Bauerbach (Thüringen)

Lage des Grabfelds: früher war es etwa das Gebiet der Karte im Dreieck Bayern−Hessen−Thüringen, heute nur der hell markierte Bereich im bayerisch-thüringischen Grenzgebiet Karte Das südthüringische Bauerbach - eine kleine Ortschaft mit ca. 250 Einwohnern ca. zwölf Kilometer südlich von Meiningen, nahe der bayrischen Grenze gelegen - gehört seit 2012 zur Verbandsgemeinde Grabfeld, vor diesem Zeitpunkt zur Verwaltungsgemeinschaft Salzbrücke/Kreis Schmalkalden-Meiningen (Kartenskizzen 'Grenzlage Thüringen-Bayern' mit Grabfeld, Lencer, aus: wikipedia.org CC BY-SA 3.0  und  'Verbandsgemeinde Grabfeld' mit Bauerbach gelb markiert, Metilsteiner 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts stellten die jüdischen Familien etwa 30% der Dorfbevölkerung.

Vermutlich haben ab dem ausgehenden 17. bzw. beginnenden 18.Jahrhundert jüdische Familien in Bauerbach gelebt; zeitweilig soll sich knapp die Hälfte der Dorfbevölkerung zum jüdischen Glauben bekannt haben. Die Herrschaft des reichsritterschaftlichen Dorfes, die Herren von Wolzogen, hatten die Ansässigkeit jüdischer Familien gefördert. Eine erste namentliche Erwähnung jüdischer Bewohner liegt erst ab den 1780er Jahren vor, doch kann angenommen werden, dass die Wurzeln der Gemeinde bereits im beginnenden 18.Jahrhundert lagen.

      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20439/Bauerbach%20ZM%201322%20Bl%203.jpg Schutzgeldliste von 1814 (aus: Thür. Staatsarchiv Meiningen)

Nach Überlieferung der Dorfchronik sollen christliche und jüdische Bewohner "einträchtig neben- und miteinander" gelebt haben. Um 1840/1850 wohnten die meisten Juden vor dem Dorf im ehemaligen Herrenhaus, dem „Judenhof“.

Die Einweihung einer Synagoge erfolgte im Jahre 1824. Etwa ein Jahrzehnt später wurde ein Schulhaus errichtet, in dem die einklassige jüdische Elementarschule untergebracht war; diese wurde 1875 mit der christlichen Dorfschule zusammengelegt. Als die alte Synagoge baufällig geworden war, ließ die Bauerbacher Judenschaft 1892 einen Synagogenneubau in der Henneberger Straße erstellen. Die Zeitschrift „Der Israelit“ berichtete am 4.Juli 1892 über die Einweihung:

Am Freitag den 17. v. M. und am darauf folgenden Sabbat fand in Bauerbach bei Meiningen die Einweihung der neu erbauten Synagoge durch Herrn Landrabbiner Dr. Dessauer statt. So geringzählig die Gemeinde ist, so ließ sie es sich doch, da in ihr noch ziemlich religiöser Sinn herrscht, angelegen sein, ein ihren bescheidenen Verhältnissen entsprechendes Gotteshaus zu beschaffen, nachdem die alte Synagoge durch wiederholtes Ausbrechen des Schwammes unbrauchbar geworden war. Um die Beschaffung der erforderlichen Mittel hat sich deren derzeitiger Religionslehrer - Lehrer G. Holländer aus Berkach - durch persönliche und schriftliche Verwendung vielfach verdient gemacht. Auf ein diesbezügliches Bittgesuch spendete auch Seine Hoheit, der regierende Herzog Georg von Meiningen 500 M. zu dem Baue. Der derzeitige Vorsteher H. Mühlfelder hat, um die Förderung des Baues zu bewirken, weder Zeit noch Mühe gescheut. Die Anordnung der Weihefeier, resp. die dabei vorkommenden Gesänge leiteteLehrer Holländer und verlief diese Feier unter zahlreicher Betheiligung von nah und fern in herrlicher, würdiger Weise. Alle Ortsbewohner trugen durch ihre Betheiligung zur Verherrlichung des Festes bei. Die beiden Predigten des Herrn Landrabbiners Dr. Dessauer, der am Freitag Nachmittag über das Gebet und am Sonnabend Morgen über das Gottvertrauen unter passender Bezugnahme auf die herrschende Zeitströmung sprach, rissen alle Zuhörer mit sich fort. An beiden Tagen war das Gotteshaus zum Erdrücken voll. Besonders hervorzuheben ist die Sympathie, die Seine Hoheit, der am Comosee (Anm.: Comer See) weilende regierende Herzog für die Kultusgemeinde Bauerbach, sowie überhaupt für die Israeliten Meiningens durch zweimaliges Depeschiren kundgab, sowie auch das diesbezügliche Schreiben des Herrn Staatsministers Heim, worin er bedauert, nicht an der Einweihung Theil nehmen zu können. Möge allen denen, die zum guten Werke in Wort und Tat beitrugen, der reichste himmlische Segen zuteil werden!"    

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20190/Bauerbach%20AZJ%2024061892.jpgaus: „Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 24. Juni 1892

Die Anlage des jüdischen Friedhofs in Bauerbach erfolgte vermutlich gegen Ende des 17. bzw. Anfang des 18.Jahrhunderts. Auf dem auf einer Anhöhe gelegenen Areal wurden seitdem verstorbene Gemeindemitglieder aus Bauerbach, Bibra und aus dem bayrischen Dorf Mühlfeld beigesetzt. Die ältesten noch vorhandenen Grabsteine stammen aus der Zeit um 1750.

alte Grabsteine (Aufn. S., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 de)

Juden in Bauerbach:

         --- um 1785 ...................... 130 Juden,

    --- 1811 .........................  91   “  (in 18 Familien),

    --- 1833 ......................... 107   “  (ca. 30% d. Bevölk.),

    --- 1851 ......................... 116   “  (in 26 Familien),

    --- 1898 .........................  75   “ ,

    --- 1913 .........................  25   "  ,

    --- um 1925 .................. ca.  10   “  ,

    --- 1933 .........................  13   “  (in 4 Familien),

    --- 1938 .........................   9   “  ,

    --- 1941 .........................   5   “  ,

    --- 1942 (Aug.) ..................   2   “  ,

             (Okt.) ..................   keine.

Angaben aus: E.Schwerda/H.Nothnagel, Juden im Schillerort Bauerbach

   Bauerbach um 1860 - Lithografie (Abb. St. Völkel, aus: ZAVB.com)

 

Die knapp 20 jüdischen Familien bestritten ihren Lebensunterhalt mit dem Handel mit Vieh, Schnitt- und Kramwaren. In den Jahrzehnten nach 1860/1870 verließ die Mehrzahl der Juden Bauerbach, um in größere Städte abzuwandern oder nach Nordamerika zu emigrieren. Nach der Jahrhundertwende soll sich die stark verkleinerte Gemeinde mit den wenigen Juden aus Ritschenhausen zu einer Synagogengemeinschaft zusammengeschlossen haben.

In den 1920er Jahren lebten in Bauerbach nur noch einzelne jüdische Familien, die die folgenden Geschäfte betrieben: das Lebensmittelgeschäft Wallach, das Textilhandelsgeschäft L. Eisemann und das Schuhmachergeschäft J.Mühlfelder. Mitte der 1930er Jahre gaben deren Besitzer ihre Geschäfte auf: Familie Wallach verzog nach Meiningen (1936), das Ehepaar Eisemann emigrierte in die USA (1938).

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde der jüdische Friedhof geschändet; bei einem Wohnhaus wurden die Scheiben eingeworfen. Das Synagogengebäude blieb verschont, da es zu diesem Zeitpunkt bereits einen nicht-jüdischen Besitzer hatte.

Die beiden letzten jüdischen Bewohnerinnen wurden Ende September 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 40 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Bauerbacher Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/bauerbach_sm_synagoge.htm).

 

Den einzigen Hinweis auf die Anwesenheit von Juden gibt heute der auf einer Anhöhe im Wald gelegene jüdische Friedhof, der auf einer Fläche von ca. 3.700 m² mit mehr als 350 erhaltenen Grabsteinen zu den größten in Südthüringen zählt. Die älteste Grabinschrift datiert von 1722. In den 1990er Jahren wurde das Friedhofsgelände wieder in einen würdigen Zustand versetzt.

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 Teilansichten des jüdischen Friedhofs in Bauerbach (Aufn. S., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0.de  und  J. Hahn, 2005)

Noch heute heißt der Ortsteil, in dem früher die jüdischen Familien gelebt haben, im Volksmund „Judenhof“.

 

Anmerkung: Im gleichnamigen badischen Bauerbach existierte bis ins ausgehende 19.Jahrhundert ebenfalls eine kleine jüdische Gemeinde. [vgl. Bauerbach (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg (Hrg.), Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland, in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Band 22, Berlin 1994, S. 241 - 243

Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen. Kulturgeschichtliche Reihe, Band 2, Hrg. Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege, Leipzig 1997

E.Schwerda/H.Nothnagel, Juden im Schillerort Bauerbach , in: Hans Nothnagel, Juden in Südthüringen, Band 3: Juden in der ehemaligen Residenzstadt Meiningen und deren Umfeld, Verlag Buchhaus, Suhl 1999, S. 69 - 91

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - eine Dokumentation II, g. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 800

M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 211/212

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Band 8 Thüringen, Frankfurt /M. 2003, S. 248

Gabriele Olbrisch, Landrabbinate in Thüringen 1811 - 1871. Jüdische Schul- und Kulturreform unter staatlicher Regie, in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen - Kleine Reihe", Band 9, Böhlau Verlag Köln - Weimar - Wien 2003, S. 41/42

Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, 2007, S. 64 – 69 

Lothar Lieb, Juden im Schillerort Bauerbach, in: "Meininger Schüler-Rundbriefe", Bd. 95 (2009), S. 42 - 46

Bauerbach (Thüringen) mit Ritschenhausen, in: alemannia-judaica.de

Eike Küstner, Jüdische Kultur in Thüringen. Eine Spurensuche, Erfurt 2012, S. 30 - 34

Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Bauerbach (Thüringen), in: Jüdische Friedhöfe in der Rhön. Haus des ewigen Lebens, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 34 - 37