Allendorf a.d.Lumda (Hessen)

Der Kreis Marburg 1905Landkreis Gießen Allendorf.png Die Kleinstadt Allendorf (Lumda) mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern liegt im mittelhessischen Landkreis Gießen – knapp 20 Kilometer nordöstlich der Kreisstadt bzw. südöstlich von Marburg entfernt (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, CCO  und  Kartenskizze 'Landkreis Gießen', Andreas Trepte 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

Ansicht von Allendorf a.d. Lumda – Stich M. Merian um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die ersten urkundlichen Hinweise auf jüdisches Leben in Allendorf stammen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges; auch in der Folgezeit dürfte es sich nur um wenige Familien gehandelt haben. Als Schutzjuden der hessischen Landgrafen bestritten sie ihren bescheidenen Lebensunterhalt mit Kramwarenhandel und später zunehmend mit Viehhandel.

Eine offizielle Kultusgemeinde bestand in Allendorf seit Ende der 1830er Jahre. Ihre Synagoge - zentral in der Nordecker Straße gelegen - besaß die Judenschaft seit den 1870er Jahren bzw., einer anderen Angabe zufolge, seit 1844. In einem Raum des Gebäudes war auch eine Mikwe untergebracht.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20130/Allendorf%20Lumda%20Synagoge%20200.jpg Ehem. Synagogengebäude (Aufn. um 1985, aus: Th. Altaras)

Ein angestellter Lehrer war für die religiösen gemeindlichen Aufgaben zuständig; neben der Unterweisung der Kinder war er zugleich als Vorbeter und Schochet tätig.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20113/Allendorf%20Lumda%20Israelit%2005011891.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20113/Allendorf%20Lumda%20Israelit%2030071891.jpg zwei Stellenausschreibungen von 1891

Ein eigenes Friedhofsgelände stand den Allendorfer Juden seit 1875 zur Verfügung. 

Die Gemeinde unterstand dem liberalen Provinzialrabbinat in Gießen.

Juden in Allendorf a.d.Lumda:

    --- 1770 ...........................  6 jüdische Familien,

--- 1828/29 ........................ 65 Juden,

--- 1861 ........................... 70   “  ,

    --- 1871 ........................... 65   “  ,

    --- 1880 ........................... 84   “  ,

    --- 1895 ........................... 82   “  ,*   * andere Angabe: 91 Pers.

    --- 1900 ........................... 81   “  ,

    --- 1910 ........................... 73   “  ,

    --- 1925 ........................... 52   “  ,

    --- 1932/33 ........................ 61   “  ,

    --- 1942 (Dez.) .................... keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 26

und                 Allendorf an der Lumda - Die Mitte des Tales, Allendorf 1987, S. 326

 

Zu Anfang des 20.Jahrhunderts war der Viehhandel der wichtigste Erwerbszweig der Allendorfer Juden. Rund 60 Bewohner jüdischen Glaubens lebten zu Beginn der NS-Zeit in Allendorf. Der Ort war eine Hochburg des politischen Antisemitismus im nördlichen Kreis Gießen, und von hier aus wurden vor allem die Dörfer im Lumda-Tal, Treis, Mainzlar und Lollar, von dieser Bewegung erfasst und in der bäuerlichen Bevölkerung mit deutlichem Zuspruch aufgenommen. Zwar setzten auch hier bald die Boykottmaßnahmen ein, doch die Abwanderung eines Teils der Allendorfer Juden begann erst nach 1935.

  Boykott-Plakat aus dem Nov. 1933

Während des Novemberpogroms schleppten SA-Angehörige die gesamte Inneneinrichtung und alle sakralen Gegenstände aus der Synagoge, warfen sie auf die Straße und verbrannten sie tags darauf unter den Augen der Öffentlichkeit. Anschließend drangen SA-Trupps in die Häuser jüdischer Familien ein und demolierten dort Einrichtungsgegenstände. Unter dem Druck der Verhältnisse verstärkte sich nun die Abwanderung, wobei die jüdischen Familien ihren Besitz - oft weit unter Wert - an Ortsansässige veräußerten. Die noch in Allendorf zurückgebliebenen, meist älteren jüdischen Bewohner mussten umziehen und lebten auf engem Raum in einigen wenigen Häusern. Mitte September 1942 wurden die 27 Allendorfer Juden in der Marktstraße zusammengetrieben, mit ihren Habseligkeiten auf Lastwagen verladen, nach Theresienstadt, Treblinka und Auschwitz deportiert und dort ermordet; nur ein einziger der Deportierten soll überlebt haben

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 47 gebürtige bzw. länger in Allendorf ansässig gewesene Juden deportiert und ermordet worden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe. alemannia-judaica.de/allendorf_synagoge.htm).

 

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20150/Allendorf%20adL%20Friedhof%20121.jpg

Ansichten vom jüdischen Friedhof (Aufn. J. Hahn, 2008 und Klaus Lotz, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Heute erinnert einzig der jüdische Friedhof von Allendorf an die frühere jüdische Gemeinde des Ortes; im Jahre 1988 wurde hier ein Gedenkstein aufgestellt, der dem Angedenken der Angehörigen der einstigen israelitischen Gemeinde gewidmet ist. Die bronzene Gedenktafel, die auf dem Stein angebracht ist, trägt den folgenden Text: In Allendorf/Lda. lebten seit Jahrhunderten jüdische Einwohner, die während der Naziherrschaft 1933 -1945 gedemütigt, entrechtet, vertrieben, verschleppt und ermordet wurden. Ihr Schicksal darf nicht vergessen werden. Wehret den Anfängen."

An dem zu einem Wohnhaus umgebauten Synagogengebäude ist seit 1982 eine Gedenktafel angebracht.

2014 wurden auf dem Rosenplatz (Ecke Treiser Str./Kirchstr.) sieben basaltene Gedenkstelen eingeweiht, an die Namenstafeln von die von den Nationalsozialisten ermordeten Allendorfer jüdischen Glaubens angebracht sind. Ein Jahr später wurde zusätzlich eine Tafel aufgestellt, die über das jüdische Leben in Allendorf/Lumda informiert.

 

 

 

Die jüdischen Bewohner von Nordeck, einem Ortsteil von Allendorf/Lumda, waren bis 1806 Schutzjuden der Freiherren von Nordeck zu Rabenau, später zu Kurhessen gehörig. Zur Nordecker Kultusgemeinde, die stets sehr klein war, zählten auch die jüdischen Familien aus Ebsdorf und Leidenhofen. Gemeinsam unterhielt man eine kleine Elementarschule, die vermutlich bis 1900 bestanden hat. Der Unterricht wurde im Synagogengebäude in der Rabenaustraße abgehalten.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20246/Nordeck%20Israelit%2017031904.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20298/Nordeck%20Israelit%2011041904.jpg zwei Lehrstellenangebote von 1904

In den 1920er Jahren setzte sich die Gemeinde aus acht Familien zusammen. Bis Mitte der 1930er Jahre hatten alle jüdischen Bewohner - sie waren mehrheitlich Viehhändler - Nordeck verlassen. Über ihren Verbleib ist kaum etwas bekannt. 

Das Synagogengebäude ging 1937/1938 in Privatbesitz über.

Der jüdische Friedhof – er umfasst eine Fläche von ca. 1.500 m² - liegt in einem bewaldeten Gelände nördlich von Nordeck (oberhalb der Burg Nordeck) und weist etwa 40 Grabsteine auf, von denen die meisten aus dem 19.Jahrhundert stammen.

Nordeck (Allendorf) - Jüdischer Friedhof (001).JPG

Jüdischer Friedhof von Nordeck (Aufn. G. Rosenberg, 2015, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 26/27 und Bd. 2, S. 147/148

Die Juden - ihr Kommen, ihr Wirken und ihr Schicksal, in: Allendorf an der Lumda - Die Mitte des Tales, Hrg. Heimat- und Verkehrsverein Allendorf (Lumda) e.V., Allendorf 1987, S. 322 – 341

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel, 1995, S. 28 - 29  

Allendorf a.d.Lumda, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Nordeck, in: alemannia-judaica.de

Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein/Taunus 2007, S. 197

Jonas Wissner (Red.), Gedenkstelen in Allendorf am Rosenplatz eingeweiht, in: "Gießener Allgemeine"  vom 15.9.2014

khn (Red.), Infotafel über jüdisches Leben in Allendorf eingeweiht,in: „Gießener Anzeiger“ vom 15.9.201

Arbeitsgemeinschaft Heimatgeschichte/Evangelische Kirchengemeinde (Hrg.), Familienbuch der Juden in Allendorf an der Lumda, 2019

Markus Bender (Red.), Einst Teil der Gemeinschaft, in: „Gießener Anzeiger“ vom 26.6.2019

Heimat- u. Verkehrsverein (Red.), Der Judenfriedhof in Allendorf (Lumda), in: „Gießener Zeitung“ vom 3.2.2021