Aldingen (Baden-Württemberg)
Aldingen ist mit derzeit ca. 8.500 Einwohnern der größte Stadtteil von Remseck/Neckar im Landkreis Ludwigsburg (seit 1975) – knapp zehn Kilometer südöstlich der Kreisstadt gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Ludwigsburg', Lencer 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze der Gemarkungen der Stadt Remseck, Thyrren 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).
Aldingen um 1680 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Angehörigenzahl der jüdischen Gemeinde Aldingen ihren personellen Zenit.
In Aldingen siedelten sich nach 1700/1720 einige wenige jüdische Familien an, die zunächst unter dem Schutz der Herren von Kaltental standen und nach 1746 unter herzoglicher württembergischer Herrschaft. Aus der Zeit um 1730 liegt ein Schutzbrief für die beiden ersten nun in Aldingen lebenden Juden vor, in dem die Ortsherrschaft ihnen die Erlaubnis erteilte, ihre religiösen Gebräuche zu praktizieren. In diesem Dokument heißt es u.a.:
„ ... Daß Abraham Kahn samt den Seienigen die Erlaubnuß haben sich in dem Mir mit der Jurisdiction zugeheörigen Orthe Aldingen wohnhafft einzulassen.
Verspreche ich dieselben wider alle Vorkommenheiten soviel mal es die Justiz erfordert jederzeit bestmöglichst zu schüzen, und zu schirmen, ...
Gestatte ich ihnen in ihren Wohnungen ihren jüdischen Gottesdienst gleich in anderen Orthen, wo Juden gelitten werden, mit Beschneidungen und Hochzeit halten.
So ihnen ein Jud hier stirbt soll ihnen erlaubt werden, ihren Todten in Aldingen zu begraben, wann aber ein frembder Judt bei ihnen stirbt, solle selbiger für Begräbnuß 1 Thaler der Herrschaft bezahlen.
Wirdt denenselben erlaubt, mit allerhandt Wahren, ... auch Pferdt und Rindvieh zur Kauffen und zu Verkauffen. ...“
Obwohl nur zwei jüdische Haushalte in Aldingen bestanden, versuchten die christlichen Bewohner - insbesondere vom hiesigen Pfarrer aufgestachelt - diese aus ihrem Dorf entfernen zu lassen, wie ein Schreiben von 1748 belegt:
„ ... da doch solches Judengesindel, dem herrschaftlichen Interesse sehr wenig concurrirt, sondern vielmehr allerley eigennützige und schädliche Handthierungen treibet, auch dabey gesamter Nachbarschafft in vielen Stückhen schädtlich, überhaupt aber männiglich, durch dessen hereinführende fremde Juden, mit ihren in loco exercirenden Beschneidungen und andern jüdischen Ceremonien, ein nicht geringes Ärgerniß causiert, mithin die gantze Commun nicht mehrers wünschete, als einstens von solchen unerträglicheen onere, einstens gnädigst unberirt zu werden. ...”
Dieser und weitere Versuche schlugen jedoch fehl. Die in Aldingen wohnenden jüdischen Familien lebten in ärmlichen Verhältnissen und hielten sich durch Kleider-, Vieh- und Fruchthandel mühsam über Wasser.
Zu gottesdienstlichen Treffen kamen die Juden in den Räumen von Privathäusern zusammen; zuletzt befand sich der Synagogenraum in einem Haus in der Kirchstraße. Ein ‚Zwischenfall’ führte 1858 zur vorübergehenden Schließung der Synagoge: Aus Protest gegen die Liberalisierung des Gottesdienstes (deutsche Gebetssprache) waren die Aldinger Gemeindemitglieder dem Synagogengottesdienst des Freudentaler Rabbiners ferngeblieben. Daraufhin wurde die Synagoge nach einem Erlass der Israelitischen Oberbehörde für mehrere Monate geschlossen. Eine Mikwe besaß die Judenschaft seit Ende der 1820er Jahre; in dem Gebäude soll sich auch ein Backofen für die Herstellung von Matzen befunden haben. Zu den weiteren gemeindlichen Einrichtungen zählte ab 1835 eine eigene Schule, die jedoch einen häufigen Lehrerwechsel - der Lehrer war auch zugleich Vorsänger - zu beklagen hatte und um 1860 wegen Schülermangels aufgegeben werden musste. Danach besuchten die wenigen jüdischen Kinder die christliche Ortsschule.
Einen jüdischen Friedhof gab es in Freudental, später in Hochberg.
Um 1830 sollten die kleinen jüdischen Gemeinden in Aldingen und Ludwigsburg vereinigt werden; doch stieß dieser Versuch auf strikte Ablehnung, da beide Seiten um ihre Selbstständigkeit fürchteten. Der mehrere Jahre andauernde Konflikt wurde schließlich durch einen Erlass des Ministeriums des Innern von April 1834 beendet, und die beiden Judenschaften wurden vereinigt. Die jüdische Kultusgemeinde Aldingen-Ludwigsburg existierte bis Ende der 1840er Jahre.
Juden in Aldingen:
--- um 1730 ......................... 2 jüdische Familien,
--- um 1780 ......................... 32 Juden,
--- 1808 ............................ 32 “ (in 9 Familien),
--- 1824 ............................ 81 “ ,
--- 1831/32 ......................... 94 “ ,
--- 1838 ............................ 116 “ ,
--- 1852 ............................ 122 “ ,
--- 1862 ............................ 72 “ ,
--- 1869 ............................ 56 “ ,* * andere Angabe: 27 Pers.
--- 1874 ............................ eine jüdische Familie,
--- 1886 ............................ keine.
Angaben aus: N.Bickhoff-Böttcher/G.Bolay/E.Theiner, 200 Jahre jüdisches Leben in Hochberg und Aldingen, S. 51 f.
Im Zuge der in den 1850er Jahren einsetzenden starken Abwanderung der jüdischen Bewohner in die Städte der Region (Cannstatt, Ludwigsburg u. Stuttgart) kamen bereits um 1865 Überlegungen auf, die Aldinger Kultusgemeinde aufzulösen, da es zu diesem Zeitpunkt bereits schwierig wurde, den vorgeschriebenen Minjan zusammenzubringen. Als schließlich nur noch eine jüdische Familie am Ort wohnte, wurde die Aldinger Gemeinde im Jahre 1874 offiziell aufgelöst. Zwei Jahre später lebten dann keine Juden mehr im Ort.
Die vorhandenen Ritualien, darunter drei Thora-Rollen, gingen in das Eigentum der Ludwigsburger Synagogengemeinde über.
Im Remsecker Ortsteil Hochberg gab es eine große israelitische Kultusgemeinde, die um die Mitte des 19.Jahrhunderts ca. 300 Angehörige besaß.
[vgl. Hochberg (Baden-Württemberg)]
[vgl. auch Ludwigsburg (Baden-Württemberg)]
Weitere Informationen:
Gottlieb Friedrich Müller, Ortschronik Aldingen, Maschinenmanuskript 1898/1921 (Gemeindearchiv Remseck)
Utz Jeggle, Judendörfer in Württemberg, Dissertation Philosophische Fakultät Universität Tübingen, 1969
N.Bickhoff-Böttcher/G.Bolay/E.Theiner, 200 Jahre jüdisches Leben in Hochberg und Aldingen 1730 - 1930, in: "Heimatkundliche Schriftenreihe der Gemeinde Remseck am Neckar", Heft 10, Remseck am Neckar 1990, S. 48 ff.
Joachim Hahn, Jüdisches Leben in Ludwigsburg - Geschichte, Quellen und Dokumentation, hrg. vom Stadtarchiv Ludwigsburg und vom Historischen Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg e.V., Karlsruhe 1998, S. 36, S. 59 - 63 u.a.
Aldingen, in: alemannia-judaica.de
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 390 - 392