Ellingen (Mittelfranken/Bayern)
Ellingen ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 3.700 Einwohnern im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen und Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Ellingen in unmittelbarer Nähe zu Weißenburg (topografische Karte 'Region Altmühl', aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Geschichte der Juden in Ellingen begann wahrscheinlich um 1520 mit der Ausweisung der Juden aus dem nur wenige Kilometer entfernten Weißenburg, wo es mindestens seit Ende des 13. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde gab. Ein erster urkundlicher Beleg stammt aber erst aus dem Jahre 1542. In dem durch den Dreißigjährigen Krieg zerstörten Ort sollen um 1665 vier jüdische Familien gelebt haben, deren Nachkommen in Ellingen über Jahrhunderte hinweg ansässig waren. Als Schutzjuden unterstanden die Familien bis 1806 dem Deutschen Orden. Wegen der hohen Abgaben verschiedenster Art (neben Schutzgeld wurden „Hundshafergeld, Dienstgeld, Botenpferdgeld, Schutzerneuerungsgeld“ u.a. gefordert) brachten es nur wenige Familien zu gewissem Wohlstand. Mit dem „Goldenen Zeitalter“ Ellingens in der Barockzeit nahm auch die jüdische Gemeinde einen Aufschwung. Mit der sich vergrößernden Zahl der Gemeindeangehörigen wurde in den 1750er Jahren der Bau einer Synagoge in der Neuen Gasse notwendig; dieser vom Deutschen Orden errichtete Neubau löste einen Betsaal ab, der im Obergeschoss des Hauses der jüdischen Familie Landauer untergebracht gewesen war. Wegen finanzieller „Unstimmigkeiten“ mit dem Baumeister des Synagogengebäudes übernahm die jüdische Gemeinde aber vermutlich erst gegen Ende der 1770er Jahre das Gebäude. Initiator zur Errichtung der neuen Synagoge war der Hoffaktor Samuel Landauer gewesen.
Ellinger Synagoge (hist. Aufn., um 1938, aus: barockrundweg.ellingen.de) - Thoraschrein (Aufn. Th. Harburger, 1928)
Der 1756/1757 errichtete Synagogenneubau in der Neuen Gasse beherbergte neben dem Gebetsraum im Keller auch eine Mikwe. Auch fand sich in ihm die Wohnung für den Lehrer, der auch die Funktion des Vorsängers und Schächters inne hatte.
Im Jahre 1866 wurde die Synagoge - nach erfolgter Totalrenovierung - erneut eingeweiht. Ab den 1920er Jahren hatten Ellingen und Georgensgmünd gemeinsam einen Lehrer angestellt.
aus: „Der Israelit“ vom 11.5.1891 und 14.2.1924
Verstorbene Gemeindeangehörige wurden auf Friedhöfen der Umgebung begraben, so in Pappenheim, Treuchtlingen oder in Georgensgmünd.
Bis Anfang des 19.Jahrhunderts war Ellingen Sitz eines Bezirksrabbinats; nach dessen Auflösung gehörte die Gemeinde zum Distriktrabbinat Ansbach. Zwischenzeitlich hatte das Rabbinat Treuchtlingen diese Funktion inne, ehe dann wieder Ansbach diese Aufgabe übernahm.
Juden in Ellingen:
--- um 1670 .................... 4 jüdische Familien,
--- 1796 ....................... 13 “ “ ,
--- 1810 ....................... 67 Juden (ca. 5% d. Bev.),
--- 1847 ....................... 62 “ (in 11 Familien),
--- 1871 ....................... 82 “ (5,5% d. Bev.),
--- 1880 ....................... 103 “ ,
--- 1890 ....................... 78 “ (ca. 5% d. Bev.),
--- 1900 ....................... 47 “ ,
--- 1910 ....................... 37 “ ,
--- 1925 ....................... 38 “ ,
--- 1933 ....................... 33 “ ,
--- 1937 ....................... 20 “ ,
--- 1938 (Dez.) ................ keine.
Angaben aus: Freundeskreis Barockstadt Ellingen e.V., 1100 Jahre Ellingen - Ellingen in Geschichte und Gegenwart
und Synagoge in Ellingen, in: alemannia-judaica.de
Bei der Erteilung der Matrikel - Ellingen gehörte inzwischen zum Kgr. Bayern - wurden für den Ort zwölf Stellen ausgewiesen.
Die Ellinger Juden bestritten ihren Lebensunterhalt zumeist durch den Viehhandel; eine untergeordnete Rolle spielte der Produktenhandel. Ab Ende des 19.Jahrhunderts besaßen Ellinger Juden dann auch Ladengeschäfte. Insgesamt waren die jüdischen Familien Ellingens zu Beginn des 20.Jahrhunderts eine tragende Säule des Wirtschaftslebens der Stadt. Ihr Verhältnis zur christlichen Bevölkerungsmehrheit soll relativ unkompliziert gewesen sein; Belege, die für ein unverkrampftes Miteinander hinweisen, sind u.a. auch die Mitgliedschaften der hiesigen jüdischen Bewohner in lokalen Vereinen. Doch mit dem Auftreten der Nationalsozialisten gewann auch in Ellingen antisemitisches Gedankengut rasch Zulauf.
Neujahrsanzeige vom Sept. 1921
Bereits im Sommer 1933 ging das erste jüdische Geschäft in „arische“ Hand über. Die zu Beginn 1938 noch existierenden vier jüdischen Betriebe wurden im Laufe des Jahres „arisiert“ bzw. ganz aufgegeben. Mit dem Verkauf des Synagogengebäudes im Oktober 1938 wurde das Ende der jüdischen Gemeinde auch symbolisch besiegelt. Während des Novemberpogroms wurde der Innenraum der Synagoge von SS-Angehörigen aus Weißenburg demoliert, Inventar und noch vorhandene Ritualien wurden zerstört bzw. geraubt; das Gebäude selbst blieb unangetastet. Ebenfalls wurden die Wohnungseinrichtungen der wenigen von jüdischen Familien bewohnten Häuser zerstört; dabei leistete der Bürgermeister tatkräftig ‚Amtshilfe’, indem er den Tätern die Anschriften der Familien aushändigte.
Aus einer Pressenotiz der „Weißenburger Nachrichten“ vom 16.Nov. 1938:
Ellingen, 15. Nov. Nun ging auch die Ellinger Synagoge in arischen Besitz über. Sie wurde von dem Angrenzer Herrn Friedrich Traub käuflich erworben, der sie als Stadel benützen wird. Die Verbriefung hat bereits stattgefunden. Damit dürfte wohl das letzte Band durchschnitten sein, dass Ellingens Juden hier noch festgehalten hat und in Bälde wird auch Ellingen so weit sein, daß es judenfrei ist.
Zu Beginn des Jahres 1939 lebten dann keine jüdischen Bewohner mehr in Ellingen; denn am 5. Dezember 1938 wurde dem Bezirksamt Weißenburg hinsichtlich der beiden letzten jüdischen Geschäftsleute gemeldet: „Das Geschäft des Justin Weiß und des Heinr. Löwenstein wurde am 9. Nov. ds. Jhrs. abgemeldet und wird nicht weiter betrieben.“ Während ein Teil der Ellinger Juden noch rechtzeitig emigrieren konnte, wurden die anderen - inzwischen in Städte umgesiedelt - in die Ghetto- und Vernichtungslager deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 17 gebürtige bzw. längere Zeit in Ellingen ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ellingenf_synagoge.htm).
Zunächst als Scheune genutzt, dient das einstige Synagogengebäude nach mehrfachen Umbauten bis auf den heutigen Tag Wohnzwecken.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Reinhard Hauke, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im „Hotel Römischer Kaiser“ an der Weißenburger Straße befindet sich heute noch der barocke historische Gebetssaal, den Samuel Landauer einst hatte einrichten lassen. Das im ausgehenden 17.Jahrhundert errichtete Gebäude ist heute im Besitz des Grafen von Kerrsenbrock und wurde 2002/2004 grundlegend saniert.
Im nahen Weißenburg (Kartenskizze Hagar, 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0) sind erste Hinweise auf jüdische Ansiedlung bereits aus der Zeit der ausgehenden 13.Jahrhunderts bekannt; so sollen während des Rintfleisch-Pogroms (1298) auch Weißenburger Juden umgebracht worden sein. Nach 1312 sind dann erneut jüdische Bewohner wieder in der Stadt nachweisbar. Während der Pestzeit (1348) kam es hier erneut zu Verfolgungen, die über Jahrzehnte hinweg jegliches jüdisches Leben nicht zuließ.
In der Zeit des späten Mittelalters bildete sich dann hier eine relativ große jüdische Gemeinde, die um 1480 sich immerhin aus ca. 150 Personen zusammensetzte. Die Weißenburger Juden betrieben vor allem Geld- und Pfandleihe, handelten aber auch mit Landesprodukten; ihre Schuldner waren vorwiegend Bewohner der Stadt und umliegender Dörfer. Ihre Synagoge stand vermutlich in der heutigen „Schranne“ nahe dem oberen Tor.
Im städtischen Museum von Weißenburg wird ein jüdischer Grabstein aufbewahrt, der aus der Zeit des ausgehenden 13.Jahrhunderts stammt und in einem ehemaligen Bürgermeisterhaus entdeckt wurde (Aufn. Alexander Moisseenko).
Trotz mehrerer Pogrome waren die Juden Weißenburgs - sie standen unter dem Schutz des Reiches und der Stadt - bis ins Jahr 1520 hier wohnhaft. Unter dem Vorwand judenfeindlicher Stimmung der Stadtbevölkerung beschloss der Rat im Juni 1520 die Vertreibung aller Juden aus der Stadt; ihre bewegliche Habe duften sie mitnehmen. Deren Immobilien wurden dagegen konfisziert, die Synagoge abgerissen und an deren Stelle eine Marienkapelle errichtet. Seit dem 17.Jahrhundert sollen sich wieder Juden zeitweilig in Weißenburg aufgehalten haben.
Nach 1945 lebten für einige Jahre bis zu 100 jüdische DPs in der Stadt; Oberhaupt der Gemeinschaft war der Rabbiner Jechiel Jakob Weinberg (geb. 1885), der 1941 nach Deutschland verschleppt und hier als Häftling Zwangsarbeit leisten musste. Im Gasthaus „Zum Schlachthof“ war der Betsaal der DP-Gemeinde untergebracht. Diese existierte bis 1948/1949; mit der Gründung des Staates Israel und der Liberalisierung der Einreisebestimmungen in überseeische Länder erfolgte die Abwanderung der DPs.
An die mittelalterliche jüdische Geschichte der Stadt erinnert heute noch die "Judengasse".
In Weimersheim - heute ein Stadtteil Weißenburgs - bestand eine kleine jüdische Gemeinde bis Ende des 19. Jahrhunderts. Nach deren Auflösung wurde das Inventar des Betraumes in die Synagoge nach Ellingen verbracht. An die jüdische Geschichte von Weimersheim erinnern auch die Familien mit dem Nachnamen „Weimersheimer“; so lebten mehrere in Ichenhausen.
Weitere Informationen:
Moritz Stern, Die Vertreibung der Juden aus Weißenburg 1520, in: "Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland", Jg. 1929, S. 297 – 303
Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 171 - 173
Norman Klinger, Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Ellingen von 1933 - 1938. Schülerarbeit, Ellingen 1980 (Anm.: als Kopie im Stadtarchiv Ellingen)
Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 100 - 103
Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 159
Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1570 – 1578 (Weißenburg)
Christine Reichart, Die Juden in Ellingen, in: "Schriftenreihe des Stadtarchivs Ellingen", Heft 2/1995
Stefan Berger, Die jüdische Familie Heinrich Löwenstein aus Ellingen, in: "villa nostra’/Weißenburger Blätter", 2/1996, S. 18 - 21
Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaitach, Fürth 1998, S. 173 - 176
Freundeskreis Barockstadt Ellingen e.V., 1100 Jahre Ellingen - Ellingen in Geschichte und Gegenwart, Eigenverlag Stadt Ellingen 1999, S. 116 – 129
Jim G. Tobias (Bearb.), Als im fränkischen Weißenburg ein Rabbiner lehrte, in: J.G.Tobias, Vorübergehende Heimat im Land der Täter: Jüdische DP-Camps in Franken 1945-1949, o.O. 2002
H.Seis/S.Ott/E.Pfliegel (Bearb.), Juden in Ellingen 1536 – 1938, Ellingen 2008 (Anm.: Diese Dokumentation erschien als Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung des Freundeskreises Barockstadt Ellingen e.V. im Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen von November 2008 bis Februar 2009)
Ellingen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Weißenburg in Bayern, in: alemannia-judaica.de
Weimersheim (Stadt Weißenburg), in: alemannia-judaica.de
H.-Chr. Haas/A. Hager (Bearb.), Ellingen, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 180 – 189
Felice Poupko/Hermann Seis, Eine jüdische Kindheit in Ellingen, Ellingen 2010 (Anm. in ‚Beacon of Light‘ sind die Lebenserinnerungen der Ellinger Rabbinertochter Felicitas Schuster/Felice Poupko aufgezeichnet)
Weißenburg – Jüdische DP-Gemeinde, in: after-the-shoah.de