Beerfelden (Hessen)

Bildergebnis für odenwaldkreis ortsdienst karte Beerfelden ist seit 2018 ein Ortsteil der Stadt Oberzent mit derzeit ca. 3.500 Einwohnern im Süden des hessischen Odenwaldkreises – ca. 40 Kilometer nordöstlich von Heidelberg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org gemeinfrei und Kartenskizze 'Odenwaldkreis', aus: ortsdienst.de/hessen/odenwald-kreis).

 

Die Wurzeln der jüdischen Gemeinde in Beerfelden reichen in das beginnende 18.Jahrhundert zurück, als die ersten beiden Familien hier unterkamen.

Die im Ort lebenden Familien hatten bereits seit ca. 1800 versucht, den Bau einer eigenen Synagoge durchzusetzen; bis dahin fanden gottesdienstliche Zusammenkünfte im Hause des Juden Feist Moses statt. Nach vielem Hin und Her und langen Verzögerungen durch die Behörden konnte dann ein zweistöckiger Bau in der heutigen Odenwaldstraße um 1840 realisiert werden. (Anm.: Neuere Forschungen besagen allerdings, dass der Bau bereits 1817 genutzt wurde) Ein anderes, der jüdischen Gemeinde gehörendes Gebäude beherbergte neben einer im Erdgeschoss untergebrachten Mikwe auch eine Lehrerwohnung.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20112/Beerfelden%20Israelit%2013051863.jpg 

Stellenausschreibungen für eine Lehrerstelle (aus: „Der Israelit“ vom 13.5.1863 und 20.4.1864)

In einem ausführlichen Bericht, der über die religiösen Verhältnisse der jüdischen Gemeinden im Odenwald - aus orthodox-jüdischer Sicht - Auskunft gibt, heißt es u.a. über Beerfelden:

„ … Dieser Ort macht ... eine rühmliche Ausnahme von den Gemeinden der ganzen Gegend. Hier ist noch Sinn und Anhänglichkeit für Thora vorhanden; die Leute sind mit einem Worte so fromm als es überhaupt bei den leidigen, jüdischen Verhältnissen, die hier herrschen, möglich ist. Wenn sie auch keine Thoralerner sind, so sind sie doch Thoraliebhaber; und das will in einem Orte, der nur 3 Stunden von Michelstadt entfernt ist, viel heißen. ... Schon seit Jahren herrscht hier wegen ursprünglich ganz geringfügiger Veranlassungen eine arge Spaltung in der Gemeinde, die schon sehr viel öffentlichen Ärger bereitet hat. Eine kleine aus etwa 5 Familien bestehende Partei, hat sich von der etwa 30 Familien zählende Gemeinde lösgelöst; weil sich letztere nicht kleinlichen Sonderinteressen fügen will. Viele angesehene Männer außerhalb der Gemeinde waren bemüht, hier den Frieden herzustellen und haben die friedliebende Gemeinde zu allen überhaupt mögliche Konzessionen veranlasst, aber alles Bemühen ist an der Zähigkeit der Minorität gescheitert; und so nistet sich dieser Streit trotz aller von den obrigkeitlichen Behörden angestellten Vermittlungsversuchen täglich mehr und mehr ein. Welch ein schmerzlicher Anblick! … Freunde, Brüder! Das muß anders, muß besser werden. Ihr ... könntet eine Mustergemeinde sein, für alle Glaubensgenossen im Odenwalde …“   (aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Sept. 1870)

Einen eigenen Friedhof an der Straße nach Ober-Sensbach gab es erst seit Ende der 1920er Jahre.

                        Artikel von 1928

Obwohl das Gelände bereits 1922 angekauft worden war, verzögerten Auseinandersetzungen mit NSDAP-Gemeindevertretern die Einweihung und Nutzung; die erste Beisetzung fand erst 1927 hier statt. Zuvor waren die Verstorbenen der Beerfelder Judenschaft auf dem jüdischen Friedhof in Michelstadt beerdigt worden.

Im ausgehenden 19.Jahrhundert war die Gemeinde Beerfelden dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt unterstellt, Anfang der 1930er Jahre gehörte sie zum liberalen Darmstädter Rabbinatsbezirk.

Juden in Beerfelden:

         --- 1691 ............................   2 jüdische Familien,

    --- 1797 ............................   8     “       “    ,

    --- 1809 ............................  17     “       “    ,

    --- 1817 ............................  17     "       "    ,

    --- 1829/30 ......................... 111 Juden,

    --- 1837 ............................ 133   "  ,

    --- um 1865 ..................... ca. 190   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1880 ............................ 157   "  ,

    --- 1890 ............................ 150   “  ,

    --- 1910 ............................ 120   "   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1925 ............................ 106   “  ,

    --- 1931 ............................  85   “  ,

    --- 1936 ............................  68   “  ,

    --- 1937 ............................  28   “  ,

    --- 1938 ............................  23   “  ,

    --- 1942 ............................  12   “  ,

             (Okt.) .....................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 58

und                  Beerfelden, aus: alemannia-judaica.de

 

              Anzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom Aug. 1900

Schon vor dem Novemberpogrom von 1938 war die jüdische Einwohnerschaft stark zurückgegangen; zahlreiche Beerfelder Juden waren emigriert, vor allem in die USA. Nur noch 23 jüdische Bewohner hielten sich während der „Reichskristallnacht“ im Ort auf.

Die Synagoge, die noch kurz zuvor teilweise renoviert worden war, wurde in der Nacht vom 9./10. November 1938 zerstört; eine Brandlegung unterblieb, weil sich das Gebäude in unmittelbarer Nähe zweier Gemeindescheunen befand und somit die Gefahr eines Großfeuers bestand. Deshalb wählte man einen anderen Weg: Das Synagogengebäude wurde eingerissen, und die Trümmer wurden anschließend beseitigt. Den Leichenwagen der jüdischen Gemeinde zerrte man vor die Synagoge und verbrannte diesen.

                Trümmer der Synagoge, Nov. 1938 (Stadtarchiv Beerfelden)

Die letzten zwölf jüdischen Bewohner wurden im Herbst 1942 - über die Sammelstelle in Darmstadt - „in den Osten umgesiedelt“; ab Oktober 1942 war Beerfelden „judenfrei.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind nachweislich 40 gebürtige bzw. längere Zeit in Beerfelden ansässig gewesene jüdische Bewohner der "Endlösung" zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/beerfelden_synagoge.htm).

 

Der von einer Steinmauer umgebene jüdische Friedhof - direkt an der Landstraße nach Ober-Sensbach – weist auf dem relativ großen Areal von ca. 3.500 m² nur wenige Grabstätten auf; denn von dessen erster Nutzung (1928) bis Anfang der 1940er Jahren wurden hier nur wenige Verstorbene begraben. Während der NS-Zeit waren Grabsteine umgeworfen bzw. teilweise schwer beschädigt worden; das Taharahaus wurde 1938 zerstört.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2075/Beerfelden%20Friedhof%20101.jpgBlick auf den jüdischen Friedhof von Beerfelden (Aufn. J.Hahn, 2006)

An der Evang. Kirche Beerfeldens erinnert seit 1990 eine Bronzetafel an die ehemaligen jüdischen Einwohner des Ortes:

Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Beerfelden erinnern an alle ehemaligen jüdischen Mitbürger.

Sie lebten durch lange Zeit mit uns in Frieden.

Durch die tragischen Ereignisse der nationalsozialistischen Verfolgung, die viele Opfer forderten, mußten sie dieses Miteinander aufgeben.

Heilig ist uns die Erinnerung an die Opfer ohne Zahl.

Bildergebnis für beerfelden stolpersteine Zur Erinnerung an die Zerstörung der Beerfeldener Synagoge wurde 2009 am ehemaligen Standort in der Odenwaldstraße (früher: Peter-Gemeinder-Straße) eine Gedenktafel enthüllt (Abb. M. Ohmsen, 2011, aus: alemannia-judaica.de).

Beginnend im Jahre 2012 wurden in Beerfelden ca. 20 sog. „Stolpersteine“ (an sieben Standorten) verlegt, die nicht nur jüdischen NS-Opfern gewidmet sind; die Initiative dazu ging von einem Pädagogen der Oberzentschule aus, der zusammen mit seinen Schüler/innen diese Aktion betrieb.

 

 Abraham Salomon Rosenthal, der 1854 in Beerfelden geboren wurde und später in die USA auswanderte, gilt als großer Wohltäter seiner Geburtsstadt. 1929 stiftete er dieser "zum Zeichen der Liebe für diese Heimat" 200.000 Reichsmark; das Kapital – ursprünglich für ein Volksbad und einen Kindergarten bestimmt - wurde dann von der Kommune zur Armenstiftung umgewidmet. - Im Jahre 2006 wurde für Abraham Salomon Rosenthal ein Gedenkstein gesetzt und ein Platz der Stadt nach ihm benannt. 

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 58/59

Beerfelden im Wandel der Zeiten (3 Bände), Hrg. Magistrat der Stadt Beerfelden, 1985/1992 (2. Aufl.)

N.N. (Red.), Von der Vergangenheit lernen. Gedenktafel erinnert an ehemalige jüdische Mitbürger, in: „Odenwälder Heimatzeitung“ vom 9.7.1990

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS, Frankfurt 1995, S. 243/244

Renate Knigge-Tesche, Erinnern und Gedenken in Hessen, Hrg. Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden 1999

Beerfelden, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie und diversen Aufnahmen vom Friedhof)

Klaus Hesse/Philipp Springer, Vor aller Augen - Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz, Klartext Verlag, Essen 2002, S. 101

Uri Kaufmann, Die Beerfeldener Juden von 1691 – 1941, hrg. von der Stadt Beerfelden, Beerfelden 2003

Gedenktafel zur Erinnerung an die Zerstörung der Beerfeldener Synagoge angebracht, in: schulserver.hessen.de vom Juli 2009

N.N. (Red.), Schicksale lassen bald auch Beerfelder stolpern, in: echo-online.de vom 4.1.2012

Thomas Wilken (Red.), Oberzent. Schrubben gegen das Vergessen, in: echo-online.de vom 8.2.2018

Thomas Wilken (Red.), Vom Leiden des Joseph Salomon, in: echo-online.de vom 18.11.2019