Bergheim (Elsass)
Bergheim ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 2.100 Einwohnern – ca. 15 Kilometer nördlich von Colmar bzw. ca. zehn Kilometer südwestlich von Schlettstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde in Bergheim mit mehr als 400 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand.
Die Wurzeln einer jüdischen Gemeinde in dem ca. 15 Kilometer nördlich von Colmar gelegenen Bergheim reichen bis in die erste Hälfte des 14.Jahrhunderts zurück. Überlieferungen zufolge sollen jüdische Bewohner des Ortes während der sog. „Armleder-Verfolgung“ von 1338 und der Pestpogrome von 1348/1349 ums Leben gekommen sein, sodass die kleine jüdische Gemeinschaft vernichtet wurde. Doch bereits drei Jahrzehnte später erhielten jüdische Familien vom habsburgischen Erzherzog Leopold III. erneut Wohnrechte. Während des Bauernkrieges (1525) waren die hier lebenden Juden von Plünderungen durch marodierende Horden betroffen. Mitte des 16.Jahrhunderts wurden sie erneut kurzzeitig aus Bergheim vertrieben.
Bergheim um 1660 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Gegen Ende des 16.Jahrhunderts gründete sich die neuzeitliche israelitische Gemeinde, die dann ohne Unterbrechungen bis ins 20.Jahrhundert existiert hat. Ihren zahlenmäßigen Zenit erreichte diese in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit immerhin mehr als 400 Angehörigen.
Pogromartige Ausschreitungen im Juni 1832 - getragen von Bauern und Arbeitern - zwangen jüdische Familien zur Flucht aus dem Ort; das zum Schutz der Juden angeforderte Militär wurde ebenfalls vom Pöbel angegriffen. Der äußere Anlass für den Pogrom, der zwei Menschenleben forderte, war vermutlich ein belangloser Streit; in der Öffentlichkeit wurden aber ursächlich die „betrügerischen Geschäfte“ der Juden genannt.
Ein erster Synagogenbau war bereits zu Beginn des 14.Jahrhunderts genutzt worden; im Zuge der spätmittelalterlichen Verfolgungen musste er aber aufgegeben werden und diente danach als Wohnhaus. Ob dieses Gebäude nach der erneuten Ansiedlung jüdischer Familien wieder als gottesdienstlicher Raum genutzt wurde, kann nicht eindeutig belegt werden. Sicher ist jedoch, dass die Bergheimer Juden ab dem ausgehenden 16.Jahrhundert wieder über eine Synagoge verfügten. Anfang der 1860er Jahre wurde diese an gleicher Stelle in der Rue des Juifs („Judengasse“) durch einen Neubau im neoromanischen Stil ersetzt; für den Bau verantwortlich zeichnete der Architekt Auguste Hartmann.
Synagoge vor und nach der Restaurierung (Aufn. Rothé, um 1985 und Olivier Lévy, 2007 bzw. Th. Koch, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 2.5 bzw. 4.0)
In den Jahrzehnten nach dem Synagogenbau war eine starke Abwanderung der jüdischen Familien zu verzeichnen; innerhalb von 30 Jahren hatte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen um ca. 70% vermindert. Bergheim war Sitz eines Bezirksrabbinats, das bis 1910 bestand. Obwohl in Bergheim eine relativ große israelitische Gemeinde beheimatet war, gab es hier kein eigenes Begräbnisgelände. Ihre Verstorbenen begrub die Gemeinde Bergheim auf dem ca. 45 Kilometer entfernten jüdischen Zentralfriedhof in Rosenweiler/Rosenwiller.
Der jüdische Friedhof in Rosenwiller ist der größte jüdische Friedhof im Elsass und zugleich einer der größten jüdischen Verbandsfriedhöfe in Mitteleuropa. Folgende israelitische Gemeinden des Unter-Elsass bestatteten hier ihre Toten: Baldenheim, Biesheim, Bischheim, Bonhomme, Brumath, Buswiller, Dambach, Dangolsheim, Diebolsheim, Dinsheim, Duppigheim, Duttlenheim, Eckbolsheim, Epernay, Epfig, Ettingen, Fegersheim, Grusenheim, Gunstett, Kaysersberg, Kolbsheim, Krautergersheim, Kuttolsheim, Lingolsheim, Molsheim, Mutzig, Niedernai, Obernai, Oberschaeffolsheim, Osthoffen, Ottrott-le-Bas, Rosheim, Scharrachbergheim, Schirmeck, Soultz, Stotzheim, Strasbourg, Traenheim, Valff, Zellwiller. Auf dem ca. 40.000 m² großen Begräbnisgelände werden nahezu 6.500 Grabstätten gezählt; die meisten vorhandenen Grabsteine stammen aus der Zeit des 18. und frühen 19.Jahrhunderts.
Aufn. Ralph Hammann, 2012, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Juden in Bergheim:
--- um 1550 .................... ca. 20 jüdische Familien,
--- 1735 .......................... 36 “ “ ,
--- 1784 .......................... 67 “ “ (ca. 330 Pers.),
--- 1846 .......................... 439 Juden,
--- 1861 .......................... 361 “ ,
--- 1900 .......................... 91 “ ,
--- 1910 .......................... 64 " ,
--- 1936 .......................... 26 “ ,
--- 1953 .......................... 54 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 53
Ortskern von Bergheim, um 1910 (Abb. aus: akpool.de)
In der NS-Zeit wurde die Synagoge verwüstet und geplündert, das Gebäude selbst blieb aber erhalten. Die letzten noch im Ort verbliebenen jüdischen Bewohner wurden 1940 von den deutschen Besatzungsbehörden nach Südfrankreich deportiert.
Nach Kriegsende bildete sich vorübergehend eine neue kleine jüdische Gemeinde; die Synagoge aber nicht mehr zu Gottesdiensten verwendet.
Ab Anfang der 1990er Jahre wurde das Gebäude saniert (abgeschlossen 2002) und dient seitdem kulturellen Zwecken und als Stätte der Begegnung.
restaurierter Innenraum der Synagoge in Bergheim (Aufn. Th. Koch, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf einer Tafel am ehemaligen Synagogengebäude ist ein zweisprachig (dt./frz.) abgefasster Text zu lesen:
Die SYNAGOGE wurde 1860 an der Stelle der mittelalterlichen Synagoge erbaut, die sich dort seit dem 14.Jh. befand.
Sie erinnert an die jüdische Gemeinde, die oft verfolgt, zersplittert oder während der Shoah (1940 – 1945) vernichtet wurde.
1992 säkularisiert, dient die Synagoge heutzutage zu kulturellen Zwecken und als Stätte der Begegnung.
Der französische Text lautet: "SYNAGOGUE reconstruite en 1860 sur le même emplacement que la synagogue médiévale (XIVème siècle). Elle rappelle la présence d'une communauté juive, souvent persécutée, et qui fut despersée ou anénantie lors de la Shoah (1940-1945). Désacralisée en 1992, la synagogue est aujourd`hui espace culturel et lieu de vie."
Im „Museum Bartholdi“ in Colmar ist ein historischer Thoravorhang aus der Bergheimer Synagoge ausgestellt.
Thoravorhang (Abb. aus: alamy.com)
Weitere Informationen:
Moses Ginsburger, Les Juifs à Ribeauvillé et Bergheim (Aufsatz), in: "Publications de la Société pour l’histoire des Israélites d’Alsace et de Lorraine", Band 25, Straßbourg 1939
Paul Assall, Juden im Elsaß, Elster Verlag Moos GmbH, Bühl-Moos 1984, S. 91 f.
Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 99 - 101
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagoges d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992
Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß. Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995
Bergheim (Elsass), in: alemannia-judaica.de
Daniel Gerson, Die Kehrseite der Emanzipation in Frankreich. Judenfeindschaft im Elsass 1778 bis 1848, hrg. vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Klartext-Verlag, Essen 2006, S. 206
Jean Daltroff: La route du judaïsme en Alsace. 2. Aufl., Bernardswiller 2010, S. 61