Dülken (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Viersen in VIE.svg Die 4 Stadtbezirke der Stadt Viersen. Dülken mit derzeit ca. 20.000 Einwohnern ist heute ein Stadtteil von Viersen – ca. zehn Kilometer nordwestlich von Mönchengladbach unweit der deutsch-niederländischen Grenze gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizzen 'Kreis Viersen', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und 'Stadtbezirke von Viersen', P. 2013, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0).

Dülken um 1830 (Abb. aus: rheinische-landeskunde.lvr.de)

 

Ein in Dülken lebender Jude wird erstmals im Jahre 1340 erwähnt (in den Schreinsurkunden der Kölner Laurentiuspfarre). Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass im 14.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde in Dülken existierte. Ob es damals einen eigenen Friedhof hier gegeben hat, ist nicht bekannt.

Vom Pestpogrom sollen auch die Dülkener Juden, die vorrangig vom Geldhandel lebten und überregional agierten, betroffen gewesen sein, wie das „Deutzer Memorbuch“ berichtet. Nach den Verfolgungen kehrten einige jüdische Familien wieder nach Dülken zurück - blieben allerdings nur wenige (?) Jahrzehnte.

Mehr als zwei Jahrhunderte gibt es keine Hinweise auf jüdisches Leben in Dülken: Erst wieder im 17.Jahrhundert werden jüdische Ansiedlungen bestätigt; als "Schutzjuden" durften sich wenige Familien mit landesherrlichem Schutz hier niederlassen. Unvergleiteten Juden war ein kurzzeitiger Aufenthalt am Orte nur gegen Entrichtung einer Gebühr an die Stadt erlaubt. Um 1800 sollen die Dülkener Juden verarmt gewesen sein; ihr Leben in der christlichen Umgebung war nicht immer einfach; es kam wiederholt zu Ausschreitungen.

Ihren ersten Betraum richtete die Dülmener Judenschaft in den 1680er Jahren ein. Dank einer Schenkung eines wohlhabenden Dülkener Juden war die jüdische Gemeinde seit 1781 im Besitz einer Synagoge; diese befand sich auf dem Hofgelände eines Hauses an der Lange Straße/am Domhof im Obergeschoss. Die neue Synagoge - sie lag gegenüber der Christuskirche - wurde im Sommer 1898 an der damaligen Bahnhofstraße, der heutigen Martin-Luther-Straße eingeweiht; es war ein Ziegelsteinbau im neoislamischen-romanischen Mischstil, der neben einer Mikwe auch einen Schulraum besaß

Synagoge (rechts im Bild) - Postkarte um 1910

Als Filialgemeinde gehörte Dülken ab ca. 1850 zur Kreissynagogengemeinde Viersen. - Seit Ende der 1880er Jahre gab es in Dülken eine selbstständige jüdische Privatschule; der Unterricht fand zunächst in der Lehrerwohnung statt, danach erfolgte der Umzug in den rückwärtigen Anbau der neuen Synagoge. Der Besuch der jüdischen Schule war an die Zahlung eines jährlichen Schulgeldes geknüpft. Diese jüdische Schule bestand bis in die 1920er Jahre, hatte aber zu dieser Zeit nur noch sehr wenige Schüler.

Im letzten Viertel des 18.Jahrhunderts muss auch ein eigener kleiner Begräbnisplatz an der heutigen Venloer Straße angelegt worden sein; dieser bestand bis in die 1870er Jahre, ehe ein anderes Gelände an der Feldstraße (heute Kampweg) als Friedhof genutzt wurde. Der alte Friedhof blieb bis Frühjahr 1938 im Besitz der jüdischen Gemeinde; das Gelände wurde dann verkauft; doch zuvor wurden die alten Grabsteine auf den neuen Friedhof gebracht.

Juden in Dülken:

         --- 1653 ..........................   3 jüdische Familien,

    --- 1808 ..........................  92 Juden,

    --- 1840 .......................... 103   “  ,

    --- 1871 ..........................  92   “  ,

    --- 1890 .......................... 106   “  ,                            

    --- 1895 ..........................  87   “  ,

    --- 1900 .......................... 108   “  ,

    --- 1925 ..........................  86   “  ,

    --- 1933 ..........................  60   “  ,

    --- 1936 ..........................  50   “  ,

    --- 1939 ..........................  22   “  ,

    --- 1941 ..........................  17   “  ,

    --- 1942 (Dez.) ...................  keine.

Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil II: Reg.bez. Düsseldorf, S. 557

und                 Arie Nabrings, Die Geschichte der Juden in Dülken, S. 378 und S. 384

 

Ab Mitte des 19.Jahrhunderts integrierten sich die in Dülken lebenden Juden allmählich in der Kleinstadtgesellschaft; zuvor hatten sie sich deutlich von der christlichen Umwelt abgegrenzt, hielten streng an ihren religiösen Riten fest und lehnten jede Annäherung ab. Diese starre Haltung sollte sich bis Ende des 19.Jahrhunderts grundlegend ändern; dies bewies u.a. die Tatsache, dass jüdische Kinder nicht die jüdische Privatschule, sondern die christlichen Schulen besuchten und dass Juden Mitglieder lokaler Vereine wurden. Haupterwerbszweig der Dülkener Juden war im 19.Jahrhundert der Viehhandel und das Metzgergewerbe; erst um 1900 nahm die Zahl der Kleinkaufleute zu. Nach Ende des Ersten Weltkrieges setzte hier auch eine stärkere Abwanderung in die größeren Städte ein, die allerdings durch "ostjüdische" Zuwanderung teilweise wieder kompensiert wurde.

Während des Novemberpogroms wurde die Dülkener Synagoge in Brand gesetzt und zerstört; da zuvor die Kultgeräte in Sicherheit gebracht worden waren, fielen sie den SA-Männern nicht in die Hände. Wochen später wurde die Synagogenruine niedergelegt; für die Abrisskosten musste die jüdische Gemeinde aufkommen. Das Synagogengrundstück ging im Frühjahr 1939 in Privathand über.

Aus einem Interview des evangelischen Pfarrers Wilhelm Veit von 1978: „... Die NSDAP-Parteiorgane und die Polizei in Dülken waren damals ein Fundus der Menschlichkeit. Die Juden waren von ihnen gewarnt worden. Dieser Rest an Menschlichkeit war das, was Hitler nicht verhindern konnte. Trotzdem traf es die Dülkener Juden hart, vor allem die kleinen Händler. Organisiert war die Reichskristallnacht in Dülken von außen. Es bestanden konkrete Anweisungen an SS, SA, Polizei und Feuerwehr. Auch die SA-Leute, die an der brennenden Synagoge standen, waren nicht aus Dülken. ...” Einige Dülkener Juden wurden inhaftiert.

Während in den ersten Jahren der NS-Diktatur nur relativ wenige Dülkener Juden ihre Heimatstadt verlassen hatten, setzte nun eine verstärkte Abwanderung ein. Die wenigen noch in Dülken verbliebenen jüdischen Bewohner wurden - zusammen mit vielen anderen - Ende 1941/1942 ins Rigaer Ghetto und nach Theresienstadt deportiert.

 

Nach Kriegsende übergab der evangelische Pfarrer die zwei von ihm in Verwahrung genommenen Thorarollen und andere Kultgegenstände der jüdischen Gemeinde Krefeld.

Datei:Kaiser-viersen06.jpg Seit den 1980er Jahren erinnert eine bronzene Gedenktafel in der Martin-Luther-Straße an den einstigen Standort der Dülkener Synagoge (Aufn. Thorsten Goldberg, 2008, aus: publicartwiki.org/wiki). Unter einer stilisierten Abbildung der Synagoge liest man die Worte:

Hier stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Dülken.

Sie wurde am 9.Nov. 1938 durch Willkür zerstört.

Mit der Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ wird seit 2008/2009 die Erinnerung an die jüdischen Opfer der NS-Herrschaft wachgehalten; inzwischen sind an sieben Standorten insgesamt 21 messingfarbene Gedenkquader ins Gehwegpflaster eingelassen (Stand 2023).

verlegt Alter Markt (Aufn. Rudolfo, 2017 aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

... und am Hühnermarkt 

in der Viersener Str. (Aufn. R., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem jüngeren, noch teilweise erhaltenen Friedhof am Kampweg (früher Feldstraße) - belegt von 1873/1874 bis 1916 - sind 25 Grabsteine erhalten geblieben, die zum Teil stark zerstört sind.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cb/205_J%C3%BCdischer_Friedhof,_Kampweg_(D%C3%BClken).jpg Aufn. K. u. B. Limburg, 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

 

[vgl. Viersen (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

In der Stadt Nettetal – nur wenige Kilometer nordwestlich von Dülken – sind seit 2010 zahlreiche „Stolpersteine“ verlegt, die fast ausschließlich an ehemalige jüdische Bewohner erinnern, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind.

in der Kehrstraße (Aufn. R., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

   

in der Bahnhofstr. und der Josefstr. (Ph., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

[vgl. Breyell (Nordrhein-Westfalen)].

 

 

 

Weitere Informationen:

Hugo Doergens, Chronik der Stadt Dülken, Dülken 1925

Dieter Hangebruch (Bearb.), In der Gewalt der Gestapo. Das Schicksal der Juden des Kreises (1933-1945), in: „Heimatbuch des Kreises Viersen“, Teil 1/1978, S. 152 – 170 und Teil 2/1979, S. 239 - 260

Klaus H.S.Schulte, Zur Geschichte der Juden in Dülken während der Franzosenzeit, in: "Heimatbuch des Kreises Viersen", No.26/1975, S. 182 - 200

Arie Nabrings, Die Geschichte der Juden in Dülken, in: Gerhard Rehm (Hrg.), Geschichte der Juden im Kreis Viersen, in: "Schriftenreihe des Kreises Viersen 38", Hrg. Oberkreisdirektor, Viersen 1991, S. 355 - 388

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 122/123

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil II: Reg.bezirk Düsseldorf, J.P.Bachem Verlag, Köln 2000, S. 556 - 560

Jüdischer Friedhof Dülken, online abrufbar unter: viersen.de/de/denkmal/juedischer-friedhof-duelken-153

Ingrid Flocken (Red.), Stolpersteine mahnen in Dülken, in: rp.online.de vom 14.1.2009

Auflistung der verlegten Stolpersteine in Dülken/Viersen, online abrufbar unter. wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Viersen

Auflistung der in Nettetal verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Nettetal

N.N. (Red.), Als die Synagoge in Dülken brannte, in: rp-online.de vom 9.11.2018

Stefan Laurin (Red.), Niederrhein. Auf den Spuren jüdischen Lebens, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 30.3.2022

Sandra Franz/Villa Merländer e.V. (Red.), Städte am Niederrhein: Viersen, in: Jüdisches Leben am Niederrhein, online abrufbar unter: juedischer-niederrhein.de/niederrhein/viersen/