Adelsdorf (Mittelfranken/Bayern)
Adelsdorf ist eine Kommune mit derzeit ca. 9.400 Einwohnern; sie liegt im Aischgrund im mittelfränkischen Landkreis Erlangen-Höchstadt (Kartenskizze 'Landkreis Erlangen-Höchstadt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im 19.Jahrhundert gehörte Adelsdorf zu einer der größeren jüdischen Landgemeinden im mittel- und oberfränkischen Raum; die jüdischen Bewohner stellten dabei zeitweise etwa ein Drittel der Ortsbevölkerung.
Im nördlich von Nürnberg gelegenen Adelsdorf ließen sich im frühen 16.Jahrhundert jüdische Familien dauerhaft nieder und bildeten hier den Grundstock einer Gemeinde. 1598 gab es am Ort vier Judenhäuser, die zur Herrschaft der Familie Stiebar gehörten; den adligen Gutsherren mussten sie hierfür jährliche Schutzgelder zahlen. Um 1700 führten antijüdisch motivierte Bauernunruhen - den Juden lastete man die allgemeine Teuerung und Getreidenot an -dazu, dass sämtliche Judenhäuser und die Synagoge - sie befand sich in der Adelhardsgasse - ausgeraubt und vollkommen zerstört wurden. Die Bibraer Ritterschaft ersetzte den Juden jedoch die ihnen entstandenen Schäden. Eine Regelung von 1711 besagte: Zum Schutze der „eigenen“ Juden war es „fremden“ Juden nur erlaubt, an einem Tag in der Woche nach Adelsdorf zu kommen.
Wegen der Bedeutung der Adelsdorfer Judengemeinde wurden im 18.Jahrhundert ein Rabbinat und eine „Judenschule“ eingerichtet, eine Synagoge lässt sich jedoch erst im beginnenden 19.Jahrhundert wieder nachweisen (Neubau 1822). 1852 erfolgte eine umfassende Renovierung der Synagoge, die mit der festlichen Wiedereinweihung gefeiert wurde.
In einem Beitrag der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ vom 16. August 1852 hieß es dazu:
Adelsdorf bei Erlangen*, 6. Juli. Die hiesige israelitische Gemeinde, 40 Familien stark, hatte eine sehr verwahrloste Synagogenordnung und Einrichtung. Dies fühlte ein großer Theil der Bewohner, aber es fehlte sowol an den Mitteln als an der nöthigen Uebereinstimmung, beiden Uebeln abzuhelfen. Seit der glücklichen Akquisition unseres im vergangenen Herbste einstimmig gewählten Rabbinatssubstituten Herrn Dr. Werner gewinnt Alles eine bessere Gestaltung. Seine wahrhaft oratorischen Vorträge, seine salbungsvollen Predigten gaben den unwiderstehlichsten Impuls, und so steht die mit großen Opfern von Seiten der Gemeinde renovirte Synagoge ganz im Geschmacke der Neuzeit fertig da, und ward Freitag den 2.d. unter Theilnahme der ganzen Umgegend eingeweiht. ... Den Glanzpunkt bei dieser solennen Festlichkeit bildeten wiederum zwei Predigten des Herrn Dr. Werner, die eine gehalten Freitag Abends, die andere Sabbat Morgens. In Ersterer besprach er den Gegenstand der Feier und die Vorzüge der israelitischen Religion; in der zweiten, welche eine volle Stunde dauerte, kämpfte er mit allen Waffen des Geistes und der Wissenschaft gegen den Indifferentismus sowol als gegen die Formheiligkeit, und seine Begeisterung riß Alles mit sich fort, so daß es ihm gelungen ist, einen großen Teil der projektierten Synagogenordnung sogleich einzuführen. Möge es diesem allgemein beliebten Ehrenmanne vergönnt sein, bei den seiner geistlichen Leitung anvertrauten Gemeinde echte Religiosität und Gesittung einheimisch zu machen, und der Bergelter alles Guten sein edles Streben mit dem besten Segen krönen.
L. Buchmann, Religionslehrer.
In der Synagoge fand bis etwa 1935 auch der Religionsunterricht für die jüdischen Kinder des Dorfes statt.
Nach Auflösung des über viele Jahrzehnte in Adelsdorf beheimateten Rabbinates verrichtete seitdem ein Religionslehrer religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war die Stellenbesetzung einem häufigen Wechsel unterworfen.
Stellenausschreibungen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28.Juni 1876, 22.März 1882 und 11.Febr. 1909
Das Adelsdorfer Rabbinat bestand bis 1845; nach dem Tod des Rabbiners Abraham Loeb Stein wurde es dann nicht mehr besetzt und schließlich Jahre später endgültig aufgelöst.
Verstorbene wurden auf dem Judenfriedhof nahe Zeckern-Hemhofen begraben, der vermutlich bereits im 14.Jahrhundert angelegt worden ist; dessen erste urkundliche Erwähnung datiert allerdings erst aus dem Jahre 1606. Flächenmäßig ist dies einer der größten und ältesten jüdischen Friedhöfe auf bayerischem Gebiet, dessen Einzugsgebiet sich von Hirschaid im Norden bis Büchenbach im Süden, von Forchheim im Osten bis Vestenbergsgreuth im Westen erstreckte. Etwa 6.000 Juden sollen hier ihre letzte Ruhe gefunden haben; ca. 1.500 Grabsteine sind erhalten geblieben.
Teilansicht (Aufn. M. Planegg, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Bis um 1845 war Adelsdorf Sitz eines eigenen Rabbinates; danach gehörte es zum Rabbinat Burgebrach, ab 1907 dann zu dem von Bamberg.
Juden in Adelsdorf:
--- 1657/58 ..................... 13 jüdische Familien,
--- 1685 ........................ 70 Juden (ca. 25% d. Dorfbev.),
--- um 1690 ..................... 110 “ (ca. 12% d. Dorfbev.),
--- 1709 ........................ 3 jüdische Haushaltungen,
--- 1735 ........................ 161 Juden (ca. 32% d. Dorfbev.),
--- 1812 ........................ 260 “ ,
--- 1824 ........................ 283 “ (ca. 31% d. Dorfbev.),
--- 1840 ........................ 216 “ ,
--- 1852 ........................ 183 “ (ca. 20% d. Dorfbev.),
--- 1875 ........................ 90 “ ,
--- 1890 ........................ 79 “ ,
--- 1910 ........................ 68 “ (ca. 7% d. Dorfbev.),
--- 1925 ........................ 64 “ ,
--- 1933 ........................ 60 “ ,
--- 1939 (Sept.) ................ 23 “ ,
--- 1942 ........................ 11 “ .
Angaben aus: Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942), S. 52/53
Schloss Neuhaus/Adelsdorf (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)
Nach der Judenmatrikel von 1822/1823 war für Adelsdorf die Zahl der ansässigen jüdischen Familien auf 52 festgelegt worden. Ein großer Teil von ihnen lebte in ärmlichen Verhältnissen und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Hausier- und Viehhandel. Erst später übten einige auch Handwerkerberufe aus und eröffneten - statt mit der ‚Kötze’, dem Rückenkorb, über Land zu ziehen - ortsfeste Läden, die lange Zeit die einzigen in Adelsdorf waren.
Infolge von Auswanderungen nach Übersee und der Übersiedlung in größere deutsche Städte verringerte sich die Zahl der jüdischen Anwohner stetig. Ihren höchsten Stand hatte die Gemeinde um 1825 erreicht; doch besonders in den 1850er Jahren verließen junge Juden ihr Heimatdorf. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten die Adelsdorfer Juden überwiegend in finanziell gesicherten Verhältnissen.
Am Vorabend der NS-Machtübernahme wohnten in Adelsdorf noch 13 jüdische Familien, die - da zumeist alteingesessen - in das dörfliche Leben integriert waren. Am 1.April 1933 boykottierten auch hier SA-Angehörige die jüdischen Läden, nachdem zuvor ein „Aktionskomitee“ des Kreises Höchstadt/Aisch dazu aufgerufen hatte. Inwieweit die Adelsdorfer Bevölkerung diesem Boykottaufruf nachkam, ist nicht bekannt. Als sicher gilt jedoch, dass die jüdischen Geschäftsleute ab Mitte der 1930er Jahre aufgrund einer Reihe von „Verordnungen jüdische Gewerbe betreffend“ immer mehr Kunden verloren und in wirtschaftliche Existenznöte gerieten.
In der Pogromnacht des November 1938 wurden die Synagoge und die Schule von SS-Angehörigen verwüstet, wobei die Inneneinrichtung herausgerissen und zusammen mit Kultgegenständen und allen schriftlichen Aufzeichnungen, die die jüdische Gemeinde betrafen, auf dem Marktplatz verbrannt wurde. Das Gebäude selbst blieb erhalten und wurde ein Jahr darauf an die Kommune verkauft, die es später als Feuerwehrgerätehaus nutzte (1979 wurde das Gebäude abgerissen). Auch in einige von Juden bewohnte Häuser drangen SA-Leute ein, demolierten Inneneinrichtungen und demütigten die Bewohner. Als am Vormittag des 10.November die Zerstörungswut abgeflaut war, zwang man die jüdischen Männer, die verkohlten Überreste der auf dem Marktplatz verbrannten Gegenstände zu entfernen. Anschließend wurden die Männer inhaftiert und ins KZ Dachau gebracht. Hauptverantwortlicher für die gewalttätigen Ausschreitungen in Adelsdorf war der NSDAP-Kreisleiter von Forchheim und Gräfenberg. Zu den aktiv Beteiligten zählten SA-Angehörige aus Forchheim und RAD-Mitglieder eines bei Adelsdorf gelegenen Lagers.
Bereits vor der „Kristallnacht“ waren jüdische Familien nach Palästina und in die USA emigriert. Nach dem Novemberpogrom bemühten sich alle noch hier lebenden Familien um eine Auswanderung, aber nicht allen gelang es. Bei Kriegsausbruch wohnten noch 23 jüdische Bewohner im Dorf. Für sie bedeutete das Jahr 1942 die Deportation „in den Osten“. Man vermutet, dass sie über ein Sammellager in Nürnberg nach Izbica im Distrikt Lublin abtransportiert wurden, wo sich ihre Spuren verlieren.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich 47 gebürtige bzw. längere Zeit in Adelsdorf ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/adelsdorf_synagoge.htm).
Vier Jahre nach Kriegsende mussten sich 14 an dem Pogrom beteiligte Männer vor dem Landgericht Bamberg verantworten; unter ihnen war aber kein Einwohner aus Adelsdorf. Die allermeisten Angeklagten wurden wegen „krimineller Taten schwerster Art“ zu Haftstrafen bis zu fünf Jahren verurteilt.
Das ehemalige Synagogengebäude wurde jahrzehntelang als Feuerwehrgerätehaus genutzt (Abb. aus: feuerwehr-adelsdorf.de).
Anm.: Nach dem Bau eines neuen Feuerwehrhauses wurde das ehemalige Synagogengebäude an eine ortsansässige Metzgerei verkauft, die es 1979 abreißen ließ.
Im Jahre 1998 - rund 20 Jahre nach dem Abriss des Synagogengebäudes - wurde zum Gedenken an die jüdischen Einwohner Adelsdorfs nahe dem Eingang zum jüdischen Friedhof in Zeckern ein Mahnmal aufgestellt, das an die 31 ermordeten Juden des Ortes erinnert.
Seit Herbst 2000 befindet sich in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Synagoge ein Stein-Ensemble, das der jüdischen Opfer der NS-Gewaltherrschaft gedenkt und diese namentlich aufführt; dessen Inschrift lautet:
Zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger,
die durch die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten unterdrückt, verschleppt, geschunden und ermordet wurden.
Gedenk-Ensemble (Aufn. J. Hahn, 2008)
Auf dem mehr als 15.000 m² großen Friedhofsgelände in Zeckern (OT der Kommune Hemhofen) – einem der größten und ältesten jüdischen Begräbnisstätten Bayerns – sollen im Laufe der Jahrhunderte etwa 6.000 Verstorbene ihre letzte Ruhe gefunden haben; auch Gemeindeangehörige aus Adelsdorf wurden hier begraben.
Jüdischer Friedhof Zeckern im Winter (J. E. Loebe, 2011) und im Sommer (M. Planegg, 2015), beide Aufn. aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Ein 1998 errichteter Gedenkstein erinnert hier an 31 Mitglieder der israelitischen Gemeinde Adelsdorf/Weisendorf, die in der NS-Zeit ermordet wurden.
Weitere Informationen:
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 103/104
Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942). Ein historisch-topographisches Handbuch, Bayrische Verlagsanstalt Bamberg, Bamberg 1988, S. 51 ff.
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 149 und S. 200
Eva Groiss-Lau, Jüdisches Kulturgut auf dem Land. Synagogen, Realien und Tauchbäder in Oberfranken, Hrg. Klaus Guth, Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1995
Spuren jüdischer Vergangenheit in Adelsdorf (diverse Aufsätze), Hrg. Arbeitskreis „Jüdische Landgemeinden an Aisch und Ebrach“, Erlangen 1996
Johann Fleischmann, Mesusa 1 - Spuren jüdischer Vergangenheit an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach, Hrg. Arbeitskreis “Jüdische Landgemeinden an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach”, Selbstverlag J.Fleischmann, Mühlhausen 1998, S. 106 f.
Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Zeckern-Hemhofen, in: Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, 13.Jg., No. 78/1998, S. 17
Christiane Kolbet (Hrg.), Memorbuch. Zum Gedenken an die von den Nazis ermordeten Juden aus Adelsdorf und Weisendorf, Erlangen 1998
Johann Fleischmann, Mesusa 2 - Spuren jüdischer Vergangenheit an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach, Hrg. Arbeitskreis “Jüdische Landgemeinden an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach”, Selbstverlag J.Fleischmann, Mühlhausen 2000
Michael Schneeberger, Die Juden von Adelsdorf, in: Jüdisches Leben in Bayern - Jüdische Landgemeinden in Bayern, "Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", No. 101 (Sept. 2006), S. 38 - 43
B. Eberhardt/H.-Chr. Haas (Bearb.), Adelsdorf, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 29 - 38
Adelsdorf, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Jeanette Seitz (Red.), Zeckern: Ein Friedhof für die Ewigkeit, in: nordbayern.de vom 6.11.2021
Claudia Freilinger (Red.), In dritter Generation: Wie Reinhard Krause den jüdischen Friedhof Zeckern pflegt, in: nordbayern.de vom 6.11.2021