Deidesheim (Rheinland-Pfalz)

Karte Pfälzerwald.pngBad Dürkheim (Landkreis) Karte Deidesheim ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 3.800 Einwohnern im rheinland-pfälzischen Landkreis Bad Dürkheim - zwischen Neustadt a.d. Weinstraße und Bad Dürkheim gelegen (Karte ohne Eintrag von Deidesheim, aus: Lencer, 2008, aus: wikivoyage.org/wiki, GFDL  und  Kartenskizze 'Landkreis Bad Dürkheim', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/bad-duerkheim).

 

Bereits im 14.Jahrhundert gab es in Deidesheim eine relativ große und wohlhabende jüdische Gemeinde; die Juden lebten zunächst als „Kammerknechte“ des Königs bzw. des Kaisers und zahlten jedes Jahr eine nicht unbedeutende Reichssteuer; nach ihrer Verpfändung 1315 war die Deidesheimer Judenschaft dem Speyerer Bischof abgabenpflichtig. Im Zuge der Pest-Verfolgungen im Frühjahr 1349 wurde die Deidesheimer Judenschaft vernichtet; ihre am Dorfplatz stehende Synagoge ging samt Grundstück als bischöfliche Schenkung in die Hände des St. Guidostifts über.

undefined

Deidesheim - Zeichung F. Kobell, um 1785  und  "Wormer Tor" - auch "Judenpforte" genannt, Zeichnung von 1776 (beide Abb. aus: wikipedia.org, CCO)

Ob sich in den nachfolgenden Jahrhunderten in Deidesheim wieder Juden aufgehalten haben, kann nicht eindeutig beantwortet werden; sichere Belege liegen erst wieder aus dem 17.Jahrhundert vor. So klagte im Jahre 1686 die christliche Bürgerschaft, dass „alhiesige Juden sich in groser anzahl allhier mereten, täglich ihre mannbare kindter auch in schutz zu bringen trachten, ja die bürgerliche häußer sich erkauffen, neu erbauten und die vornehmbste uff dem marckh um die Kirch herumb gelegene umb zinß bewohneten”. Ihren Lebensunterhalt verdienten die in Deidesheim lebenden Juden im Vieh- und Kleinhandel; sie besaßen auch Metzgereien.

Seit Ende des 17.Jahrhunderts kamen die Deidesheimer Juden in einem Betraum zusammen, der im Hintergebäude eines Anwesens einer jüdischen Familie am Dorfplatz lag; vermutlich fiel das Gebäude der Ortszerstörung 1689 zum Opfer; es wurde an gleicher Stelle wieder aufgebaut. Trotz finanzieller Schwierigkeiten errichtete die Judenschaft Deidesheims an Stelle des inzwischen baufällig gewordenen alten Gebäudes Anfang der 1850er Jahre eine neue Synagoge; sie war im neuromanischen Stil gestaltet, aber einfach ausgestattet.

Religiöse Aufgaben verrichtete ein seitens der Gemeinde angestellter Religionslehrer. Als die Zahl der Gemeindemitglieder und die der jüdischen Schulkinder dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark zurückgegangen war, suchte die Gemeinde einen bereits pensionierten Lehrers mit bescheidenen Gehaltsansprüchen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20190/Deidesheim%20Israelit%2023121897.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20117/Deidesheim%20Israelit%2010101904.jpg

Zwei Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23.Dez. 1897 und 10.Okt. 1904

Spätestens um 1700 nutzten die Deidesheimer Juden ein kleines Friedhofsgelände unmittelbar neben dem christlichen „Todtenacker“. Versuche der Kirche, diesen „Judenacker“ zu verlegen, scheiterten aber nach Entscheid des Landesherrn. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahre 1712. 

Die Gemeinde Deidesheim gehörte zum Bezirksrabbinat Frankenthal.

Juden in Deidesheim:

    --- um 1685 .........................  7 jüdische Familien (ca. 40 Pers.),

    --- um 1730 .........................  6     “       “    ,

    --- um 1780 .........................  4     “       “     (ca. 20 Pers.),

    --- 1801 ............................ 30 Juden,

    --- 1817 ............................ 48   “  ,

    --- um 1850 ..................... ca. 95   “   (in 17 Familien),

    --- 1875 ............................ 47   “  ,

    --- 1900 ............................ 40   “  ,

    --- 1926 ............................ 12   “   (in 4 Familien),

    --- 1934 ............................ 11   “   (in 3 Familien),

    --- 1938 ............................  5   “  .

Angaben aus: Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, S. 67

und                 Berthold Schnabel, Erinnerungen an die jüdische Gemeinde von Deidesheim

 

Teilansicht von Deidesheim* - um 1900 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)

* Im Vordergrund ist die Bahnhofsstraße, am linken Bildrand die Synagoge und rechts das Schloss zu erkennen.

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch drei oder vier jüdische Familien im Ort. 1936 musste die immer kleiner gewordene jüdische Gemeinschaft das Synagogengebäude veräußern, da sie dieses nicht mehr unterhalten konnte; Käufer war ein Privatmann, der es anschließend als Lagerraum nutzte. Dies war der Grund dafür, dass das Gebäude erhalten blieb und nicht der Zerstörungswut der Nationalsozialisten zum Opfer fiel; von der Inneneinrichtung ist allerdings nichts mehr vorhanden.

Während des Novemberpogroms wurden die Wohnungen zweier jüdischer Familien demoliert; Anstifter der Zerstörungsorgie waren der hiesige Polizeichef und der Schulleiter; letzterer ermunterte auch seine Schüler zu antijüdischen Ausschreitungen. So wurde der jüdische Weinhändler Oswald Hugo Feis gezwungen, auf der Straße Klavier zu spielen, nachdem der Mob seine Wohnung demoliert hatte. Mehrere jüdische Bürger wurden „in Schutzhaft“ genommen, einer für einige Wochen ins KZ Dachau verbracht. Auch der jüdische Friedhof wurde von Mitgliedern der SA geschändet, ein Großteil der Grabsteine zerstört und umgeworfen.

Der in die "Heil- u. Pflegeanstalt" Freudenthal eingewiesene Oswald Hugo Feis wurde später in die "Euthanasie"-Anstalt Schloss Hartheim verlegt und dort umgebracht.

Die letzten drei jüdischen Bewohner Deidesheims wurden am 20.Oktober 1940 mit dem großen Deportationstransporten nach Gurs verfrachtet.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind nachweislich acht aus Deideheim stammende Juden dem Holocaust zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/deidesheim_synagoge.htm).

Im Februar 1946 mussten ehemalige NSDAP-Mitglieder bzw. SA-Angehörige das Friedhofsgelände wieder in einen „würdigen Zustand“ versetzen. Seit 1988 steht das Gelände unter Denkmalschutz. - Vier Jahre nach Kriegsende fand in der zum Gerichtssaal umfunktionierten Berufsschule in Deidesheim ein Prozess wegen der Ausschreitungen während des November 1938 statt; 16 Männer, meist aus Deidesheim, waren angeklagt. Der ehemalige Schulleiter erhielt eine dreijährige Haftstrafe, die anderen kamen mit geringen Freiheitsstrafen davon.

 

Am Standort der früheren Synagoge in der Bahnhofstraße erinnert eine Gedenktafel an die Zerstörung des Innenraumes und an die Verfolgung und Deportation der Deidesheimer Juden. Das Synagogengebäude von Deidesheim zählt zu den wenigen jüdischen Gotteshäusern der Region, die das NS-Regime äußerlich unversehrt überdauerten; seit 1988 steht es unter Denkmalschutz. Vier Jahre danach wurde es von der Stadt Deidesheim angekauft; Bemühungen des Mitte der 1990er Jahre gegründeten „Freundeskreis Deidesheimer Synagoge e.V.”, Finanzmittel für die notwendige Renovierung aufzutreiben, waren erfolgreich. 2004 konnte nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten das Gebäude als „Kultushaus am Schlosspark” der Öffentlichkeit übergeben werden.

Deidesheim - Bahnhofstraße 19 Ehemalige Synagoge.jpg

Synagogengebäude vor und nach der Restaurierung (Aufn. Skrotzki u. P., 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Eine außen angebrachte Tafel informiert über die Historie des Gebäudes.

Anm.: Im Sommer 2016 wurde das Gebäude durch einen vom Nachbarhaus übergegriffenen Brand teilweise zerstört.

Seit 2020 erinnert am Eingang zur ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel an Oswald Hugo Feis* und dessen Wirken am Ort; den Vorraum der Synagoge benannte man "Oswald-Hugo-Feis-Hof".

* Hugo Feis (geb. 1872) war ein angesehener jüdischer Weinhändler in Deidesheim, der fast drei Jahrzehnte dem hiesigen Stadtrat angehörte. 1933 wurde er seines Amtes enthoben; 1939 in eine "Heil- u. Pflegeanstalt" eingewiesen erfolgte ein Jahr später seine Ermordung in der "Euthanasie-Anstalt" Schloss Hartheim (bei Linz.)

Im Frühjahr 2011 wurden an drei Standorten in Deidesheim insgesamt neun sog. „Stolpersteine“ verlegt.

         undefinedundefinedundefined

       verlegt in der Weinstraße (Aufn. MR, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) und in der Heumarktstraße  (Aufn. R. 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

Das ca. 800 m² große Areal des jüdischen Friedhofs am Platanenweg weist heute noch ca. 95 Grabsteine auf, die nach der Schändung (während der Novembertage 1938) nach Kriegsende wieder restauriert wurden.

Jüdischer Friedhof in Deidesheim (Aufn. MR, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

Weitere Informationen:

Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 158

Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau/Pfalz 1986

In Synagoge steckt Stein des Anstoßes. Vor dem Neubau Gottesdienst im Kelterhaus, in: "Die Rheinpfalz" (Ausgabe Neustadt) vom 31.7.1987

Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße, 1988, S. 66 - 68

Berthold Schnabel, Die Deidesheimer Synagogen. Seit dem 14.Jahrhundert jüdische Gemeinden in der Weinstadt, in: "Heimat-Jahrbuch", 6/1988, Hrg. Landkreis Bad Dürkheim

Berthold Schnabel, Erinnerungen an die jüdische Gemeinde von Deidesheim, in: "Deidesheimer Heimatblätter - Beiträge zur Geschichte des ehemaligen fürstbischöflich-speyerischen Amtes und der heutigen Verbandsgemeinde Deidesheim", Heft 7/1991, S. 1 - 19, Hrg. Heimatfreunde Deidesheim und Umgebung e.V., 1991

Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute, Beiträge zur Regionalgeschichte des 19./20.Jahrhunderts, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1992

Markus Weis, Kunst und Architektur in Deidesheim, in: K.Andernach/B.Schnabel (Hrg.), Deidesheim. Beiträge zu Kultur u. Geschichte einer Stadt im Weinland, Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1995

Franz-Josef Ratter, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zur Situation der ehemaligen Synagoge in Deidesheim, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte u. zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 11 (1/1996), S. 46

www.freundeskreis-deidesheimer-synagoge.de

Deidesheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Aufnahmen der ehem. Synagoge)

Landsynagogen. Zwischen Kulturdenkmal, Gedenkstätte und Lernort. Eine Dokumentation der Tagung in Waren an der Müritz, April 2002, S. 17/18

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 133 - 135

Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 60/61

Berthold Schnabel/Heimatfreunde Deidesheim und Umgebung (Hrg.), Jüdisches Leben in Deidesheim zwischen 1630 und 1730, in: "Deidesheimer Heimatblätter", No. 19, Deidesheim 2007

Auflistung der in Deidesheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Deidesheim

N.N. (Red.), Kulturhaus: Brand zerstört den Dachstuhl, in: „Die Rheinpfalz" (Ludwigshafen) vom 22.8.2016

Holger Pöschl (Red.), Erst ausgeraubt, dann umgebracht – vor 80 Jahren wurde das ehemalige Deidesheimer Stadtratsmitglied Oswald Hugo Feis von den Nazis ermordet, in: „Die Rheinpfalz“ vom 18.9.2020

Jochen Willner (Red.), Deidesheimer erinnern an Wohltäter und Opfer des NS-Terrors Oswald Hugo Feis, in: „Die Rheinpfalz“ vom 6.10.2020

Franz-Josef Ratter/Berthold Schnabel (Bearb.), Auf jüdischen Spuren durch Deidesheim – Flyer (mit Fotos von Bernd Stoll), hrg. von der "Arbeitsgemeinschaft Jüdisches Leben in Deidesheim", 2021

Holger Pöschl (Red.), Jüdischer Friedhof: Was die Steine uns erzählen können, in: „Die Rheinpfalz“ vom 5.7.2023