Altkirch (Elsass)

Kreis Altkirch.pngAltkirch, ein Städtchen mit derzeit ca. 5.700 Einwohnern, liegt im Oberelsass südlich von Mülhausen/Mulhouse (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts stellte die jüdische Gemeinde in Altkirch einen beachtlichen Anteil an der Ortsbevölkerung.

Bereits um 1300 sollen im damals vorderösterreichischen Altkirch, das bis 1648 Hauptsitz der österreichischen Vorlande und Hauptort des Sundgaus war, jüdische Familien gelebt haben. Von den „Armleder-Verfolgungen“ des Jahres 1338 und Verfolgungen während der Pestzeit waren auch hiesige jüdische Bewohner betroffen. Die noch gegen Ende des 14.Jahrhunderts hier lebenden Familien wurden um 1397/1398 auf Anweisung Herzog Leopolds IV. von Österreich aus Altkirch ausgewiesen; vermutlich siedelten sie sich dann im nahen Mülhausen bzw. in Basel an. Anschließend sollte es rund 400 Jahre dauern, ehe sich erneut Juden in Altkirch niederlassen konnten. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte bildete sich dann aber eine zahlenmäßig durchaus ansehnliche jüdische Gemeinde, die zumeist aus Zuwanderern aus dem dörflichen Umland sich speiste und die auch noch in den 1920er Jahren relativ groß war.

Die Juden Altkirchs waren seit der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts stärksten Anfeindungen ausgesetzt; dabei spielte der gegenüber der jüdischen Bevölkerung geäußerte Vorwurf des Wuchers stets eine zentrale Rolle. Größere judenfeindliche Unruhen im Bezirk Altkirch wurden z.B. im Jahr 1822 verzeichnet. Auch während der Ausschreitungen im Revolutionsjahr 1848 wurden jüdische Bewohner angegriffen und ihre Wohnungen geplündert, und die meisten Bedrohten flohen aus der Stadt (zumeist nach Basel). Auch die kaum zehn Jahre alte Synagoge war Ziel des Mob, der hier die Inneneinrichtung verwüstete. Ruhe kehrte erst wieder ein, als das Militär einschritt.

                       aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom 30.7.1855

Nach dreijähriger Bauzeit hatte die Altkircher Judenschaft gegen Mitte der 1830er Jahre ihre neue Synagoge einweihen können.


Synagoge in Altkirch (Aufn. M. Rothé, um 2005)

Über dem Portal an der Westseite ist die folgende Inschrift angebracht: „Denn alle Völker mögen gehen, jegliches im Namen seines Gottes; wir wollen gehen im Namen des Ewigen, unseres Gottes.

Seit Mitte der 1840er Jahre war Altkirch Sitz eines Rabbinats, zu dem die Gemeinden Hagenbach, Hirsingen, Lümschweiler und Wittersdorf gehörten.

Einen Friedhof legte die jüdische Gemeinde im 19.Jahrhundert an; auf diesem bis heute genutzten Beerdigungsgelände befinden sich knapp 500 Grabstätten, darunter zahlreiche klassizistisch gestaltete Steine.

                https://www.alemannia-judaica.de/images/Alsace%201/Altkirch%20Cimetiere%20108.jpg

Teilansicht des jüdischen Friedhofs   -   Klassizistische Grabmäler (Aufn. J. Hahn, 2003)

Juden in Altkirch:

         --- 1800 .......................   8 jüdische Familien,

    --- 1846 ....................... 300 Juden,

    --- 1861 ....................... 320   “  ,

    --- 1883 ....................... 272   "  ,

    --- 1910 ....................... 191   “  ,

    --- 1936 ....................... 116   “  ,

    --- 1940 (Dez.) ................ keine,

    --- 1953 ................... ca. 150   “  .

Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 45

Altkirch (Le Miroir, 1914-08-16).jpg Blick auf Altkirch um 1915 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

 

Anders als in anderen jüdischen Gemeinden im Elsass, die durch Abwanderung schrumpften, blieb die Zahl der Altkircher Juden bis Ende der 1920er Jahre fast auf dem Niveau der Jahre um 1850/1860.

In den Monaten nach der deutschen Besetzung wurden die in Altkirch lebenden jüdischen Bewohner nach Südfrankreich deportiert; viele von ihnen sind „in den Lagern des Ostens“ ums Leben gekommen. Nachweislich wurden 14 gebürtige bzw. länger in Altkirch lebende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/altkirch_synagogue.htm).

Nach der Deportation der Altkircher Juden im Jahr 1940 wurde die Synagoge entweiht und für die profane Nutzung freigegeben.

Mehrere Jahre nach Kriegsende haben sich wieder jüdische Personen in Altkirch niedergelassen. Anfang der 1950er Jahren waren es ca. 160 Bewohner. 1950 wurde das Synagogengebäude wieder zu einem Gotteshaus; doch Gottesdienste fanden hier nur noch zu besonderen Anlässen statt.

    Aufn. Olevy, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

Der lange Leerstand des Gebäudes soll derzeit durch einen Verkauf an einen privaten Besitzer, der das Haus zu Wohnzwecken nutzen soll, beendet werden (Stand 2022).

Auf dem jüdischen Friedhof in Altkirch fanden bis in die Gegenwart noch Beerdigungen statt.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Alsace%201/Altkirch%20Cimetiere%20100.jpgEingangstor zum Friedhof (Aufn. J. Hahn, 2004)

 

 

 

Im nahen Hagenbach (frz. Hagenbach) existierte seit dem 18.Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, deren Zahl gegen Mitte des 19.Jahrhunderts mit fast 200 Personen ihren Höchststand erreichte und damals etwa ein Viertel der Dorfbevölkerung stellte.

Juden in Hagenbach:

         --- 1780 .......................  67 Juden,

    --- 1825 .......................  90   “  ,

    --- 1846 ....................... 182   “  ,

    --- 1861 ....................... 116   “  ,

    --- 1885 .......................  37   “  ,

    --- 1910 .......................   7   “  ,

    --- 1935 .......................   keine.

Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 49

Eine rasche Abwanderung in die Städte führte jedoch dazu, dass zu Beginn des Ersten Weltkrieges nur noch zwei jüdische Familien hier lebten; 1935 waren keine Juden hier mehr wohnhaft.

Ein aus Hagenbach stammender Bewohner jüdischen Glaubens wurde Opfer der "Endlösung".

 

Hinweis: Auch im pfälzischen und im bayrischen Hagenbach (Markt Pretzfeld) existierten einst jüdische Gemeinden.

 

 

 

In Lümschweiler (frz. Luemschwiller) - nordöstlich von Altkirch – bestand eine israelitische Gemeinde bis ca. 1860/1870; die Anfänge der Gemeinde lagen im beginnenden 18.Jahrhundert. Um 1790 sollen im Ort ca. 190 jüdische Bewohner gelebt haben (knapp 30% der Dorfbevölkerung), um 1845 waren es noch 70 Personen. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge, eine jüdische Schule, ein rituelles Bad und ein Friedhof. Die Gemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat Altkirch. Nach Abwanderung der letzten jüdischen Familien in den 1860er-Jahren wurde die Gemeinde aufgelöst. 

Oberhalb der Ortschaft befindet sich verborgen in einem Waldgebiet der jüdische Friedhof mit ca. 30 bis 40 Grabsteinen, die teilweise tief ins Erdreich versunken sind.

Bildergebnis für Luemschwiller jüdischer Friedhof Luemschwiller (Aufn. aus: lalsace.fr)

                                     Zwei alte Grabsteine (Aufn. M. Rothé)

 

 

Fröningen (frz. Froeningue), ein Dörfchen nördlich von Altkirch, besaß bis in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts eine israelitische Gemeinde. In den letzten beiden Jahrzehnten des 18.Jahrhunderts zählte die Dorfjudenschaft immerhin mehr als 30 Familien (ca. 150 Pers.). Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge, eine Schule, eine Mikwe und ein Friedhof. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte ging die Zahl der Gemeindeangehörigen so weit zurück, dass die Gemeinde schließlich um 1860 aufgelöst wurde. Neben der „Rue de la Synagogue“ ist heute der einzige Hinweis auf die jüdische Ortsgeschichte der alte Begräbnisplatz mit nur noch fünf Grabsteinen.

                  einzelner Grabstein (Aufn. J. Hahn, 2004) http://www.alemannia-judaica.de/images/Alsace%201/Froeningue%20Cimetiere%20101.jpg

 

 

Eine kleine israelitische Gemeinschaft im elsässischen Dorf Wittersdorf – es liegt nur wenige Kilometer östlich von Altkirch - fand sich wohl im Laufe des 18.Jahrhunderts zusammen; jüdische Einwohner werden allerdings erst Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt.

In den 1820er Jahren richtete die kleine jüdische Gemeinschaft ihre Synagoge ein, die für vier Jahrzehnte religiöser Mittelpunkt war.

Ab den 1840er Jahren gehörte die kleine Gemeinde zum Rabbinat Altkirch.

Juden in Wittersdorf:

--- 1845 .....................  76 Juden (ca. 10% d. Dorfbev.),

--- 1861 .....................  35   “  ,

--- 1870 .....................  keine.

Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 45

Im Gefolge der Abwanderung in städtische Zentren verließen innerhalb nur weniger Jahre alle jüdischen Familien Wittersdorf; um 1870 lebten bereits keine Juden mehr am Ort.

Um 1870 ging das nun verlassene Synagogengebäude in private Hände über und wurde seitdem zu Wohnzwecken genutzt.

 Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Rothé)

 

 

 

Weitere Informationen:

Eduard Stadtler, Die Judenkrawalle von 1848 im Elsaß, in: "Elsässische Monatsschrift für Geschichte und Volkskunde", Heft 12/1911, S. 673 ff.

Ludwig Kahn, Die sog. ‘Judendörfer’ in der Umgebung von Basel, aus: "Jüdischer Taschenkalender 1962/63 der Israelitischen Fürsorge Basel"

Paul Assall, Juden im Elsaß, Elster Verlag Moos GmbH, Bühl-Moos 1984, S. 159

Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992, S. 152

Luemschwiller – Le cimetière israélite de Luemschwiller, in: judaisme.sdv.fr

Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995, S. 62/63 und S. 332 ff.

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 34

Altkirch/Elsass, in: alemannia-judaica.de

Hagenbach/Elsass, in: alemannia-judaica.de

Jüdischer Friedhof Luemschwiller, in: alemannia-judaica.de

Jüdischer Friedhof in Froeninque, in: alemannia-judaica.de

Wittersdorf (Elsass), in: alemannia-judaica.de

Daniel Gerson, Die Kehrseite der Emanzipation in Frankreich. Judenfeindschaft im Elsass 1778 bis 1848, hrg. vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Klartext-Verlag, Essen 2006, S. 168 ff. und S. 235 ff.

Jean Daltroff, La route du judaïsme en Alsace, ID-L’Édition, 2. Aufl., Bernardswiller 2010, S. 60

Alexandra v. Ascheraden/Maximilian Karl Fankhauser (Red.), Synagoge von Altkirch: Jahrelang wurde nach einem Käufer gesucht – nun „soll ein Wohnhaus daraus entstehen“, in: "bz – Basel Nachrichten Region“ vom 23.5.2022