angaben aus: Jutta Dick/Marina Sassenberg (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt, S. 58/59

und                 Anett Gottschalk (Bearb.), Gröbzig, in: Jüdisches Leben in Anhalt - ..., S. 160

Gröbzig :: Ansichtskarten-LexikonStraßenzug in Gröbzig - hist. Postkarte (Abb. aus: ansichtskarten-lexkon.de)   

 

Im Gefolge der Judenemanzipation nahm der jüdische Bevölkerungsanteil auch in Gröbzig ab den 1870er Jahren stark ab; Gröbziger Juden wanderten in die größeren Städten und entstehende Industriezentren der Region ab. Im Sommer 1933 lebten in Gröbzig nur noch elf Bewohner mosaischen Glaubens. Der letzte Gottesdienst in der Synagoge fand im August 1934 statt. Nach dem Vorschlag des Vorstehers der israelitischen Kultusgemeinde ging im Jahre 1934 das Gebäude als städtisches Museum in Kommunalbesitz über; gleichzeitig erwarb die Museumsleitung viele rituelle Gegenstände. Das Heimatmuseum Gröbzig wurde damals in die Liste der Kunstdenkmale des Landes Anhalt aufgenommen.

Als im Gefolge des November-Pogroms von 1938 eine aus Köthen kommende Abteilung der SA/SS die Synagoge in Brand setzen wollte, widersetzten sich der Museumsleiters und der Bürgermeister erfolgreich diesem Vorhaben mit dem Argument, es handele sich hier um städtisches Eigentum. Der Bürgermeister von Gröbzig äußerte sich zu den Vorgängen im November 1938 wie folgt: „ ... Im Zusammenhang mit den Ereignissen der Tage der Vergeltungsaktion gegen das Judentum wollte die empörte Volksmenge das der Israelitischen Kultusgemeinde Gröbzig gehörende Wohn- und Geschäftsgebäude, Adolf-Hitler-Straße 8 (Anm.: = jüdisches Gemeindehaus) nebst der damit im Zusammenhang stehenden Synagoge und Leichenhalle beseitigen. Um größere Beschädigungen zu vermeiden, verhinderte ich dies dadurch, daß ich in meiner Eigenschaft als Ortspolizeileiter der empörten Volksmenge zusicherte, alles das von diesem Gebäudekomplex entfernen zu lassen, was irgendwie an das Judentum erinnert und die Empörung eines jeden deutschen Menschen geradezu herausfordert. ...” (aus: Erich Hobusch, Synagoge Gröbzig gerettet und bewahrt, S. 40)

Die Kultgeräte der Synagoge wurden von den beiden Museumsleitern versteckt. Am gleichen Tage verfügte der Gröbziger Bürgermeister die Schließung des letzten jüdischen Geschäftes; gleichzeitig verbot er den Gastwirten, Juden zu beherbergen. Alle Hauseigentümer, bei denen Juden zur Miete wohnten, mussten an diese das folgende vom Bürgermeister unterzeichnete Schreiben vom 18.11.1938 übergeben:

„ .... Auf Grund der feigen Ermordung des deutschen Gesandschaftsrates ... und der neuerlichen Auslandshetze ist es mir unmöglich, mit Ihnen als einem Angehörigen des jüdischen Volkes unter einem Dache zu wohnen. Da die Bevölkerung es nicht verstehen kann, daß ich als Deutsche noch einer Jüdin Wohnung gewähre, habe ich schwere Schädigungen zu befürchten. Infolge der Dringlichkeit der Sachlage kündige ich Ihnen mit sofortiger Wirkung und erwarte, daß Sie bis heute Abend 18 Uhr Ihre Wohnung geräumt haben. ...

(aus: Erich Hobusch, Synagoge Gröbzig gerettet und bewahrt, S. 40 f.)

Die betroffenen Bewohner schob man noch am gleichen Abend ins jüdische Gemeindehaus ab. Bis auf eine ältere Jüdin wurden die wenigen anderen jüdischen Bürger alsbald nach Halle bzw. Berlin ausgewiesen. Die Deportation der letzten in Gröbzig lebenden Jüdin Rosalie Meyerstein erfolgte Mitte Sept. 1940. Am 1.Okt. 1940 teilte der Gröbziger Bürgermeister dem Landrat von Köthen mit: „Gröbzig ist nun judenfrei.”

 

In den 1960er Jahren wurde das Synagogengebäude wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt. Auch der 1940 geschändete jüdische Friedhof in Gröbzig - westlich der Stadt zwischen Fuhne und Akazienberg gelegen - konnte Ende der 1950er Jahre von Mitgliedern des Heimatvereins instandgesetzt werden. In den 1980er Jahren kam es hier erneut zu Zerstörungen, die sich 2013/2014 wiederholten. Der heute unter Denkmalschutz stehende jüdische Friedhof mit einer Fläche von ca. 2.600 m² besitzt noch nahezu 250 Grabsteine.

Jüdischer Friedhof in Gröbzig (Aufn. Pixelio, in: wochenspiegel.web.de)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20106/groebzig01.JPGhttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20106/groebzig06.JPG

ältere Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Gröbzig (beide Aufn. Hans-Peter Laqueur, 2007, aus: alemannia-judaica.de)

Kurz vor der Wiedervereinigung wurde das ehemalige Gröbziger Synagogengebäude zu einer Gedenkstätte und einem Museum jüdischer Kultusgeschichte des mitteldeutschen Raumes umgestaltet, in dem wertvolles jüdisches Kulturgut besichtigt werden kann.

  Museum Synagoge Gröbzig

Synagogenkomplex (Aufn. J. Waller, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) und Innenraum (Aufn. aus: anhalt-bitterfeld.de)

Jüngst (2017/18) war die Zukunft des Museums Synagoge Gröbzig ungewiss, da der alte Trägerverein „Freunde und Förderer des Museums“ auf Betreiben der Stadt und des Landkreises seine Arbeit eingestellt hatte und einen neuen Träger suchte, der verantwortlich die Belange des Museums vertreten sollte. Nun hat der "Museumsverein Gröbziger Synagoge e.V." diese Aufgabe übernommen; seit 2018 steht das Museum wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung.

2024 wurden in Gröbzig die ersten „Stolpersteine“ verlegt – so vier Steine an der Langen Straße.

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In Gröbzig wurde 1823 der jüdische Sprachwissenschaftler und Philosoph Chajm Heymann Steinthal geboren. Nach einem Literaturstudium in Berlin und Paris erhielt er in Berlin einen Lehrauftrag für Sprachwissenschaft und Mythologie und wurde 1855 Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft. Von 1872 bis kurz vor seinem Tode (1899) hatte er in Berlin den Lehrstuhl für Bibelkritik und Religionsphilosophie an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums inne. Gemeinsam mit seinem Schwager Moritz Lazarus publizierte er die „Zeitschrift für Völkerpsychologie“

Eine weitere bekannte Persönlickeit der jüdischen Gemeinde gehörte Leo Löwenthal (1855-1925), der als Heimatdichter die Geschichte der Stadt und Umgebung überlieferte und sich mit seinen mundartlich-abgefassten Aufzeichnungen einen Namen machte. Die 1921 veröffentlichte Sammlung „Jreebz’jer Allerlei“ enthält Gedichte und Kurzgeschichten, viele davon im lokalen Dialekt. Eine Straße trägt heute seinen Namen.

 

 

 

Weitere Informationen:

Robert Hobusch, Gröbzig und die Juden, in: Festschrift zur 500-Jahrfeier Gröbzigs, Gröbzig 1965

Erich Hobusch, Synagoge Gröbzig gerettet und bewahrt, in: Jreebz’jer Allerlei, Heft 2, hrg. vom Stadtmuseum Gröbzig anlässlich des 50jährigen Bestehens des Stadtmuseums Gröbzig, Gröbzig 1984

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 155 f.

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band III, S. 1242 f.

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 177 - 180

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 381/382

Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt - Versuch einer Erinnerung, Hrg. Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt, Oemler-Verlag Wernigerode 1997, S. 103 - 111

Holger Brülls, Synagogen in Sachsen-Anhalt, Arbeitsberichte des Landesamtes für Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt 3, Verlag für Bauwesen, Berlin 1998, S. 92 - 85

Marion Méndez, Gröbzig, in: Jutta Dick/Marina Sassenberg (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Sachsen-Anhalt, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1998, S. 58 ff.

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 537/538

Landsynagogen. Zwischen Kulturdenkmal, Gedenkstätte und Lernort. Eine Dokumentation der Tagung in Waren an der Müritz, April 2002, S. 31/32

Bernd Gerhard Ulbrich, Nationalsozialismus und Antisemitismus in Anhalt. Skizzen zu den Jahren 1932 bis 1942, edition RK, Dessau 2005

Andrea Gorgs, Museum Synagoge Gröbzig, in: "Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte", Bd. 15/2008, S. 269 – 273

Der jüdische Friedhof von Gröbzig, in: alemannia-judaica.de (mit Aufnahmen)

Der jüdische Friedhof Gröbzig – Bilder von einer Exkursion nach Gröbzig 2011, online unter: synagoge-eisleben.de

Synke Sander, Leo Löwenthal, in: heimatverein-stadt-groebzig.de

Helmut Dawal (Red.), Jüdischer Friedhof Gröbzig. Schändern auf der Spur, in: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 21.11.2013

Ute Hartling-Lieblang (Red.), Jüdischer Friedhof in Gröbzig. Anlage erneut geschändet, in: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 17.8.2014

MDR/id (Red.), Einmaliges Museum. Streit um Leitung der Synagoge Gröbzig, in: mdr.de/sachsen-anhalt/dessau/streit-um-synagoge-groebzig vom 16.1.2018

Doreen Hoyer (Red.), Streit um Trägerverein der Synagoge Gröbzig. Museum bleibt bis auf weiteres geschlossen, in: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 17.1.2018

Museumsverein (Hrg.), Museum in der Synagoge Gröbzig, online abrufbar unter: www.groebziger-synagoge.de

N.N. (Red.), Die wunderschöne Provinz-Synagoge in Gröbzig, in: „Jüdische Rundschau“ vom 3.3.2020

Anett Gottschalk (Bearb.), Gröbzig, in: D. Bungeroth/J.Killyen/W.-E.Widdel (Red.), Jüdisches Leben in Anhalt - „Suche den Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 34, 15), Hrg. Kirchengeschichtliche Kammer der Ev. Landeskirche Anhalts, Dessau-Roßlau 2020, S. 146 - 161 (in 3. Aufl. 2023, S.150 - 165)

Anne Sailer (Red.), Fotos von jüdischem Friedhöf Gröbzig in Schloss Köthen entdeckt, in: mdrKULTUR vom 23.8.2020

Museum Synagoge Gröbzig (Hrg.), Ein Blick zurück in die Geschichte, in: groebizger-synagoge.de

Doreen Hoyer (Red.), Fünf Stolpersteine für Gröbzig: Zur Verlegung am 21.November werden Gäste aus den USA und Israel erwartet, in: „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 24.9.2024