Grünsfeld (Baden-Württemberg)

Physische Karte des Baulands Naturraum Nr. 128 (braun umrandet)Datei:Grünsfeld im Main-Tauber-Kreis.png Grünsfeld (bei Tauberbischofsheim) ist heute eine kleine fränkische Kommune im Main-Tauber-Kreis mit derzeit ca. 3.800 Einwohnern im Nordosten Baden-Württembergs (topografische Karte des Baulandes, Abb. K. Jähne 2009, aus: wikipedia.org gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Main-Tauber-Kreis', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die Geschichte der Juden im badischen Grünsfeld reicht vermutlich bis gegen Ende des 11.Jahrhunderts zurück; ein bis heute erhaltener, in die Außenwand der Achatiuskapelle eingefügter Stein soll einen Chanukka-Leuchter darstellen. Erste urkundliche Belege für die Anwesenheit von Juden im Ort gibt es am Anfang des 13.Jahrhunderts (1218). Als Geldverleiher sollen sie damals für die dortige Herrschaft eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben; mit ihrem Geld wurden die städtischen Befestigungsanlagen und die Rienecksche Burganlage finanziert. Im Jahre 1298 war auch die Juden Grünsfelds vom sog. „Rindfleisch-Pogrom“ betroffen; ihre Angehörigen wurden vom marodierenden Mob niedergemetzelt. Ob es in Grünsfeld im Spätmittelalter eine größere jüdische Gemeinde gab, ist unbekannt; als sicher gilt aber die Existenz einer Synagoge um 1415.

Erst ab Anfang des 16.Jahrhunderts sind wieder jüdische Bewohner in Grünsfeld urkundlich nachweisbar; sie waren seinerzeit Schutzjuden des Landgrafen von Leuchtenburg. In der Folgezeit muss es zwischen den christlichen Stadtbewohnern und den hiesigen Juden - sie lebten vornehmlich vom Vieh- und Kleinhandel und Geldverleih - ständig zu Konflikten gekommen sein. Die Gründe lagen zumeist im wirtschaftlichen Bereich (Zinszahlungen, Betrügereien beim Handel, u.a.) - dies beweisen vorliegende Gerichts- und Stadtprotokolle. Religiöse Hetze der hiesigen Prediger verschärften noch die bestehenden Spannungen. Kurzzeitig erfolgte sogar eine Ausweisung der Juden aus Grünsfeld; die aus der Stadt vertriebenen Familien siedelten sich dann im dörflichen Umland an.

Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges müssen sich wieder Juden in Grünsfeld aufgehalten haben, wie ein Ratsprotokoll aus dem Jahre 1641 belegt: ... den Juden, so sich ietzmals alhir aufhalten, ist auferlegt worden, wann sie von den anderen ohrten viehe herbeybringen, sollen sie iedesmalß ein beglaubter schein beylegen und vorzeigen, wo sie solches gehandelt oder kaufft haben, weilen an unterschiedlichen ohrten, ziemliche secuht unter dem vihe grassiren thut; so solle ihnen auch das hausiren unter der bürgerschafft verbotten sein. ...”  Erhalten geblieben sind die sog. „Grünsfelder Judeneide“, die das Verhältnis zwischen Juden und Christen in damaliger Zeit dokumentieren; hier die einleitenden Worte:

„ Wann Einem Judten ein aidt aufferlegt wirdt, soll Er zuvor, ehe Er den aidt thut, vorhandten undt vor augen haben ein buch, darinn die gebott Gottes ... gegeben seindt, undt mag darauff der Christ den Judten beredten und beschwören mit nachfolgenden wortten.  Jud Ich beschwehre dich bey dem einigen lebendigen Allmächtigen Gott, Schöpffer des himmels undt Erdreichs, undt allen ding, undt bey seinem Torach undt gesetz, daß Er gab seinem Knecht Moyßi auff dem berg Sinay, daß du wollest wahrlichen sagen und verjähen, daß diß gegenwertig buch seye daß buch, darauff ein Judt einem Judten einen rechten gebührlichen Ayidt, thun: und vollführen möge undt soll. „

(aus: Elmar Weiß, Geschichte der Stadt Grünsfeld, S. 564-566)

Der Rat von Grünsfeld versuchte weiterhin, sich der Juden zu entledigen; doch als 1649 das Würzburger Hochstift die Herrschaft übernahm, besserte sich die unsichere Lage der Juden in Grünsfeld. Als mit der Säkularisierung (1803) die Herrschaft über die Stadt Grünsfeld an das Fürstentum Salm-Reifferscheidt-Krautheim fiel, änderte sich für die hier lebenden Juden zunächst wenig; sie mussten weiterhin Schutzgelder zahlen.

Einen eigenen Synagogenbau hat es in Grünsfeld zu keiner Zeit gegeben. Der Betsaal war in einem Privathause (Rieneckstraße) untergebracht, der um 1890 sehr verfallen gewesen sein soll. Einige Jahre später wurde der Synagogenraum renoviert, 1931 zerstörte ihn ein Brand.

                         aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 10.9.1931

Danach fanden Gottesdienste in einem anderen Privathause (Treppengasse) statt. Ein ins Auge gefasster Synagogenneubau kam nicht mehr zur Ausführung.

 

Stellenangebote für die Filialgemeinde Grünsfeld aus den Jahren 1902 und 1922

Ihre Verstorbenen begruben die Grünsfelder Juden zunächst in Wenkheim, danach auf dem jüdischen Friedhof in Allersheim.

Grünsfeld war Filialgemeinde der Kultusgemeinde von Mosbach im Rabbinatsbezirk Wertheim.

Juden in Grünsfeld:

         --- um 1700 ......................  6 jüdische Familien,

    --- 1725 .........................  8   “         “    ,

    --- 1775 .........................  7   “         “    ,

    --- 1803 .........................  6   “         “    ,

    --- 1825 ......................... 37 Juden,

    --- 1841 ......................... 33   “  ,

    --- 1875 ......................... 59   “  ,

    --- 1900 ......................... 55   “  ,

    --- 1924 ......................... 52   "  ,

    --- 1930 ......................... 30   “  ,

    --- 1933 ......................... 29   “  ,

    --- 1938 (Mai) ................... 14   “  ,

    --- 1940 (Mai) ...................  7   “  ,

    --- 1941 .........................  2   “  ,

    --- 1942 (Mai) ...................  keine.

Angaben aus: Elmar Weiß, Jüdisches Schicksal im Gebiet zwischen Neckar und Tauber

 

Die jüdische Kultusgemeinde in Grünsfeld blieb immer klein; ihren zahlenmäßigen Zenit erreichte sie um 1880. Obwohl in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts Grünsfelder Juden vor allem in die USA auswanderten, konnte sich die Gemeinde behaupten; erst nach 1900 nahm die Zahl ihrer Angehörigen deutlich ab.

          http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20297/Gruensfeld%20Israelit%2017061889.jpg Kleinanzeige von 1889

Zu Beginn der NS-Zeit war die jüdische Bevölkerung auf knapp 30 Personen abgesunken. In den Folgejahren verloren die hier lebenden Juden ihre Wirtschaftsgrundlage: alle Viehhandlungen und Geschäfte waren bis 1938 liquidiert bzw. „arisiert“ worden. Auch das Zusammenleben im Ort wurde immer schwieriger, sodass bis Mitte 1938 etwa die Hälfte der jüdischen Einwohner Grünsfeld verließ. Die jüdische Gemeinde wurde am 7. März 1938 offiziell aufgelöst, die hier noch lebenden Juden der Gemeinde in Tauberbischofsheim zugeteilt.

Während des Novemberpogroms blieben zwar die Wohnungen der wenigen Juden unbehelligt, doch wurde der Betraum durch (angeblich) auswärtige NSDAP-Sympathisanten geplündert.

Über das Schicksal der wenigen, noch in Grünsfeld verbliebenen Juden heißt es in dem folgenden Augenzeugenbericht: „ ... Was kurz nach Ausbruch des Krieges an einem Sonntagnachmittag sich hier abspielte, muß der Nachwelt als etwas Schändliches überliefert werden. ... Im ‘Gasthaus zum Bären’, das damals der Sammelpunkt der Nazis war, hielt man eine Versammlung, bei der Kreisleiter Schmidt sprach, deren Ergebnis eine schmähliche Verfolgung der Juden war. Gegen Abend wälzte sich ein Volkshaufen, darunter fast die ganze Jugend, die Straße herauf an der Spitze einige in SA- und SS-Uniformen mit Gewehren bewaffnet und eine Peitsche schwingend. Neben dem Pfarrhaus, wo eine Kaufmannsfamilie namens Rosenbaum wohnte, wurde Halt gemacht. Im Nu war der ganze Kirchplatz von einer johlenden Menge besetzt. Die bewaffneten Nazis drangen in die Wohnung der genannten Familie ein, holten Herrn Rosenbaum, seine ... Frau und die ... Tochter unter dem Hohngelächter und Geschrei der fanatisierten Menge heraus. der Tochter hatte man ein Plakat umgehängt mit der Aufschrift “Wir sind schuld am Kriege.” So zog man vor jedes Haus, in dem Juden wohnten, trieb sie ... zusammen, peitschte sie mehrmals durch die ganze Hauptstraße, führte sie zum Stadtbrunnen, warf sie ins Wasser, trat auf ihnen herum und sperrte sie schließlich alle zusammen durchnäßt und frierend in ein kleines Judenhäuschen hinter der Kirche. Der Vorgang im Stadtbrunnen wurde die ‘Judentaufe’ genannt. Und einer der Hauptnazis ... äußerte sich: ‘Dies ist der schönste Tag meines Lebens gewesen’.(aus: Elmar Weiß, Geschichte der Stadt Grünsfeld, S. 579)

Zusammen mit Tausenden anderen badischen und pfälzischen Juden wurden Ende Oktober 1940 fünf jüdische Bürger Grünsfelds nach Gurs deportiert; zwei blieben vorläufig noch zurück, wurden aber 1942 auch deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 19 gebürtige bzw. längere Zeit in Grünsfeld ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/gruensfeld_synagoge.htm).

       Gedenkstein in Grünsfeld Am Mahnmal-Projekt von Neckarzimmern - zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden nach Gurs - haben Mitglieder eines Projektgruppe in Grünsfeld ihren Beitrag geleistet (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

Am Stadtbrunnen in Grünsfeld ist die Doublette des Steins in eine kleine Gedenkstätte integriert (Aufn. G., 2019, aus: wikipedia.org, CCO).

 

Am ehemaligen Wohnhaus der jüdischen Familie Rothschild (Abt-Wundert-Straße) erinnert seit jüngster Zeit eine Gedenktafel an den jüdischen Viehhändler Simon Rothschild, seine Frau Rosa und seine acht Kinder; von den acht erwachsenen Kindern konnten sieben sich ins Ausland (Paraguay und Palästina) retten. Im Gehwegpflaster wurden hier auch sog. „Stolpersteine“ verlegt. Zukünftig sollen dann noch weitere Gedenkquader in die Fußwege Grünsfelder Straßen eingefügt werden, die an diejenigen jüdischen Bewohner erinnern, die nach Gurs deportiert wurden und ums Leben kamen. Auch für „Euthanasie“-Opfer könnten demnächst „Stolpersteine“ verlegt werden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Sauer, Dokumente über die Verfolgung der jüdischen Bürger, in: "Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg", Band 17/1966

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Band 19, Stuttgart 1968, S. 117

Elmar Weiß, Jüdisches Schicksal im Gebiet zwischen Neckar und Tauber, o.O., 1979

Elmar Weiß, Die Geschichte der Juden in Grünsfeld, in: E. Weiß, Geschichte der Stadt Grünsfeld, Grünsfeld 1981, S. 553 - 581

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 342/343

Grünsfeld, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 165/166

Ulrich Feuerstein (Red.), Gedenkstein am Stadtbrunnen soll an „Judentaufe“ erinnern, in: "Fränkische Nachrichten" vom 5.5.2015

Ulrich Ffeuerstein (Red.), Ein Mahnmal für die Gerechtigkeit, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 20.10.2015

Ulrich Feuerstein (Red.), Opfern ihre Würde zurückgeben – Mahnmal erinnert an die vor 75 Jahren deportierten jüdischen Mitbürger, in: „Fränkische Nachrichten“ vom 24.10.2015

Matthias Ernst (Red), Grünsfeld bekommt einen Stolperstein, in: „Main-Post“ vom 29.7.2020

Ulrich Feuerstein (Red.), Gedenktafel erinnert an das Schicksal der Familie Rothschild in: „Main-Post“ vom 4.12.2020

Ulrich Feuerstein (Red.), Allersheim. Stolpersteine und Restaurierung: Erinnerungskultur in Grünsfeld, in: „Main-Post“ vom 11.10.2021

Israel Schwierz (Red.), Grünsfeld gedenkt. Stolpersteinverlegung im Gedenken an die früheren jüdischen Bürger von Grünsfeld, in: haGalil.com vom 1.11.2021