Diez/Lahn (Rheinland-Pfalz)
Diez an der Lahn mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern ist eine ehemalige Residenzstadt im Nordosten des heutigen Rhein-Lahn-Kreis und Verwaltungssitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde – nur wenige Kilometer südwestlich von Limburg/Lahn gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Rhein-Lahn-Kreis', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Diez an der Lahn – Merian-Stich um 1660 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Seit Beginn des 14.Jahrhunderts sind Juden in Diez urkundlich nachweisbar; allerdings handelte es sich stets um sehr wenige jüdische Familien. In einer landesherrlichen Verordnung der Diezer Grafen von 1315 wurden besondere Bestimmungen für den Umgang mit den Juden am Ort erlassen; so war es z.B. den Landesbewohnern verboten, mit Juden Handel zu treiben.
Die Fürst-Regentin Albertine von Nassau-Diez erließ 1682 eine erste umfangreiche „Juden-Ordnung“, die in 21 Artikeln zahlreiche Restriktionen gegenüber den hier lebenden Juden verfügte; erlaubt waren ihnen der Handel mit Geld und Silberwaren, mit Vieh und Wein; ihre Freizügigkeit war aber eingeschränkt. Diese „Juden-Ordnung“ wurde mehrfach abgewandelt und blieb bis ca. 1800 gültig.
Der Diezer Stadtchronist Georg Wilhelm Bautzer schrieb 1785:
... In der Stadt Diez ist den Schutzjuden nicht nur der offene Laden, sondern auch der freie Handel mit allem, was davon nicht besonders ausgenommen ist, bis auf weitere Verordnung gestattet. Unter diese Ausnahme gehören:
1. daß sie sich alles Frucht- und Weinhandels bei Strafe der Konfiskation, es sei denn einem oder dem anderen hierzu eine besondere Erlaubnis erteilt worden, gänzlich enthalten;
2. daß sie keinen Wein, den sogenannten Koschewein für die Juden ausgenommen, verzapfen;
3. daß sie von der Gattung Waren, welche in Diez verfertigt werden, keine fremden einführen;
4. daß sie keinen Spezerei- und dergleichen Waren als Tee, Kaffee, Zucker, Öl, Salz und dergleichen, alles bei Strafe der Konfiskation, handeln;
5. daß sie sich des Viehschlachtens, außer bei ihren großen Feiertagen, enthalten, und endlich:
6. daß sie mit keinen Waren hausieren sollten.
Dietz, den 20.Juli 1785
Neben Schutzgeldzahlungen an die Landesherrschaft wurden die Juden von Diez zu weiteren städtischen Diensten herangezogen, die zumeist finanzieller Art waren; doch auch das Beschaffen des Lampenöls für die Wachstuben der Stadttore gehörte beispielsweise zu diesen Auflagen.
Zur Kultusgemeinde gehörten seit 1905 zeitweilig auch die Juden der Ortschaften Cramberg und Flacht, Balduinstein bereits seit ca. 1840. Ihre erste Synagoge aus der Mitte des 18.Jahrhunderts befand sich in einem Hinterhaus in der Altstadtstraße - im Vorderhaus wohnte der jüdische Lehrer; im Volksmund wurde sie die „alte Juddeschul“ genannt; sie diente bis Mitte des 19.Jahrhunderts als gottesdienstlicher Treffpunkt.
Anfang der 1860er Jahre begann die deutlich angewachsene Gemeinde mit dem schon lange geplanten Synagogenneubau. Im November 1863 wurde das neue, recht repräsentative Bauwerk am Ende der Kanalstraße durch den Emser Bezirksrabbiner Hochstädter eingeweiht.
Synagoge in Diez (um 1905, Bildausschnitt, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Über die Einweihung berichtete die Zeitschrift „Der Israelit” in ihrer Ausgabe vom 2. Dezember 1863:
Diez. (Herzogthum Nassau.) Freitag den 13.November begingen wir das Fest der Einweihung unserer Synagoge, welches von gutem Wetter, im Vergleiche zu den vorhergehenden Tagen, begünstigt, wohl noch lange in schönster Erinnerung bleiben wird. ... Die Synagoge ist in gothischem Styl ausgeführt, in der Mitte der Stadt gelegen, macht einen erhebenden Eindruck, sowohl was die äußere als auch die innere Bauart betrifft. ...
Zum gleichen Anlass hieß es in einem Bericht der „Allgemeinen Zeitung des Judentums“ vom 22. Dezember 1863:
Diez (Nassau), 18. November. Am vorigen Freitag wurde hier die neue Synagoge feierlich eingeweiht. Das Gebäude verbindet das Einfache mit dem Soliden und Geschmackvollen und ist in allen Theilen vortrefflich ausgeführt. Zu der Feier waren außer den drei nassauischen Rabbinen die hiesigen christlichen Geistlichen, das Amtspersonal, die Spitzen der übrigen Staatsbehörden, Gemeinderath und Feldgericht, die Synagogenbauhandwerker sowie mehrere Herren eingeladen, welche sich durch Uebernahme von Obligationen bei den Cultusanleihen betheiligten. Die Weihe und die Predigt wurden in trefflichster Weise durch den Herrn Bezirksrabbiner Hochstädter in Ems ausgeführt.
Nach Einweihung des neuen Synagogengebäudes wurde das alte aufgegeben und abgerissen; Einrichtungsgegenstände wie den alten Thoraschrein mit den Vorhängen bot die jüdische Gemeinde per Annonce anderen kleineren Gemeinden an:
Kleinanzeige aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11.Mai 1864
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war - außer dem bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts am Ort amtierenden Rabbiner - ein Religionslehrer in Anstellung. Neben unterrichtlicher Tätigkeit übte er auch das Amt des Vorsängers und des Schächters aus.
Ausschreibungen der Lehrerstelle in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9.Sept. 1863 und vom 4.Aug. 1887
Etwa vier Jahrzehnte war der Lehrer Nehemias Alt in der Gemeinde Diez tätig (bis kurz vor seinem Tod 1933).
Die jüdische Gemeinde Diez besaß zwei Friedhöfe: einen alten, bereits seit Anfang des 17.Jahrhunderts bestehenden am Hain und ein gegen Ende des 19.Jahrhunderts angelegtes Begräbnisgelände auf dem Guckenberg am Fachinger Weg; auf Grund der vollständigen Belegung des alten Friedhofs wurde um 1895 das neue Begräbnisareal in Nutzung genommen.
Mit dem Wohnsitzwechsel des damaligen Rabbiners Wormser nach Hadamar wurde auch 1852 der Sitz des Rabbinats dorthin verlegt. Nach Auflösung des Rabbinats (1860) gehörte die Gemeinde fortan zum Rabbinatsbezirk Ems/Weilburg.
Die Initiative zur Einrichtung eines israelitischen „Erziehungshauses“ für Waisen und Kinder unbemittelter Eltern ging in Diez von einem in den 1880er Jahren gegründeten Verein aus. Zunächst wurden die Jungen in angemieteten Räumlichkeiten im Ort untergebracht, ehe dann am Schlossberg ein eigenes Gebäude errichtet wurde. Diese überregional geführte Einrichtung, die anfänglich vom jüdischen Religionslehrer S.Lomnitz geführt wurde, stellte bis zu 40 Plätze zur Verfügung.
"Deutsch-Israelitisches Kinderheim" in Diez a.d.Lahn
Anm.: Vermutlich auf Grund von Differenzen mit dem Vereinsvorstand gab Lomnitz die Leitung des Kinderheims ab und gründete im Ort 1892 ein eigenes Kinderheim für Mädchen ("Deutsch-Israelitisches Reichswaisenhaus Diez an der Lahn"). Es bestand aber hier nur einige Jahre und wurde dann nach Limburg verlegt.
Juden in Diez:
--- 1665 .......................... 4 jüdische Familien,
--- 1785 .......................... 10 “ “ ,
--- 1812 .......................... 13 “ “ ,
--- 1840/43 ....................... 91 Juden,* * im Amt Diez 328 Juden
--- 1871 .......................... 129 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1895 .......................... 130 “ ,
--- 1900 .......................... 128 “ ,
--- 1905 .......................... 111 “ ,
--- 1910 .......................... 124 “ ,
--- 1925 .......................... 90 “ ,
--- 1933 ...................... ca. 60 “ ,** ** ohne das jüdische Kinderheim
--- 1939 (Jan.) ................... 20 “ ,
--- 1943 (Mai) .................... ein “ ().
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die Jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 139
und Heinz Stein, Die Geschichte der Juden in unserer nassauischen Heimat
Altestadtstraße in Diez, hist. Posrkarte (aus: akpool.de)
Anfang des 19.Jahrhunderts lebten in Diez ca. zwölf jüdische Familien, die als Wein-, Vieh- und Wollhändler recht wohlhabend geworden waren. Das Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Bevölkerung von Diez muss gegen Ende des 19.Jahrhunderts sehr harmonisch gewesen sein; davon zeugen Berichte, in denen Diezer Juden wegen ihres politischen als auch sozialen Engagements gewürdigt wurden.
Zur ersten größere antijüdischen „Aktion“ der NSDAP kam es am 1.April 1933, als vor den zwölf jüdischen Geschäften von Diez SA- und SS-Angehörige postiert wurden, die mit Parolen „Wer vom Juden frißt, stirbt daran” und „Deutsche, kauft nicht bei Juden” Kaufwillige am Betreten der Geschäfte hinderten. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde wurde im Sommer 1933 in „Schutzhaft“ genommen und schwer misshandelt. 1935 setzte in Diez eine zweite antijüdische Kampagne ein, die Diezer Bürger unter Druck setzen sollte, nicht weiterhin bei Juden zu kaufen; ein „Stürmer-Kasten“ mit den Namen der „ertappten“ Käufer schüchterte die Bevölkerung weiter ein.
Das am Diezer Schlossberg bestehende "Deutsch-Israelitische Kinderheim" wurde 1935 geräumt und die Kinder auf entsprechende Einrichtungen in Frankfurt und Köln verteilt.
Die Diezer Schulchronik berichtete vom August 1935 wie folgt:
„ ... die auswärtigen Judenkinder aus der Diezer Volksschule zu entfernen. ... Beurlaubung sämtlicher Judenkinder ... Am 17.August abends in der Dunkelheit demonstrierte eine große Volksmenge vor dem israel. Kinderheim und forderte den Wegzug der Juden. Schon am nächsten Tag wurden die Insassen mit Autobussen nach Frankfurt gebracht. Hoffentlich sind wir sie für immer los. In der Judenfrage darf es keine Kompromisse geben. Sie sind Deutschlands Unglück von jeher gewesen. ... Für die Schule bedeutete es ein Fest, den Unterricht nach den großen Ferien ... ohne Judenkinder beginnen zu können. ...“
Ausgehend von der ortsansässigen NSDAP-Kreisleitung wurde in der Pogromnacht die Diezer Synagoge von einem SA-Trupp in Brand gesetzt, nachdem zuvor die Fenster und das Inventar zertrümmert worden waren; eine anschließende Sprengung scheiterte aber wegen ihrer massiven Bauweise.
zerstörte Synagogenfenster (Aufn. ?)
Die Synagogenruine blieb bis 1951 erhalten und dann abgerissen; das Gelände nutzte anschließend eine Baufirma. Bei Kriegsbeginn lebte nur noch ein einziger Jude in Diez.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden nachweislich 33 gebürtige bzw. längere Zeit in Diez ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/diez_synagoge.htm).
Am ehemaligen Standort der Synagoge in der Kanalstraße erinnert seit 1986 eine Tafel mit dem Bildmotiv eines siebenarmigen Leuchters an das einstige jüdische Gotteshaus.
Seit 1997 ist an der Diezer Schlosstreppe eine Tafel mit folgendem Text angebracht:
Über diese Treppe wurden am 20.August 1935 in der Dunkelheit 41 jüdische Kinder und deren Erzieher/innen in einer pogromartigen Aktion von nationalsozialistisch gesinnten einheimischen Bürgerinnen und Bürgern aus dem israelitischen Waisenhaus am Schloßberg geholt und hinunter zum Marktplatz getrieben. Am nächsten Tag wurden sie nach Frankfurt deportiert.
Das Heimleiterehepaar Kadden und vermutlich auch viele der Kinder wurden in Konzentrationslagern ermordet.
Den Opfern zum Gedenken. Den Lebenden zur Mahnung.
Gestiftet von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Diez und Umgebung.
Eine weitere Gedenktafel findet man auf dem jüdischen Friedhof der Ortsgemeinde Balduinstein.
Einziges bauliches Relikt, das an die einstige israelitische Gemeinschaft heute noch erinnert, ist der (jüngere) jüdische Friedhof am Fachinger Weg mit etwa 55 Grabstätten (ein Teil ohne Grabstein). Die pflegerische Patenschaft hat vor Jahren das Sophie-Hedwig-Gymnasium übernommen.
Eingangstor zum jüdischen Friedhof (Aufn. J. Hahn, 2007) und Begräbnisgelände (Aufn. K. Ratzke, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)
Vom alten Friedhof, der bis 1895 in Nutzung war, sind heute keine sichtbaren Spuren mehr vorhanden; das Areal war in der NS-Zeit abgeräumt, eingeebnet und das frei gewordene Gelände überbaut worden.
2020 wurden in Diez eine „Stolperschwelle“ und ca. 20 „Stolpersteine“ verlegt, die an ehemalige jüdische Bewohner der Grafenstadt erinnern; 2022 folgten weitere Steine.
an der Koblenzer Straße (Aufn. Th. Kunz, 2020, aus: rheinzeitung.de)
Auch in Freiendiez (heute einziger Stadtteil der Stadt, „Ost-Diez“) findet man seit 2022 drei messingfarbene Gedenkquader.
In Birlenbach - der Verbandsgemeinde Diez zugehörig - wurden im Jahre 2022 sechs "Stolpersteine" für Angehörige der Familie Löbensberg (Hauptstraße) verlegt.
Die wenigen in Flacht lebenden jüdischen Familien gehörten zur Kultusgemeinde Diez, besaßen aber trotzdem ein eigenes „Betlocal“, in dem sie regelmäßig Gottesdienste abhielten. Der mehrfach gestellte Antrag, ein eigenes Synagogengebäude zu errichten, wurde seitens der Behörden abschlägig beschieden.
Wohl um 1890 - anderen Angaben zufolge erst um 1920 - richtete man auch einen eigenen Begräbnisplatz auf der Flur „Auf dem Glockenstein“ ein; zuvor waren Verstorbene auf dem jüdischen Friedhof in Diez begraben worden.
Juden in Flacht:
--- 1714 ....................... 2 jüdische Familien,
--- 1821 ....................... 4 “ “ ,
--- 1843 ....................... 29 Juden,
--- 1871 ....................... 34 “ ,
--- 1885 ....................... 29 “ ,
--- 1895 ....................... 34 “ ,
--- 1905 ....................... 34 “ ,
--- 1910 ....................... 32 “ ,
--- 1925 ....................... 35 “ ,
--- um 1933 ................ ca. 30 “ .* * mit Niederneisen
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die Jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 177
und Wilhelm Kuhmann, Die Juden in Flacht und Niederneisen
Anfang der 1930er Jahre lebten in Flacht und in Niederneisen noch ca. 30 jüdische Bewohner; bis 1939 verließen fast alle das Dorf. Von ihren neuen Wohnorten (zumeist war es Frankfurt/M.) wurde der Großteil später deportiert und kam in den Vernichtungslagern ums Leben. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind 20 aus Flacht stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der "Endlösung" geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/flacht_synagoge.htm)
Beim Novemberpogrom 1938 war der Innenraum der Synagoge und der Friedhof völlig verwüstet worden.
Jüdischer Friedhof in Flacht (Aufn. K., 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
Seit 1962 erinnert auf dem lange Zeit in Vergessenheit geratenen jüdischen Friedhof, der neun Gräber aufweist, eine Gedenktafel - umrahmt von zwei Namenstafeln - mit der Inschrift (Aufn. Abraham Frank, Jerusalem):
Zum Gedenken an die in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern
umgekommenen jüdischen Mitbürger von Flacht und Niederneisen
Zudem sind namentlich 21 Personen aus Flacht und Niederneisen aufgeführt, die Opfer der NS-Verfolgung geworden sind.
Auf dem Kommunalfriedhof ist ebenfalls eine fast wortgleiche Gedenktafel zu finden:
Gedenktafel (Aufn. K., 2011, aus: wikipedia.org, CCO)
In Flacht erinnern derzeit an fünf Standorten insgesamt 13 sog. "Stolpersteine" an Opfer der NS-Herrschaft (Stand 2020).
2018 verlegte Steine in der Hauptstraße
In Isselbach - heute Teil der Verbandsgemeinde Diez - sollen sich bereits zu Beginn des 14.Jahrhunderts Juden aufgehalten haben. Während der Zeit des 19.Jahrhunderts bestand hier zeitweilig eine winzige jüdische Gemeinde mit einem Betraum. Ab den 1840er Jahren gehörte dann Isselbach – gemeinsam mit anderen Orten - zur Synagogengemeinde Holzappel.
Über die Einweihung einer neuen Thora-Rolle berichtete die Zeitschrift „Der Israelit“:
Zeitungsnotiz vom 29.August 1904
Um 1900 lebten in Isselbach ca. 35 jüdische Bewohner; zu Beginn der 1930er Jahre waren es noch ca. 25 Personen.
Ein Teil der jüdischen Familien verließ in den folgenden Jahren das Dorf. Im November 1938 wurden die Häuser der jüdischen Familien von SA-Angehörigen überfallen, deren Bewohner teilweise schwer misshandelt und die Wohnungen demoliert bzw. geplündert. Vier ältere Ehepaare wurden im Februar 1941 in „Judenhäuser" nach Frankfurt/M. eingewiesen und danach von dort deportiert.
Nachweislich sind 17 gebürtige bzw. länger im Ort lebende Personen mosaischen Glaubens dem Holocaust zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/isselbach_synagoge.htm).
Zum 80.Jahrestag des Novemberpogrom wurde seitens der Evang. Kirchengemeinde und der Ortsgemeinde Isselbachs eine Gedenktafel enthüllt, die namentlich die ehemaligen jüdischen Einwohner aufführt, die der NS-Herrschaft zum Opfer gefallen sind.
Im heute zur Verbandsgemeinde Diez gehörenden Balduinstein lebten bereits im 14.Jahrhundert vereinzelt Juden, die der Trierer Erzbischof unter seinem Schutz hatte ansiedeln lassen. 1721 wird erstmals ein jüdischer Friedhof erwähnt, der sich in der Gemarkung Hausen befand. Die Zahl der in Balduinstein lebenden jüdischen Familien war stets gering; eine eigene Gemeinde gab es hier nicht, vielmehr gehörten sie der Synagogen von Diez an. Gegen Mitte der 1930er Jahre sind keine jüdischen Bewohner mehr am Ort wohnhaft.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind drei aus Balduinstein stammende jüdische Bewohner Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/fbalduinstein_synagoge.htm).
Auf dem am Hang des Lahntales im Ortsteil Balduinstein-Hausen liegenden kleinen Friedhof mit seinen 13 noch vorhandenen Grabsteinen befindet sich seit 1984 auch ein Gedenkstein zur Erinnerung an die während der NS-Zeit verfolgten und ermordeten jüdischen Bürger.
Friedhof in Balduinstein (Aufn. P.Kaminsky, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Seit 2022 erinnern in Balduinstein fünf sog. „Stolpersteine“ an Angehörige von zwei jüdischen Familien; während das Ehepaar Emanuel u. Betty Stern deportiert und ermordet wurde, konnte sich die dreiköpfige Familie Borchardt durch Emigration in die USA in Sicherheit bringen.
Gegen Ende des 17.Jahrhunderts wurde seitens der Fürsten von Schaumburg in Cramberg eine „ewige Begräbnisstätte für die Juden der Grafschaft Schaumburg“ angelegt. Genutzt wurde der Friedhof insbesondere von Verstorbenen aus Holzappel und aus Cramberg. In Cramberg existierte keine eigene jüdische Gemeinde; die wenigen hier lebenden Familien waren der Diezer Kultusgemeinde angeschlossen. Im 19.Jahrhundert lebten kaum mehr als 20 jüdische Personen im Ort. 2011 wurde am Eingang des relativ großfächigen jüdischen Friedhofs in Cramberg eine Gedenktafel aufgestellt, die namentlich die Opfer der NS-Herrschaft aufführt.
Jüdisches Friedhofsgelände in Cramberg (Aufn. H. Hammer, 2013, aus: wikipedia.org, CCO und J. Hahn, 2006)
In Wasenbach – einer heute zur Verbandsgemeinde Diez zählenden kleinen Ortschaft – erinnert noch ein (vermutlich im Laufe des 19.Jahrhunderts angelegter) östlich des Dorfes liegender Friedhof an einstige jüdische Ansässigkeit. Auf einer Fläche von ca. 1.000 m² findet man heute nur noch sechs Grabsteine.
Aufn. Defisch, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Hermann Heck, Zur Geschichte der Diezer Judenschaft, in: “Diezer Heimatblätter”, No.2/1961, S. 16 - 21
Leopold Frank, Die Juden von Flacht bei Diez, in: "Diezer Heimatblätter", No. 2/1961, S. 21/22
Heinz Stein, Die Geschichte der Juden in unserer nassauischen Heimat, in: Stadtarchiv Diez/Lahn 1965 (Maschinenmanuskript)
Hermann Bauer, Vom Judenfriedhof in Burgschwalbach, in: “Diezer Heimatblätter”, No.5/1969, S. 53 f.
Paul Arnsberg, Die Jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 139 - 141 und S. 177/178 (Flacht)
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 46
Eugen Caspary, Die Juden in den Kreisen Limburg und Oberlahn 1278 - 1945, in: Kreisausschuß Limburg (Hrg.), Beiträge zur Geschichte des Kreises Limburg 1986, S. 126 f.
Franz Gölzenleuchter, Die verbrannten alle Gotteshäuser im Lande. Jüdische Spuren im Rhein-Lahn-Kreis. Jahrzehnte danach, o.O. 1997
Christoph te Kampe, Die Geschichte des Israelitischen Waisenhauses in Diez und deren Aufarbeitung (Facharbeit in Geschichte, Gymnasium Diez 1997), in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 15 (1/1998), S. 67 ff.
Adolf Morlang/Klaus-Peter Hartmann, Boykottiert - Emigriert - Deportiert - Liquidiert. Quellen zur Geschichte der Juden im Raum Diez während des Nationalsozialismus, Diez 1999
Wilhelm Kuhmann, Die Juden in Flacht und Niederneisen - Von den Anfängen bis zum Untergang. Mit Auszügen aus Dokumentationen, hrg. von den Gemeinden Flacht und Niederneisen, 1999
Adolf Morlang, “Es war der Wunsch der Insassen von Diez wegzukommen” - Die Auflösung des Israelitischen Kinderheims in Diez im August 1935, in: H.-G.Meyer/H.Berkessel (Hrg.), Die Zeit des Nationalsozialismus in Rheinland-Pfalz, Band 1: “Eine nationalsozialistische Revolution ist eine gründliche Angelegenheit !”, Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2000, S. 261 f.
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 137/138 und S.150
Diez, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Diez – Texte zur Geschichte des „Deutsch-Israelitischen Kinderheims“, in: alemannia-judaica.de
Auflistung der in Diez verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Diez
Flacht mit Niederneisen und Oberneisen, in: alemannia-judaica.de
Balduinstein mit Hausen, in: alemannia-judaica.de
Ruth Stern Glass Earnest, The Gate: A Childhood Memoir, 2010 (ins Deutsche übersetzt von Monika Felsing, „Das Türchen: Kindheitserinnerungen“, Books on demand, 2019)
Jüdischer Friedhof in Cramberg, in: alemannia-judaica.de
Andreas Galonska (Red.), Diez. Grundmauern freigelegt: Synagoge zeigt sich wie ein offnes Buch, in: „Rhein-Zeitung“ vom 3.5.2018
N.N. (Red.), Verlegen der Stolpersteine erfolgt in Flacht, Oberneisen, Hahnstätten und Burgschwalbach, in: „Rhein-Zeitung“ vom 7.10.2018
Johannes Koenig (Red.), Gedenken an Weisen und ihre Lehrer: Stolpersteine in Diez nehmen Gestalt an, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 11.8.2019
Rolf Kahl (Red.), Oberneisen: Stolpersteine wirken gegen das Vergessen, Ortsgemeinde Oberneisen vom 26.10.2019
Uli Pohl (Red.), Arbeitskreis an der Ahr bleibt aktiv: Stolpersteine erinnern an Schicksale der NS-Opfer, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 5.12.2019
Uli Pohl (Red.), Gedenken an jüdische Familie aus Flacht: Stolpersteine stehen für persönliche Schicksale, in: „Rhein-Lahn-Zeitung" vom 29.1.2020
Johannes Koenig (Red.), Diez. 20.August als Jahrestag einer dunklen Stunde der Stadtgeschichte gwählt: Erste Diezer Stolpersteine erinnern an Kinder, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 9.8.2020
Thorsten Kunz (Red.), Die Erinnerung wach halten: Die Geschichten hinter den neuen Diezer Stolpersteinen, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 21.8.2020
Georg Klein (Red.), Von Birlenbach über Frankfurt nach New York – Erinnerungen an jüdisches Leben, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 5.1.2021
Hans-Peter Günther (Red.), Neue Installation im Museum: Mahnmal für die Diezer Synagoge angebracht, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 1.7.2021
Andreas Galonska (Red.), Projekt präsentiert: Fünf Orte sollen an jüdisches Leben in Diez erinnern, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 29.8.2021
Johannes Koenig (Red.), 38 neue Stolpersteine in der VG Aar-Einrich und Diez erinnern an Opfer des NS-Terrors, in: „Rhein-Lahn-Zeitung“ vom 7.5.2022
Auflistung der in Balduinstein verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Balduinstein
Auflistung der in Flacht verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_der_Verbandsgemeinde_Aar