Osterberg (Schwaben/Bayern)

Datei:Osterberg in NU.svg Osterberg liegt ca. 20 Kilometer nördlich von Memmingen im Landkreis Neu-Ulm in Grenzlage von Bayern und Württemberg (Karte 'Oberschwaben', M. Dörrbecker, aus: wikipedia.org/wiki/Oberschwaben#/media/File:Map_Upper_Swabia_(Oberschwaben).png  und  Kartenskizze 'Landkreis Neu-Ulm', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts erreichte die hiesige israelitische Gemeinde ihren personellen Zenit und stellte damals zeitweilig ca. 20% der Einwohnerschaft.

Erste Spuren jüdischen Lebens im Dorf Osterberg lassen sich bereits im 16.Jahrhundert finden; zumeist waren es jüdische Viehhändler, die in den Ort gekommen waren, um mit den hier ansässigen Bauern Geschäfte zu machen. Im 17.Jahrhundert sollen mindestens zwei jüdische Familien am Ort gewohnt haben. Die Existenz einer jüdischen Kultusgemeinde kann aber erst Anfang des 19.Jahrhunderts nachgewiesen werden; 1802 entschloss sich der Reichsfreiherr Anselm von Osterberg, „in seiner freien Reichsherrschaft unterhalb des Marktfleckens Osterberg eine Ortschaft anzulegen, und darin Juden zu etablieren und in Schutz aufzunehmen. Von der Ansiedlung jüdischer Familien versprach sich dieser eine Belebung des Handels in der Region; zudem füllten die von den Juden zu leistenden Abgaben die Kasse des Schutzherrn.

                 In einem am 7.Juli 1802 abgefassten, sehr detaillierten "Judenschutzvertrag" hieß es u.a.:

Die Juden dürfen sich des Schutzes so lange versichert halten, als im Reich Juden geduldet werden. Sie dürfen ungehindert ihre Religion ausüben. Streitigkeiten außer Verbal- und Realinjurien unterstehen ihrer eigenen Gerichtsbarkeit, ebenso Schulklagen Jud gegen Jud. ... Sie dürfen christliche Sabbatmägde dingen, eine eigene Synagoge erbauen, für die sie einen jährlichen Grundzins von 4 fl. zu zahlen haben. ... Ihre Toten dürfen sie auf einem unentgeltlich anzuweisenden, 40 Quadratschuh großen Platz begraben, den sie einzäunen müssen. ... Sollte es sich ereignen, dass ein Todesfall an einem Feiertag geschieht, wo auch Christen zugleich Feiertag haben, so sollen die Christen die Erlaubnis haben, die Totenbahre und das Grab gegen Bezahlung zu machen. ... Zur Dauch der Judenweiber ... soll ein Brunnenwasser hergeleitet werden; das läßt die Herrschaft besorgen ...  Sie dürfen mit allen handeln außer Bier und Branntwein, doch ohne Erlaubnis keine christlichen Häuser oder Grundstücke kaufen noch besitzen ... Sie dürfen ihre Rabbiner und Schulmeister selbst wählen oder einen benachbarten kommen lassen. Diese sollen von Bezahlung des Schutzgeldes befreit sein, müssen aber alle Sabbat für die Ortsherrschaft das gewöhnliche Gebet verrichten. ... Die Judenschaft ist von der Gemeinde ganz unabhängig, hat also weder Bürger- noch Weiderecht, kann aber auch nicht zu Steuern, Rekrutierung usw. herangezogen werden. ... Die Herrschaft wird die Wohnungen selbst bauen lassen und nach Vollendung den Bau den Juden überlassen, wofür die Hälfte des Kaufschillings ... bar gegeben, die andere in Zielen zu 5 Prozent verzinslich mit jährlich 20 fl. abgetragen werden muss. ...  Es sollen bis zu 50 Judenehen bestehen dürfen, bei weiteren Aufnahmen wird vor allem auf guten Leumund gesehen; das Schutzgeld beträgt 11 fl. und ist vierteljährlich abzuliefern. ... Die Juden dürfen Vieh schlachten und haben von jedem Stück die Zunge oder 12 kr, von Kälbern oder Schafen 3 kr. abzuliefern ... Wer auswärts etwa begeht, das die Osterbergische Judenschaft in üblen Ruf bringt, der wird des Schutzes entlassen oder gebührend bestraft.

... Der Schutzbrief ist jährlich vorzulesen, wobei jeder, der über 13 Jahre alt ist, zugegen sein muß. ...

aus: Hermann Rose, Geschichtliches der Israelitischen Kultusgemeinde Altenstadt 1931, S. 90 f.

Auch als Osterberg an Bayern fiel, durfte der Reichsfreiherr weiterhin Juden Aufnahme gewähren; dem kam er nach, indem er 1809/1810 insgesamt 26 jüdische Familien ansiedelte; bis 1830 folgten weitere, womit alle Matrikelstellen voll ausgeschöpft waren; fast 20% der Dorfbewohner waren damals mosaischen Glaubens; die Mehrzahl wohnte in einer der drei "Judengassen". (vgl. dazu Namenslisten der dort lebenden Familien in: Osterberg, in: alemannia-judaica.de)

Ansicht von Osterberg (Darstellung aus dem 19.Jahrhundert)      *Der Pfeil markiert den Standort der Synagoge

Ihren Lebensunterhalt verdienten sie im Handel mit Vieh und Getreide sowie mit Manufaktur- und Metallwaren; sie zogen zumeist als Kleinhändler und Hausierer über das Land.

Im Laufe des 19.Jahrhunderts ging dann der wenig ertragreiche Hausierhandel immer mehr zu Gunsten des Großhandels zurück; die Vermarktung der bäuerlichen Produktion und die Versorgung der Landwirte mit industriell gefertigten Produkten waren nun hauptsächlich die Tätigungsfelder der jüdischen Händler.

Eine Synagoge wurde in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts gebaut; auch ein jüdisches Schulhaus war vorhanden.

Die Toten der Osterberger Judenschaft wurden zunächst in Illereichen und in Fellheim begraben; um 1840 wurde ein eigenes Begräbnisareal an einem Hang am Ortsrande angelegt; die letzte Beisetzung fand hier 1906 statt.

Zusammen mit Altenstadt bildete Osterberg ein eigenes Rabbinat; mit dem Tode des letzten Rabbiners 1870 wurde Osterberg an das Rabbinat Augsburg angeschlossen.

Juden in Osterberg:

         --- um 1550/70 ...................  2 jüdische Familien,

    --- 1805 .........................  3     “       “    ,

    --- 1809 ......................... 29     “       “    (ca. 110 Pers.)

    --- 1819 ......................... 39     “       “    ,

    --- 1824 ......................... 42     “       “    (ca. 20% der Bevölk.),

    --- 1865 ..................... ca. 30     “       “    ,

    --- 1887 .........................  3     “       “    ,

    --- 1908 .........................  eine  “       “  ().

Angaben aus: Ute Ecker-Offenhäusser, Jüdisches Leben in Osterberg

 

Mit dem Wegfall des Matrikelparagraphen in Bayern 1861 setzte auch in Osterberg die Abwanderung jüdischer Familien in die städtischen Zentren, nach Augsburg und Memmingen ein; innerhalb kürzester Zeit reduzierte sich die jüdische Bevölkerung erheblich; zu Beginn der 1870er Jahre setzten sich die drei Gemeinden Altenstadt, Fellheim und Osterberg nur noch aus etwa 80 Angehörigen zusammen.

  

Stellenanzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3.Dez. 1862 und vom 19.April 1871

Ende des 19.Jahrhunderts löste sich die jüdische Gemeinde Osterberg auf. Die Synagoge und das jüdische Schulhaus wurden verkauft, das Synagogengebäude alsbald abgerissen. 1908 war in Osterberg nur noch eine einzige jüdische Familine wohnhaft.

Die Zeiten überdauert haben in Osterberg Flurnamen wie "Am Judengraben" oder "Am Judenweg" sowie die drei "Judengassen", die von der südlichen Hauptstraße nach Osten abzweigen.

Heute erinnern zum einen die ca. 45 Grabsteine des in einem Waldgebiet versteckt liegenden jüdischen Friedhofs und zum anderen Flurnamen wie „Am Judengraben“ und „Am Judenweg“ an die hier im 19.Jahrhundert lebende Dorfjudenschaft.

   Teilansichten des Friedhofs und Grabstein des Schimschon haKohen

(Aufn. J. Hahn, 2004  und  M., 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und Jüdisch-Historischer Verein Augsburg)

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Rose, Geschichtliches der Israelitischen Kultusgemeinde Altenstadt, 1931

Hermann Rose, Über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Osterberg (Aufsatz), in: "Bayrische Israelitische Gemeindezeitung" vom 1.12.1932

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München 1979, S. 490

Gabriele Lischewski, Der jüdische Friedhof in Osterberg. Bestandsaufnahme 1988, Hrg. Landkreis Ulm 1988

Gernot Römer, Schwäbische Juden. Leben und Leistungen aus zwei Jahrhunderten, Augsburg 1990

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 275/276

Peter Fassl (Hrg.), Dokumentation zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben. II. Hausbesitz um 1835/40, Augsburg 1993, S. 166 - 169

Osterberg/Schwaben, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Osterberg/Schwaben, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 15.Jg., 84/2000, S. 13

Ute Ecker-Offenhäusser, Jüdisches Leben in Osterberg - die Entwicklung der israelitischen Kultusgemeinde, in: Peter Fassl (Hrg.), Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben II, Irseer Schriften, Band 5, S. 175 ff., Verlag Thorbecke, Stuttgart 2000

Erich J. Geßner, Altenstadt und Osterberg: Sammelband zur Geschichte jüdischer Gemeinden im Landkreis Neu-Ulm, Hrg. Landkreis Neu-Ulm, 2.Aufl., Neu-Ulm 2001

Rolf Hofmann (Bearb.), Family Sheet Moses Binswanger of Huerben + Osterberg, in: HarburgProject (demografische Angaben zur Fam. Binswanger)

Ralph Manhalter (Red.), Wo die jüdische Gemeinde in Osterberg Spuren hinterließ, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 5.12.2019

Anton Zanker (Hrg.), Die Juden im Illertal, Verlag Books on demand 2021