Leutershausen/Altmühl (Mittelfranken/Bayern)

Datei:Leutershausen in AN.svg Die Kommune Leutershausen ist heute Zentrum einer Großgemeinde im mittelfränkischen Landkreis Ansbach, die in 49 Ortsteilen derzeit mehr als 5.000 Einwohnern zählt (Kartenskizze 'Landkreis Ansbach', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Erste urkundliche Hinweise auf die Existenz von Juden in Leutershausen stammen aus dem Ende des 15.Jahrhunderts. Im Laufe des folgenden Jahrhunderts gewährte der Ansbacher Markgraf Georg der Fromme (1515-1543) weiteren jüdischen Familien zeitlich befristete Bleiberechte; danach erschwerten sog. „Ausschaffungsmandate“ die längerfristige Ansiedlung jüdischer Bewohner. Unter der Regentschaft des Markgrafen Joachim Ernst (1603-1625) wurde einigen Familien gegen Schutzgeldzahlungen eine dauerhafte Ansässigkeit in Leutershausen gestattet. Doch Plünderung und Brandschatzung während des Dreißigjährigen Krieges dezimierten die Zahl der Bewohner. 1659 lebten in Leutershausen nur noch fünf jüdische Familien.

Viehhandel und Geldgeschäfte waren die Haupterwerbszweige der Leutershausener Juden; wie Urkunden belegen, war ihre Ansässigkeit im Ort bei der hiesigen Bevölkerung nicht unumstritten. Der Versuch, die jüdischen Familien 1682 aus der Ortschaft zu vertreiben, scheiterte aber am Widerstand des Schutzherrn Markgraf Johann Friedrich, der ihnen ein „Patent: den Juden zu Leutershausen, daß sie wieder die Burgerschafft alda geschüzet werden sollten” ausstellte.

Als Synagoge diente der Leutershausener Judenschaft seit ca. 1720 ein angekauftes Wohnhaus.

Gebäude am Markt - einst Standort des Betraums (hist. Aufn., um 1920)

Etwa 30 Jahre später wurde ganz in der Nähe in der Unteren Marktgasse eine neue Synagoge gebaut. Im Gebäude befand sich auch eine Mikwe; diese wurde dann durch zwei Kellermikwen ersetzt, die in Privathäusern eingerichtet worden waren.

          http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20247/Leutershausen%20Synagoge%20110.jpg hist. Innenansicht der Synagoge, um 1930 (aus: Th. Harburger)

Die jüdischen Kinder besuchten die hiesige christliche Schule; Religionsunterricht wurde in einem Raume des Synagogengebäudes erteilt. Wie die zahlreichen, in der Zeitschrift „Der Israelit“ aufgeführten Stellenangebote zeigen, war die Besetzung der Lehrer/Vorbeterstelle einem häufigen Wechsel unterworfen:

aus: "Der Israelit“ vom 28.8.1872 u. 18.5.1885 

 aus: „Der Israelit“ vom 18.7.1907 u. 9.1.1919

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden in Bechhofen, dem jüdischen Verbandsfriedhof für die ansbachische Landjudenschaft, beerdigt. 

Die wenigen jüdischen Familien im nahen Wiedersbach gehörten der hiesigen Kultusgemeinde an.

Nach derr 1920 erfolgten Zusammenlegung mit der sich auflösenden Jochsberger Gemeinde wurden dann 1932 die Juden Leutershausens verwaltungsmäßig der Kultusgemeinde Feuchtwangen angeschlossen.

Juden in Leutershausen:

         --- um 1660 .......................   5 jüdische Familien,

    --- 1714 ..........................  13     “       “    ,

    --- um 1760 .......................  23     “       “    ,

    --- um 1790 .......................  16     “       “    ,

    --- 1802 ..........................  29     “       “    (ca. 120 Pers.),

    --- 1821 ..........................  23     “       “    ,

    --- 1867 ..........................  13     “       “    (ca. 65 Pers.),

    --- 1892 .......................... 125 Juden,

    --- 1898 ..........................  81   “  (ca. 5% d. Bevölk.),

    --- 1900 ..........................  62   "  (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1910 ..........................  56   “  ,

    --- 1925/26 .......................  54   “  (in 17 Familien),

    --- 1933 ..........................  32   “  ,

    --- 1938 (Jan.) ...................  21   “  ,

             (Dez.) ...................  ein  “ (),

    --- 1939 (Febr.) ..................  keine.

Angaben aus: Karl Ernst Stimpfig, Die Juden in Leutershausen, Jochsberg, Colmberg und Wiedersbach

 

Bei der Erstellung der Matrikellisten (1815) sind für Leutershausen 29 jüdische Familienvorstände aufgeführt. Der Großteil der Leutershausener Juden lebte im 19.Jahrhundert in bescheidenen Verhältnissen; so gab es nach einer 1811 angefertigten Aufstellung neben dem Lehrer und Vorsänger fünf Handelsleute und elf „Schmuser“, die gegen nur geringes Entgeld Handelsgeschäfte vermittelten. Die in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts allgemein stattfindende Auswanderungswelle machte auch vor der jüdischen Gemeinde Leutershausen nicht Halt (siehe obige Statistik zur Demografie); eine Folge war die zunehmende Verschuldung der Gemeinde.

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts verdienten die Juden Leutershausener Juden ihren Lebensunterhalt im Vieh-, Güter- und Schnittwarenhandel.

Bereits vor der NS-Machtübernahme war der Einfluss der Nationalsozialisten in Leutershausen relativ groß; nächtliche Umzüge von SA-Angehörigen, die antijüdische Parolen wie "Juda verrecke" lautstark skandierten, und erste Gewalttätigkeiten gegen jüdische Einwohner waren zu verzeichnen. So hieß es in einem Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 5. Febr. 1931: "Nürnberg. Der in Nürnberg erscheinende 'Stürmer' sah es besonders auf die Juden im fränkischen Städtchen Leutershausen ab. Die gegen sie losgelassenen schweren Beschimpfungen und Verleumdungen wurden in Massenauflagen in der Gegend verbreitet und in jedes Haus bis zum letzten Dorfe getragen, so daß sich die Juden der Ortschaft kaum noch hinaustrauten. Die Juden erhoben Anklage, und der Redakteur Holz wurde vom Amtsgericht zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt. ...“

Im Jahre der NS-Machtübernahme lebten noch ca. 30 jüdische Personen in Leutershausen. In der Folgezeit sind dann die jüdischen Gemeindeangehörigen auf Grund der Folgen des Wirtschaftsboykotts und der vermehrt auftretenden Repressalien verzogen bzw. emigriert.

Schon vor dem Novemberpogrom von 1938 hatten die meisten jüdischen Bewohner - unter dem Eindruck weiterer Ausschreitungen - panikartig Leutershausen meist in Richtung Fürth verlassen. Die Kommunalverwaltung drang darauf, dass Juden ihren Immobilienbesitz verkauften. Die Synagoge war bereits im Oktober 1938 (!) von Ortsbewohnern gestürmt und das Inventar zerstört worden. Mitte November wurde das Synagogengebäude mitsamt dazugehörigen Grundstücken für einen Gesamtpreis von 500 (!) Reichsmark an die Stadt „verkauft“. In den folgenden Jahren nutzte die Kommune das Gebäude u.a. als Lagerhalle; Mitte der 1950er Jahre wurde es an Privatleute verkauft, die es zu einem Wohnhaus umbauten. Der letzte jüdische Bewohner Leutershausen verließ Mitte Februar 1939 den Ort in Richtung München.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich sind 27 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Leutershausener Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/leutershausen_an_synagoge.htm).

Vor dem Landgericht Ansbach fand im Herbst 1947 ein Prozess gegen elf an den Ausschreitungen vom Oktober 1938 Beteiligte statt; acht Angeklagte wurden schuldig gesprochen und zu Haftstrafen verurteilt.

 

Nach Kriegsende kehrte kein ehemals in Leutershausen ansässiger jüdischer Bewohner hierher zurück.

Das Synagogengebäude an der Unteren Marktgasse ist heute noch erhalten und wurde lange Zeit als Wohnhaus bzw. zu gewerblichen Zwecken genutzt.

Die Aufstellung eines Mahnmals, das an die einstigen jüdischen Bewohner Leutershausens erinnern soll, ist von dem Stadtrat über lange Jahre hinweg abgelehnt bzw. eine Entscheidung darüber vertagt worden. Anlässlich der 1000-Jahr-Feier Leutershausens (2000) wurde eine Gedenktafel am Rathaus, dem ehemaligen Wohnhaus der jüdischen Familie Ansbacher, enthüllt; diese trägt die Worte: „Wir gedenken der Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens, die bis 1938 in unserer Stadt lebten. Stadt Leutershausen.“

siehe dazu auch: Jochsberg (Bayern)

 

Hinweis: Im gleichnamigen Leutershausen a.d. Bergstraße (Baden-Württemberg) gab es auch eine israelitische Gemeinde  (vgl. dazu:  Leutershausen/Baden-Württemberg).

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 195/196

Konrad Bickert, Alt-Leutershausen und seine Ortsteile, 2 Bände, Leutershausen 1987/1998

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 175

Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 379

Konrad Bickert, Unterlagen für eine Dokumentation über Juden in Leutershausen, Jochsberg, Wiedersbach und Franken, Maschinenmanuskript 1999

Karl Ernst Stimpfig, Die Juden in Leutershausen, Jochsberg, Colmberg und Wiedersbach. Eine Dokumentation, 2.Aufl., Leutershausen 2001

B. Eberhardt/F. Purrmann, Leutershausen, in: "Mehr als Steine ..."  Synagogen-Gedenkband Bayern, Band II: Mittelfranken, Kunst Verlag Josef Fink, Lindenberg 2010, S. 404 - 415

Henry Kissinger in Leutershausen, in: „Mitteilungsblatt der Stadt Leutershausen/Mittelfr.“ vom 21.5.2010

Leutershausen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Evang. Kirchengemeinde Leutershausen, Jüdisches Leben in Leutershausen und seinen Dörfern (2015), online abrufbar unter: dekanat-leutershausen.de

Stefanie Fischer, Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919 – 1939, in: A.Brämer/M.Rürup (Hrg.), Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Band XLII, Wallstein Verlag Göttingen 2014

U. Brühschwein (Red.), Würdige Gedenkstätte für ermordete jüdische Mitbürger, in: "FLZ - Fränkische Landeszeitung“ vom 26.3.2018