Ernsbach/Kocher (Baden-Württemberg)

Datei:Forchtenberg in KÜN.svg Ernsbach ist seit 1972 ein Stadtteil von Forchtenberg (Hohenlohekreis) – knapp 30 Kilometer nordöstlich von Heilbronn gelegen (Kartenskizze 'Hohenlohekreis', TUBS 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte jeder 3. Dorfbewohner dem mosaischen Glauben an.

In Ernsbach bildete sich eine jüdische Gemeinde gegen Ende des 17.Jahrhunderts. 1675 gestattete der Graf von Hohenlohe-Neuenstein fünf jüdischen Familien ihre Ansiedlung im Dorfe; in den nächsten Jahrzehnten folgten weitere nach. Die gräfliche Herrschaft war darauf bedacht, mit Hilfe der Juden die vorindustrielle Entwicklung Ernsbachs zu fördern. Dies wurde in Schutzbriefen deutlich, in denen es u.a. hieß: „ ... nechst diesen auch zu Bezeugung Seiner unterthaenigen Schuldigkeit im Handel und Wandel, wie und wo er bey deren Factorie zu den benöthigten Wahren in Kauffen und Verkauffen, bedient sein kann, bestmöglichst zur Hand zu gehen.” Die vorindustrielle Entwicklung Ernsbachs zeigte sich in der Errichtung einer Papiermühle, eines Eisen- und Kupferhammerwerkes, einer Ölmühle u.a.

Um den jüdischen Zuzug zu begrenzen, wurde 1721 den Juden verboten, weitere Häuser zu kaufen. Mit dem Wegfall alter Restriktionen zu Beginn des 19.Jahrhunderts setzte wieder eine verstärkte jüdische Zuwanderung ein; um 1845 erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil im Dorf ca. 30%. Um 1710/1715 soll die sich bildende Gemeinde Ernsbach über einen Betraum im Kupferhammerbau verfügt haben; mehrere Jahrzehnte später nutzte man dann ein Gebäude an der Papier- und Mahlmühle zu gottesdienstlichen Zwecken. Um 1770/1780 wurde eine Synagoge „von Stein gebaut unten am Bach“ in Nutzung genommen; sie besaß auch ein Schulzimmer und eine Lehrerwohnung. Anlässlich einer Visitation des Oberamtes Öhringen im Sommer 1953 beklagte sich der Braunsbacher Rabbiner Dr. Maier Hirsch, „dass die alte, baufällige und ganz unwürdige Synagoge in Ernsbach den Sinn für das höhere Göttliche niederschlage, die heilige Ehrfurcht für das Gotteshaus erkalten lasse und nicht den Eindruck des Erbauens, sondern des Zerstörens auf den Besucher mache“. Nach Feststellung von schweren baulichen Mängeln beschloss die Gemeinde, ein neues Synagogengebäude erstellen zu lassen. Zudem hatte die steigende Zahl der Gemeindeangehörigen einen Neubau notwendig gemacht, der Mitte der 1850er Jahre auch realisiert wurde. Die neue Synagoge am Marktplatz, am Standort der alten gelegen, wurde 1855 eingeweiht; die Finanzierung gestaltete sich kompliziert, weil ein Teil der jüdischen Familien in sozial schwachen Verhältnissen lebte und selbst keinen Beitrag zum Bau leisten konnte. „Milde Stiftungen“ und ein staatlicher Zuschuss halfen der Gemeinde aus der Misere. Die Inschrift über dem Eingang zitiert aus Psalm 118,20: „Dies ist das Tor zum Ewigen, Gerechte ziehen durch es hinein.

      

Synagoge in Ernsbach (Ausschnitt aus hist. Bildpostkarte  und  hist. Aufn. um 1930, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Für die Besorgung religiös-ritueller Aufgaben hatte die Gemeinde einen Lehrer angestellt.

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20163/Ernsbach%20Israelit%2030081876.jpg 

Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 30.Aug. 1876 und vom 10.Sept. 1908

Bereits in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts soll in Ernsbach eine jüdische Schule bestanden haben; ein neuer Schulbau ersetzte 1834 dann die einklassige Elementarschule. Mit dem Wegzug der jüdischen Familien reduzierte sich auch die Schülerzahl, sodass die Schule wegen Schülermangels im Jahre 1911 geschlossen werden musste.

Verstorbenen Ernsbacher Juden wurden auf dem Friedhof im nahen Berlichingen beerdigt.

Anfang der 1830er Jahre wurde die Ernsbacher Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Braunsbach zugewiesen, später dann dem von Schwäbisch-Hall.

Juden in Ernsbach:

         --- um 1675 ........................   5 jüdische Familien,

    --- 1697 ...........................  10     “       “    ,

    --- 1806/07 ........................ 141 Juden,

    --- 1824 ........................... 163   “  ,

    --- 1844 ........................... 233   “  (ca. 30% d. Bevölk.),

    --- 1854 ........................... 218   “  ,

    --- 1861 ........................... 199   “  ,

    --- 1886 ........................... 166   “  ,

    --- 1900 ...........................  79   “  ,

    --- 1910 ...........................  40   “  ,

    --- 1925 ....................... ca.  10   “  ,

    --- 1933 ...........................   2   “  .

Angaben aus: Die Juden in Ernsbach, Ernsbacher Heimatbuch, S. 334

 

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20163/Ernsbach%20Israelit%2021071890.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20163/Ernsbach%20Israelit%2001061891.jpgprivate Kleinanzeigen (1890/91)

Nach 1850 wanderten viele Juden aus Ernsbach ab. Schließlich konnte das religiöse Leben nicht mehr aufrecht erhalten werden und Mitte der 1920er Jahre löste sich die Gemeinde auf. Die wenigen noch im Dorfe lebenden, meist älteren jüdischen Bewohner gehörten danach der Berlichinger Gemeinde an.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 32 aus Ernsbach stammende bzw. länger am Ort ansässig gewesene Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ernsbach_synagoge.htm).

 

Das Ernsbacher Rathaus ist eine Stiftung des Juden Samuel Kochertaler (1859-1906); daran erinnert heute eine Tafel am Gebäude mit der Inschrift: „Dieses Rathaus wurde mit einer Stiftung des Herrn Samuel Kochertaler erbaut im Jahre 1909“.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2046/Ernsbach%20Rathaus%20100.jpg Inschrift am Rathaus (Aufn. J. Hahn 2004, aus: alemannia-judaica.de)

Das Synagogengebäude war 1925 verkauft worden, diente dann jahrelang als Feuerwehrgerätehaus und wird heute weitgehend als Wohnhaus genutzt.

Am Gebäude ist seit 1992 eine Tafel mit folgender Inschrift angebracht worden:

In diesem Gebäude befand sich von 1855 bis um 1920

die Synagoge der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Ernsbach

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag Stuttgart 1966, S. 72/73

Die Juden in Ernsbach, aus: "Forchtenberger Heimatbuch 1983", S. 334 f.

Joachim Hahn, Synagogen in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1987, S. 92

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 258/259

Eberhard Kugler, Vom Bauern- zum Industriedorf, dargestellt an der Entwicklung von Ernsbach am Kocher, Sigmaringen 1998

Ernsbach (Stadt Forchtenberg), in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Naftali B.G. Bamberger, Die jüdischen Friedhöfe im Hohenlohekreis, Hrg. Landratsamt Hohenlohekreis, 2002

Eberhard Kugler, Jüdisches Leben in den Dörfern - die Ansiedlung in Ernsbach, in: Gerhard Taddey (Hrg.), ... geschützt, geduldet, gleichberechtigt ... Die Juden im baden-württembergischen Franken vom 17. Jahrhundert bis zum Ende des Kaiserreiches (1918), Forschungen aus Württembergisch Franken, Band 52, Ostfildern 2005, S. 107 - 123

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 126/127