Dirschau (Westpreußen)
Das seit Mitte des 13.Jahrhunderts erstmals mit Stadtrechten ausgestattete Dirschau – ca. 30 Kilometer südlich von Danzig - ist das heutige polnische Tczew mit derzeit ca. 60.000 Einwohnern. Seit der 1.Teilung Polens (1772) gehörte der Ort zum preußischen Staatsgebiet (Ausschnitte aus hist. Karten 'Kreis Dirschau', aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Tczew rot markiert, K. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts war jeder 7. Bewohner Dirschaus mosaischen Glaubens.
Die ersten Juden sollen im Laufe des 15.Jahrhunderts in die Gegend um Dirschau gekommen sein. Da ihnen aber im Ort keine Ansässigkeit gewährt wurde, ließen sie sich in der Nähe - auf dem Landgut des Bischofs von Breslau - nieder. In der Stadt Dirschau waren bei Beginn der preußischen Herrschaft in den 1770er Jahren immer noch keine Juden ansässig; denn der Stadt Dirschau gewährte Sonderrechte hatten bis dato eine jüdische Niederlassung verhindert. Doch als Folge der Emanzipationsgesetzgebung geschahen alsbald erste Ansiedlungen, sodass sich bereits um 1790 eine Gemeinde bildete. Die Zahl ihrer Angehörigen wuchs in den folgenden Jahrzehnten stark an und erreichte in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit mehr als 500 Personen ihren Höhepunkt. Während die jüdischen Familien zunächst ihren Lebensunterhalt vom Kornhandel bestritten, engagierten sie sich im 19.Jahrhundert vor allem im Textilhandel.
Dirschau Mitte des 19.Jahrh. (Abb. aus: wikipedia.org, PD-alt-100)
Bereits 1786 errichtete die hiesige Judenschaft ein Bethaus, das neben dem eigentlichen Synagogenraum auch die Schule beherbergte. Um 1835 wurde ein Synagogenneubau eingeweiht, dessen Finanzierung wohlhabende jüdische Kaufleute der Gemeinde möglich machten.
aus: dawnytczew.pl
Bis 1914 war Dirschau Sitz eines Rabbinats.
Seit dem 19.Jahrhundert besaß die Gemeinde - abgelegen vor der Stadt - ein eigenes Begräbnisgelände.
Juden in Dirschau:
--- 1783 .......................... 23 Juden,
--- 1800 .......................... 150 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1816 .......................... 239 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1825 .......................... 366 “ ,
--- 1849 .......................... 409 “ (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1867 .......................... 495 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1871 .......................... 510 “ ,
--- 1887 .......................... 515 “ ,
--- 1898 .......................... 309 " ,
--- um 1910 ................... ca. 200 “ ,
--- 1921 .......................... 93 “ ,
--- 1931 .......................... 103 “ ,
--- 1939 .......................... 18 “ .
Angaben aus: Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, S. 15 und S. 203
und Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken - Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, S. 69
Als Folge der Wirtschaftskrise im ausgehenden 19.Jahrhundert verließen innerhalb nur weniger Jahre ca. 300 jüdische Bewohner die Stadt; zumeist kehrten sie Europa ganz den Rücken, um in den USA einen Neuanfang zu wagen.
Um die Jahrhundertwende lebten fast alle jüdischen Bewohner des Kreises Dirschau in der Stadt Dirschau selbst.
Ansicht von Dirschau (hist. Postkarte, 1913, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Nach der Angliederung des westpreußischen Gebiets an den polnischen Staat (1920) verstärkte sich die Abwanderung der eingesessenen jüdischen Bevölkerung; unterstützt wurde die Emigration durch das Wirken einer zionistischen Jugendorganisation. Gleichzeitig kam eine Gruppe von Kaufleuten aus der Gegend um Lodz nach Dirschau.
Die Besetzung durch deutsche Truppen im September 1939 besiegelte das Schicksal der Juden in Dirschau. Die wenigen hier noch lebenden Bewohner mosaischen Glaubens sollen - zumeist noch am Tage des Einmarsches deutscher Truppen - ermordet worden sein.
Spärliche Überreste des jüdischen Friedhofs sind heute der einzige Hinweis darauf, dass es hier in der Vergangenheit eine israelitische Gemeinde gegeben hat. Eine jüngst errichtete Gedenkmauer, in die Grabsteinrelikte eingebunden sind, erinnert - in Verbindung mit einer Inschriftentafel - an die einst hier beheimatete Kultusgemeinde.
Gedenkwand mir Grabsteinrelikten und die Gedenktafel (Aufn. Tomasz Drozda, um 2010, aus: kirkuty.xip.pl)
Weitere Informationen:
F.Schultz, Geschichte des Kreises Dirschau, Dirschau 1907
Max Aschkewitz, Der Anteil der Juden am wirtschaftlichen Leben Westpreußens um die Mitte des 19.Jahrhunderts, in: "Zeitschrift für Ostforschung", No.11/1962, S. 482 ff.
Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, in: "Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas", hrg. vom Johann Gottfried-Herder-Institut, No. 81, Marburg 1967
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1299/1300
Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken - Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teillband 1 (Regierungsbezirk Danzig), New York 2009, S. 65 – 78
Tczew (Dirschau), in: sztetl.org.pl
K. Bielawski (Red.), Tczew, in: kirkuty.xip.pl
Juden in Dirschau, online abrufbar unter: dawnytczew.pl/de/nationen-und-religionen/99-juden.html