Einführung
Im November 2018 jährte sich zum 80.Male der Tag, an dem in Deutschland Synagogen brannten und jüdische Friedhöfe geschändet wurden, unzählige jüdische Bürgerinnen und Bürger misshandelt, Geschäfte geplündert und ausgeraubt und Zehntausende jüdischer Männer für Tage, Wochen und Monate in Konzentrationslager verschleppt wurden, wo etliche dem NS-Terror zum Opfer fielen. Organisiert vom nationalsozialistischen Regime markierten diese Tage den Übergang von der Diskriminierung und Ausgrenzung der deutschen Juden seit 1933 hin zur systematischen Verfolgung, die wenige Jahre später im Holocaust an den europäischen Juden mündete.
Die Novemberpogrome – im Volksmund verharmlosend „Reichskristallnacht“ bezeichnet – hatte ich am 70.Jahrestag (2008) als geeigneten Zeitpunkt empfunden, um mit der Publizierung eines Lexikons zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum an die Öffentlichkeit zu gehen und dem Vergessen entgegen zu treten. Denn über viele Jahrhunderte hinweg haben Menschen israelitischen Glaubens ihre Spuren in der deutschen Geschichte hinterlassen. Mit ihren herausragenden wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten haben Juden in Deutschland unsere mitteleuropäische Kulturlandschaft prägend mitbestimmt und zeitweilig deutsche Städte zu Zentren europäischer Kultur gemacht.
Vieles davon ist heute in Vergessenheit geraten; Städte und Dörfer, in denen in der Vergangenheit blühende jüdische Gemeinschaften anzutreffen waren, weisen heute - wenn überhaupt - nur noch Spuren jüdischer Geschichte auf - Spuren, die die planmäßige nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik noch übrig gelassen hat. Doch die Auslöschung der gesamten jüdischen Kultur gelang dem Nationalsozialismus nicht. Diese noch verbliebenen Spuren zu entdecken, Vergessenes wieder zum Vorschein zu bringen und daraus zu Kenntnissen und Erkenntnissen zu gelangen, sollte mit der Veröffentlichung des Nachschlagewerkes erreicht werden.
Bei den mehr als zehn Jahre lang betriebenen Recherchen haben Gemeinde- und Stadtverwaltungen, bestehende jüdische Gemeinden, Museen und Gedenkstätten, Initiativen und Vereine, aber auch vor Ort arbeitende Historiker mir vielfach Unterstützung zu teil werden lassen. Erst durch die zur Verfügung gestellten, oft umfangreichen Materialien konnte das „Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum” erarbeitet werden. Besonders oft wurde zurückgegriffen auf die umfangreiche Internet-Präsentation von "Alemannia Judaica", wobei in hohem Maße die hier aufgefundenen Dokumente und Bildmaterialien genutzt wurden.
Seitdem sind nun etliche Jahre vergangen. In dieser Zeit habe ich weiter an dieser Thematik gearbeitet, Inhalte ergänzt und – wenn es notwendig war – auch berichtigt. Bei den Ergänzungen habe ich mich an aktuelle Veröffentlichungen gehalten und diese dann in den Kontext eingebunden. Die meisten ergaben sich für ehemalige Gemeinden im ost-mitteleuropäischen Raum; vor allem kleinere auf heutigem polnischen Staatsgebiet sind nun auch aufgeführt; dabei wurde besonders auf Forschungsergebnisse zweier polnischer Initiativen zurückgegriffen.
2017/2018 sind meine Aufzeichnungen zu einem gewissen Abschluss gekommen, da nun für (fast) alle jüdischen Gemeinden sog. "Kurzportraits" vorliegen und inhaltliche Ergänzungen künftig vermutlich nur noch in geringfügiger Art vorgenommen werden.
Als weiterführende Ergänzungen sind - nach längeren Überlegungen - nun auch "Kurzportraits" zu den ehemaligen jüdischen Gemeinden in der Slowakei aufgenommen worden. Dabei sollte aber bedacht werden, dass in der Slowakei generell die Einflüsse des deutschen Judentums gering waren (ausgenommen in sog. deutschen 'Sprachinseln') - und wenn vorhanden, dann auch nur zeitlich begrenzt; vielmehr war hier das ungarische Judentum prägend.