Remagen/Rhein (Rheinland-Pfalz)

Datei:Landkreis mayen.jpg Bildergebnis für landkreis ahrweiler ortsdienst karte Das linksrheinische Remagen ist eine Kommune mit derzeit ca. 16.000 Einwohnern im Landkreis Ahrweiler; die Stadt grenzt im Norden an den Stadtbezirk Bonn-Bad Godesberg (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Ahrweiler', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/landkreis-ahrweiler).

 

Ob es bereits vor 1300 eine jüdische Gemeinde in Remagen gegeben hat, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden; doch urkundlich bestätigt ist die Tatsache, dass einzelne Remagener Juden dem Pestpogrom von 1349 zum Opfer gefallen sind. Nach den Verfolgungen der Pestzeit lebten vermutlich fünf Jahrzehnte später wieder Juden in der Stadt; 1424 konnten sich hier auch einige aus Köln vertriebene Juden niederlassen; Schutzbriefe bestätigten den wenigen Juden ein Wohnrecht im Ort.

Danach liegen einzelne urkundliche Belege für die Existenz von Juden in Remagen erst wieder aus der Zeit gegen Ende des 17./Anfang des 18.Jahrhunderts vor. Eine regelrechte Gemeindeorganisation bestand zunächst nicht; so mangelte es z.B. an würdiger Abhaltung des Gottesdienstes und an regelmäßigem Religionsunterricht. So klagte 1839 der Vorsteher der jüdischen Gemeinschaft Remagens: „ ... [Das Fest der Torafreude] ... wurde seit Jahren durch das mißbräuchliche Essen und Trinken während der Dauer des Gottesdienstes entheiligt, wodurch nicht selten unanständiges Betragen in der Synagoge geäußert wurde.” Um einen Synagogenbau erstellen zu können, wurde 1863 eine „Hauskollekte bei den jüdischen Glaubensgenossen der Rheinprovinz“ durchgeführt, zwei Jahre später ein Grundstück Ecke Grabenstraße/An der Stadtmauer erworben und mit dem Bau begonnen. Finanzielle Engpässe führten aber zu Verzögerungen in der Bauerstellung; im August 1869 konnte schließlich die neue Synagoge eingeweiht werden; die Kommune hatte einen Baukostenzuschuss gewährt.

  Synagoge in Remagen (hist. Aufn. um 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

                  Über die Einweihung berichtete die „Bonner Zeitung” am 27.Aug. 1869:

„... Die israelitische Gemeinde dahier beging am Freitag, den 20.d.M., und an den darauffolgenden beiden Tagen das Fest der Einweihung ihrer neuen Synagoge. Am erstgenannten Tage, Nachmittags 3 Uhr, begaben sich die Gemeinde-Mitglieder nebst den beiden Festrednern, den Rabbinern Herrn Auerbach aus Bonn und Herrn Ben Israel aus Koblenz, in die seitherige Synagoge. Hier wurden nach Beendigung des Abschiedsgottesdienstes die Thora-Rollen aus ihrer Lade genommen und im Festzuge nach der neuen Synagoge getragen. ... Hierauf erschienen im Zuge die Herren Bürgermeister von Remagen und Sinzig, gefolgt von den Herren Stadtverordneten, verschiedenen Ehrengästen, dem Vorstande und den übrigen Mitgliedern der israelitischen Gemeinde. Sämtliche Häuser der Straßen, durch welche der Zug sich bewegte, so wie das städtische Rathaus, waren festlich geflaggt und hat auch hierin wieder die Bevölkerung von Remagen ihren gesunden Bürgersinn, der über mittelalterliche Vorurtheile sich hinwegsetzt, aufs trefflichste bekundet. ... An den beiden folgenden Tagen fanden nach dem Gottesdienste Koncerte und Festbälle in glänzender Weise statt, an denen sich außer den Bewohnern von Remagen eine große Anzahl geladener fremder Gäste betheiligte. ... Die ganze Festlichkeit verlief unter günstigster Witterung in der heitersten und feierlichsten Weise, ... Der israelitischen Gemeinde aber, so wie den übrigen Einwohnern Remagens wird dies schöne und seltene Fest noch lange in angenehmer Erinnerung bleiben.”

 

Eine kleine jüdische Schule mit eigenem Lehrer gab es in Remagen bereits um 1815; später besuchten die jüdischen Kinder teilweise die evangelische Schule, teilweise wurden sie auch von Privatlehrern unterrichtet. Religionsunterricht wurde immer von einem jüdischen Lehrer erteilt, der zeitweilig auch in Sinzig und Neuenahr tätig war.

 

Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. November 1886 und vom 4.April 1904

Der erste in Remagen existierende jüdische Friedhof „Auf der Heide” lag etwa zwei Kilometer vom Ortszentrum entfernt; die ältesten Grabsteininschriften stammen aus der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts. Ein neues Friedhofsgelände wurde dann um 1890 an der Alten Straße in Nutzung genommen.

Zur jüdischen Gemeinde Remagens gehörten auch die Juden aus Oberwinter. Die jüdische Gemeinde in Remagen bildete Mitte der 1920er-Jahre mit der Gemeinde in Sinzig einen gemeinsamen Synagogenbezirk, zu dem auch die wenigen in Löhndorf und Bodendorf lebenden Familien zählten.

Juden in Remagen:

         --- 1724 ...........................  4 jüdische Familien,

    --- 1806/08 ........................ 21 Juden,

    --- 1822 ........................... 37   “  ,

    --- 1858 ........................... 62   “  ,

    --- 1863 ........................... 18 jüdische Familien,*      * Synagogengemeinde

    --- 1895 ........................... 44 Juden,

    --- 1925 ........................... 31   “  ,

    --- 1932/33 ........................ 25   “  ,

    --- 1940 ........................... 15   “  ,

    --- 1942 (Aug.) .................... keine.

Angaben aus: Michael Schmitz (Bearb.), Remagen, in: Hans Warnecke (Hrg.), Zeugnisse jüdischen Lebens ... , S. 129 f.

Ansichtskarte / Postkarte Remagen am Rhein, Gesamtansicht | akpool.de Remagen, Aufn. 1920er Jahre (Abb. aus: akpool.de)

 

Die meisten Juden Remagens waren als Geschäftsleute tätig; ihre Läden lagen entlang der Hauptstraße. Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch wenige jüdische Familien in der Kleinstadt.

Am Morgen des 10.November 1938 zündeten angeblich auswärtige SS-Leute das Synagogengebäude an; die herbeigerufene Feuerwehr schützte nur die umliegenden Gebäude, sodass die Synagoge völlig niederbrannte.

Anm.: Wenig später wurde das Synagogengrundstück von der Postdirektion Koblenz erworben. Anfang 1945 wurde die Brandruine zusammen mit den durch Bomben zerstörten Nachbarhäusern abgebrochen.

Ende April und Mitte Juli 1942 wurden die verbliebenen Remagener Juden deportiert; zunächst verbrachte man sie auf das Schloss Brohleck in Brohl; von dort aus wurden sie - gemeinsam mit anderen Juden aus der Region - „in den Osten umgesiedelt”. Am 22.Juli 1942 teilte der Remagener Amtsbürgermeister dem Landrat in Ahrweiler mit, dass „nunmehr im hiesigen Bezirk keine Juden mehr vorhanden” wären.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind insgesamt 28 gebürtige bzw. längere Zeit in Remagen lebende jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/remagen_synagoge.htm).

 

Über die Errichtung eines Denkmals für die jüdischen NS-Opfer von Remagen gab es in der Kleinstadt längere Diskussionen; auch der letzte Versuch eines Initiativkreises scheiterte am Widerstand der Remagener Stadtverwaltung. Schließlich beließ man es bei der 1989 angebrachten, unscheinbaren Inschriftentafel am heutigen Feuerwehrgerätehaus der Stadt Remagen; diese erinnert an die ehemalige jüdische Gemeinde des Ortes mit folgendem Text:

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand die Synagoge der kleinen Jüdischen Gemeinde von Remagen.

Sie wurde mit Unterstützung der Zivilgemeinde zwischen 1865 und 1869 errichtet.

In der sogenannten “Kristallnacht” am 9.November 1938 brannte sie ab.

Seit 1999 erinnerte auf dem Römerplatz ein gläsernes Kunstwerk von Horst Mölleken an die einstige jüdische Gemeinde Remagens und deren Synagoge. Dieses Denkmal, das im Jahre 2000 umstürzte und zerbrach, wurde 2003 durch ein neues der Künstler Gregor Caspers und Markus Münzer ersetzt, das einen verformten Davidstern auf einem Lavastein zeigt; daneben befindet sich eine schlichte Gedenktafel.

 Mahnmal "Verformter Davidstern" (Aufn. E., 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Seit 2008 erinnern vor zwei Gebäuden in der Marktstraße sog. „Stolpersteine“ an neun Remagener Juden, die 1942 deportiert und ermordet wurden; in der Bachstraße findet man drei weitere Steine - verlegt 2012.

 Stolpersteins Fanny Marx, Franziska Heumann, Henriette Marx, Max Marx, Alice Marx, Marktstraße 59, Remagen Stolpersteins John Fassbender, Else Fassbender, Gerd Heinz Fassbender, Inge Fassbender, Marktstraße 60, Remagen

"Stolpersteine" in der Marktstraße (Aufn. J. Schugt, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY 4.0)

Der im Wald gelegene alte jüdische Friedhof weist heute noch etwa 20 Grabsteine auf, die zumeist aus dem 19.Jahrhundert stammen. Auf dem neuen jüdischen Friedhof (Alter Weg/Schillerstraße) haben ca. 25 Steine überdauert.

Remagen Alter jüdischer Friedhof 917.JPGhttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20124/Remagen%20Friedhof%20n185.jpg

Alter und neuer jüdischer Friedhof von Remagen (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und J. Hahn, 2007)

 

 

In Oberwinter - heute ein Ortsteil von Remagen - sind seit dem 15.Jahrhundert einzelne Juden nachweisbar, die sich aber nur vorübergehend hier aufgehalten haben. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts wohnten maximal 25 Juden in Oberwinter; fast alle waren Metzger und Viehhändler und lebten in recht ärmlichen Verhältnissen.

                      Geschäft der jüdischen Metzgerei Meyer (hist. Aufn.)

Im Ort gab es ein kleinflächiges Beerdigungsgelände; ein weiteres Areal war seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts in Rolandseck vorhanden; es ersetzte vermutlich den Friedhof von Oberwinter. Die Juden Oberwinters gehörten - neben acht weiteren Orten - dem 1859 gebildeten Synagogenverband Sinzig an. In den 1920er Jahren haben keine Juden mehr in Oberwinter gelebt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Klaus Flink, Chronik der Stadt Remagen von 1813 - 1879, in: "Schriftenreihe Rigomagus", Heft 3, Remagen 1972

Leonard Janta, Auf dem Weg zur “Reichskristallnacht” - Zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Kreis Ahrweiler, in: "Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1988", S. 215 - 266

Leonard Janta, Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz, in: Landkreis Ahrweiler (Hrg.), Studien zur Vergangenheit und Gegenwart, Band 2, Bad Neuenahr/Ahrweiler 1989, S. 215 und S. 235

Hans Kleinpass, Die Einweihung der Synagoge in Remagen anno 1869, in: "Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1991", S. 111 - 115 (auch vorhanden als PDF-Datei unter: kreis-ahrweiler.de/kvar/VT/hjb1991/hjb1991.28.htm)

Kurt Kleemann, Zur Geschichte der Synagoge in Remagen, unveröffentlichtes Manuskript, 1996

Michael Schmitz, Remagen, in: H. Warnecke (Hrg.), Zeugnisse jüdischen Lebens im Kreis Ahrweiler, Bad Neuenahr-Ahrweiler 1998, S. 129 - 145

Udo Bürger, Zum Erziehungswesen der Juden im Kreis Ahrweiler und zu den Synagogenverhältnissen allgemein, in: "SACHOR - Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Bad Kreuznach 1996, S. 16 f.

R.Menacher/H.-U.Reiffen, Sinzig, in: Hans Warnecke (Hrg.), Zeugnisse jüdischen Lebens im Kreis Ahrweiler Bad Neuenahr-Ahrweiler 1998, S. 154/155

Remagen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “ . Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 317/318

Gisela Ries,„Und bin ich auch ein Israelit...“ Geschichte der Familie Moritz Fassbender aus Remagen, Remagen 2007 (Neubearbeitung 2013)

Ute Metternich (Bearb.), Jewish Life in the Community of Oberwinter in the Rhine Valley, Leo Baeck-Institut New York, 2007

Petra Oichs (Red.), Mahnende Familiensaga, in: "Rhein-Zeitung“ vom 23.4.2008

Ute Metternich, Jüdisches Leben in der Gemeinde Oberwinter am Rhein, in: "Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2009", S. 172 - 175

Rudolf Menacher, Stolpersteine gegen das Vergessen, in: "Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2010", S. 218 – 220

Auflistung der in Remagen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Remagen

Ute Metternich, Abendstern und Schabbeslämpchen. Juden von Oberwinter vom 14. - 20. Jahrhundert, hrg. von der Vereinigung Rathaus Oberwinter und Archiv e.V., Remagen-Oberwinter 2012

Marie-Christine Metternich, Die "Chewra Kadischa" in Remagen. Der "heilige Verein" diente sozialen Zwecken, in: "Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler 2012", S. 131