Deutschendorf/Poprad (Slowakei)
Das nordostslowakische Poprad – im 12.Jahrhundert gegründet von Siedlern aus Sachsen - besteht heute aus mehreren, vormals selbstständigen Kommunen und ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Oberzips im Vorland der Hohen Tatra. Mit derzeit ca. 51.000 Einwohnern ist Poprad heute die zehntgrößte Stadt der Slowakei (Karte ?, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Anfänge einer jüdischen Gemeinde in Deutschendorf - beteiligt waren vor allem Familien aus Hunsdorf/Huncovce - lagen erst in der Zeit nach 1865; doch innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich eine zahlenmäßig recht ansehnliche Gemeinde, die um die Jahrhundertwende bereits etwa 200 Angehörige besaß.
Seit den 1880er Jahren verfügte die damals noch kleine jüdische Gemeinschaft über einen Betraum. Im Jahre 1906 weihte die hiesige orthodox- ausgerichtete Judenschaft ihre neuerbaute Synagoge ein, die ein für den Ort recht repräsentatives Gebäude darstellte.
Der erste in Poprad amtierende Rabbiner war Aron Grünberg; nach dessen Tode (1907) stand Zwi Hirsch Prager an der Spitze der Gemeinde, zu der auch Familien aus umliegenden Dörfern gehörten.
Eine mehrklassige jüdische Elementarschule öffnete 1908 ihre Pforten. Seit 1924 bestand am Ort eine Talmud-Thora-Schule.
Am südlichen Stadtrand wurde wenige Jahre vor der Jahrhundertwende ein eigener Friedhof angelegt. Verstorbene Männer und Frauen wurden jeweils separiert - abgetrennt durch einen Fußweg - begraben.
Juden in Deutschendorf/Poprad:
--- 1869 ........................... 15 Juden,
--- 1880 ........................... 77 “ ,
--- 1890 ........................... 108 “ ,
--- 1900 ........................... 202 “ ,
--- 1910 ........................... 297 “ ,
--- 1919 ........................... 432 “ (ca. 19% d. Bevölk.)
--- 1930 ....................... ca. 600 “ (ca. 15% d. Bevölk.),
--- 1940 ........................... 606 “ ,
--- 1948 ....................... ca. 40 “ .
Angaben aus:The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1015
In der Zwischenkriegszeit war die Zahl der jüdischen Familien in Poprad in Folge von Zuzügen aus der näheren Umgebung weiter angestiegen und deren Bedeutung auf dem lokalen Wirtschaftssektor hatte sich vergrößert. Nach 1920 sollen mehr als 50 gewerbliche Betriebe/Geschäfte im Besitz jüdischer Familien gewesen sein; zudem hatte das hiesige Sägewerk, das zeitweilig mehr als 100 Arbeitskräfte beschäftigte, einen jüdischen Eigentümer. Auch in der Kommunalpolitik war der Einfluss jüdischer Bewohner zu verzeichnen: neben Ratsmitgliedern gab es eine Zeitlang auch einen Bürgermeister, der mosaischen Glaubens war.
In den 1920/1930er Jahren gewannen zionistische Bestrebungen zunehmend Einfluss – insbesondere auf Juden der jüngeren Generation; einige verließen ihren Heimatort, um in Palästina ein neues Leben zu beginnen.
Mit der Gründung des slowakischen Staates im Frühjahr 1939 begann auch hier der Niedergang der jüdischen Gemeinde: jüdische Bewohner waren nun zunehmend tätlichen Angriffen ausgesetzt, ihr Wohneigentum wurde demoliert. 1941 wurden den jüdischen Geschäftsleuten ihre Wirtschaftsgrundlage genommen, indem ihnen die Lizenzen zur Betreibung ihrer Geschäfte/Betriebe entzogen wurden; Zwangsarbeit wurde nun für die jüdischen Bewohner die Regel.
Im März 1942 wurde in den Militärbaracken von Poprad ein sog. „Transit-Lager“ eingerichtet, in das Tausende slowakischer Juden verbracht wurden; es war eines von insgesamt fünf Lagern, aus denen dann die Deportationen in die Ghettos und Todeslager auf polnischen Boden erfolgten. Mehr als 220 Juden aus Deutschendorf/Poprad wurden in den Jahren 1942/1943 deportiert: Der erste große Transport mit jüdischen Frauen aus der gesamten Region mit ca. 1.000 Personen verließ die Stadt Ende März 1942 in Richtung Auschwitz-Birkenau. In den beiden Nachfolgemonaten waren dann auch Majdanek und die Region um Lublin Ziele von großen Transporten.
Nach Schätzungen sollen 1942 mehr als 400 jüdische Bewohner Poprads deportiert und ermordet worden sein. Diejenigen, die noch in der Stadt verblieben waren, wurden dann 1944 - im Gefolge des slowakischen Aufstandes - von den deutschen Besatzern exekutiert.
Wie viele Juden aus Poprad den Holocaust überlebt haben, ist nicht bekannt.
Nach Kriegsende kehrten nur wenige Überlebende nach Poprad zurück; doch sie blieben nur kurze Zeit, da sie ihre Zukunft in Palästina/Israel sahen.
Am Bahnhof von Poprad erinnert seit 2002 eine zweisprachige Gedenktafel an die Deportationen von mehr als 1.000 jüdischen Mädchen in die Vernichtungslager, die hier ihren Ausgang hatten; es war die erste Deportation slowakischer Juden.
Gedenktafel am Bahnhof Poprad (Aufn. aus: memorialmuseums.org)
Die ehemalige Synagoge in Poprad (Aufn. 2015, aus: zilina-gallery.sk)
An den ehemaligen jüdischen Friedhof erinnern nur relativ wenige intakte Grabsteine; die meisten Grabstellen besitzen hingegen nur noch Steinrelikte. 2008 wurde das Friedhofsgelände in einen ansehbaren Zustand versetzt.
In Zipser Bela (slow. Spišská Belá, ung. Szepesbéla, derzeit ca. 6.600 Einw.) – einer Stadt im Tal der Poprad sieben Kilometer nördlich von Käsmark/Kežmarok – bildete sich um 1870 eine Gemeinde; erste Ansässigkeit jüdischer Familien war in den 1840er Jahren erfolgt. Die beiden einflussreichsten Familien waren die Familien Klein und Kleinberger.
Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden zunächst in einem Betraum in einem Privathaus statt, ehe dann 1922 ein unscheinbares Synagogengebäude erstellt wurde. Ein jüdischer Begräbnisplatz wurde nach 1900 angelegt.
Juden in Zipser Bela/Spišská Belá:
--- 1869 ........................ 29 Juden,
--- 1880 ........................ 111 “ ,
--- 1900 ........................ 141 “ ,
--- 1919 ........................ 185 “ (ca. 6% d. Bevölk.)
--- um 1930 ................. ca. 160 “ ,
--- 1940 ........................ 52 “ ,
--- 1948 ........................ 15 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), S. 1227
Die Gemeinde erreichte mit ca. 185 Angehörigen um 1920 ihren zahlenmäßigen Zenit; ihre Angehörigen bestritten ihren Lebensunterhalt vornehmlich im Kleinhandel. Die Familie Kleinberger besaß eine Produktionsstätte für alkoholische Getränke.
Mit der Errichtung der faschistischen Slowakei begann auch hier die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die besonders von der deutschen Einwohnerschaft getragen wurde.
Von den 40 Gemeindeangehörigen (1940) wurden die meisten nach Auschwitz-Birkenau bzw. in die Region Lublin deportiert.
In Alt(en)dorf (slow. Spišská Stará Ves, ung. Szepesófalu, poln. Spiska Wies, derzeit ca. 2.300 Einw.) – ca. 35 Kilometer nördlich von Deutschendorf/Poprad unmittelbar an der Grenze zu Polen gelegen - bildete sich im ersten Viertel des 19.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde, die sich anfänglich aus Flüchtlingen aus Galizien zusammensetzte. Ihren zahlenmäßigen Zenit mit ca. 300 Angehörigen erreichte die Gemeinde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. In den 1920er Jahren bestritten die jüdischen Familien ihren Lebensunterhalt u.a. als Händler und Gastwirte.
Nach der „Arisierung“ ihrer Immobilien und Zwangsarbeit setzten 1942 die Deportationen in die Todeslager auf polnischem Boden ein.
Im ca. 30 Kilometer nordöstlich von Deutschendorf/Poprad liegenden Pudlein, slow. Podolínec (derzeit ca. 3.200 Einw.), ung. Podolin (1412 hatte König Sigismund dem Ort Rechte einer ‘königlichen Freistadt’ gegeben und es sogleich an Polen verpfändet, später kam Pudlein unter habsburgische Herrschaft) haben sich jüdische Familien vermutlich gegen Mitte des 19.Jahrhunderts niedergelassen und hier alsbald eine Gemeinde gebildet.
Juden in Pudlein/Podolínec:
--- 1880 ........................ 40 Juden,
--- 1900 ........................ 138 " (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1921 ........................ 163 “ (ca. 10% d. Bevölk.)
--- um 1930 ................. ca. 170 “ ,
--- 1940 ........................ 175 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1948 ........................ 15 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 1008
und Podolinec” – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia, aus: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia
Die zumeist durch Handel ihren Lebenserwerb bestreitenden Familien wurden nach der slowakischen Staatsgründung ihrer Wirtschaftsgrundlage beraubt; erheblichen Anteil an der hier herrschenden judenfeindlichen Stimmung hatte die deutsche Bevölkerungsminderheit. Nachdem die jüdischen Kinder von den öffentlichen Schulen verwiesen worden waren, richtete die Gemeinde eine eigene Schule ein, die auch von Kindern aus den Nachbarorten besucht wurde.
Im Frühjahr 1942 wurden die meisten Juden aus Pudlein/Podolínec deportiert.
Nach Kriegsende kehrten wenige überlebende Juden zurück, blieben hier aber nur kurze Zeit.
In Wallendorf (slow. Spišské Vlachy, ung. Szepesolaszi, derzeit 3.500 Einw.) – etwa 35 Kilometer südöstlich von Deutschendorf/Poprad gelegen – ließen sich gegen Mitte des 19.Jahrhunderts jüdische Familien nieder und gründeten eine Gemeinde. Synagoge, Friedhof und Religionsschule gehörten zu den gemeindlichen Einrichtungen. Die Zahl der Gemeindeangehörigen blieb relativ gering und erreichte um 1920 mit ca. 160 Personen ihren höchsten Stand.
Die jüdischen Familien waren Anfeindungen des deutschen Bevölkerungsteils – besonders nach Etablierung des faschistischen slowakischen Staates – ausgesetzt. 1940 wurden Synagoge und jüdische Geschäfte demoliert, anschließend erfolgte die „Arisierung“. Im Frühjahr 1942 erfolgten die Deportationen.
Weitere Informationen:
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 2, S. 1015 (Poprad/Deutschendorf) u. S. 1008/1009 (Podolinec/Pudlein) und Vol. 3, S. 1227 (Spišská Belá/Zipser Bela,Spišská Stará Ves und Spišské Vlachy)
Maros Borský, Synagogue Architecture in Slovakia towards creating a memorial landscape of lost community, Dissertation (Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg), 2005, S. 175
Madeleine Isenberg (Red./Übersetzerin), Poprad/Slovakia, online abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia/
Madeleine Isenberg (Red.), Spisska Bela” – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia, online abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia
The Jewish Community of Poprad (Slovakia), Hrg. Beit Hatsutfot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/poprad
Yehoshua Robert Buchler/Ruth Shashak (Hrg.), "Podolinec” – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia (Podolinec, Slovakia), online abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia